Präsenzveranstaltung

Thema:
Germanen und Deutsche - Die Germanenrezeption im 19. und 20. Jahrhundert
Veranstaltungstyp:
Präsenzveranstaltung
Zielgruppe:
BA KuWi: Modul G4; Modul G5; BA KuWioF: Modul 11A; Modul 12A;
Ort:
Frankfurt am Main
Adresse:
Campus Frankfurt/Main
Termin:
29.05.2015 bis
30.05.2015
Zeitraum:
Fr: 16:00 - 20:00 Uhr
Sa: 10:00 - 18:00 Uhr
Leitung:
Christian Urs Wohlthat, M.A.
Nadine Holzmeier, M.A.
Anmeldung:

Auskunft erteilt:
Christian Urs Wohlthat, M.A. , E-Mail: christian-urs.wohlthat
Nadine Holzmeier, M.A. , E-Mail: nadine.holzmeier
Irmgard Hartenstein , E-Mail: irmgard.hartenstein , Telefon: +49 2331 987- 4752

Um 98 n. Chr. schrieb der römische Aristokrat Publius Cornelius Tacitus (ca. 58-120 n. Chr.) eine Abhandlung über die östlichen Nachbarn des Römischen Reiches im Gebiet des damaligen Germaniens. Die erst im 15. Jahrhundert wiederentdeckte Schrift enthält einen allgemeinen Teil zu Land und Leuten, geht dann über zum öffentlichen und privaten Leben der Germanen und behandelt zuletzt Bräuche und Sitten einzelner Ethnien zwischen Rhein und Ostsee.
Die Germania wirkte ab der Renaissance als identifikationsstiftende Schrift im deutschsprachigen Raum nach und beeinflusste nicht zuletzt auch den deutschen Nationalismus stark. Der italienische Historiker Arnoldo Momigliano bezeichnete sie daher einmal als eines der gefährlichsten je geschriebenen Bücher.
„Die Germanen“ sind den Römern dabei vor allem als Grenzvolk und Nachbarn der (ehemals auch gefürchteten) Gallier bekannt. Aber erst seit Caesar unterschieden Römer Germanen von Galliern und zwar zunächst geographisch. Wer links vom Rhein lebte war Gallier, wer recht lebte war Germane. Diese Trennung blieb nach der Niederlage des Varus (im Jahre 9 n. Chr.) dauerhaft bestehen und prägt nicht zuletzt bis ins 20. Jahrhundert das Germanen-Bild, insbesondere der Deutschen.
Anders die Mittelalter-Rezeption. Sie war bis ins 18. Jahrhundert eher negativ konnotiert, wandelte sich aber im 19. Jahrhundert deutlich. Mit dem nun transportierten Mittelalterbild wurde eine ferne Vergangenheit als eigentlicher Ursprung der einheitlichen deutschen Nation identifiziert und dieser so zu einer tieferen Legitimation verholfen. Dem Bild des „Germanen“ als Bezugspunkt und Identitätskern für alles “Deutsche” kam in diesen Diskursen eine zentrale Bedeutung zu, die ihren Ausdruck zum Beispiel in Kunst, Musik, Literatur oder der Errichtung verschiedener Denkmäler fand. Vom Vormärz bis zur Reichsgründung wurde sich zunehmend in der vermeintlich “germanischen” Vergangenheit rückversichert, auch die Auseinandersetzungen mit Frankreich bargen einen starken Impuls für diese Rezeptionsverschiebung. So wurde Karl der Große stärker mit dem Feind Frankreich verbunden, taugte daher zunehmend schlechter als Identifikationsfigur für die sich herausbildende Nation. Figuren wie der mythische König im Kyffhäuser, der in dieser Zeit mit der Person Barbarossa verschmilzt, erlangten ebenso prägende Bedeutung wie der Sachsenfürst Widukind oder Arminius. Besonders letztere wurden zunehmend als plastische und konkrete historische Zeugen des Freiheitswillens der “Deutschen” und der Ursprünglichkeit einer deutschen Nation wahrgenommen.
Im 20. Jh. bediente sich die NS-Ideologie dieser Themen, Bilder und Motive. So prägte sich in dieser Zeit der Begriff “Sachsenschlächter” für Karl den Großen und man versuchte - zum Beispiel mit dem Widukindmuseum in Enger - Erinnerungsorte für diese Rückversicherung beim “Germanentum” zu schaffen. Archäologische Freilichtmuseen wie das in Oerlinghausen versuchten den ursprünglichen “Germanen” auf der Grundlage archäologischer Funde und “Rekonstruktionen” plastisch erfahrbar zu machen und eine direkte Linie zum heutigen Deutschen herzustellen. Organisationen wie die Forschungs- und Lehrgemeinschaft SS-Ahnerbe waren bestrebt dies mit einem wissenschaftlichen Fundament zu untermauern und weiter zu erforschen.

Anhand dieser Themenfelder möchte wir im Rahmen der PV die Rezeptionsgeschichte „der Germanen“ in der Deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts punktuell beleuchten. Das Gelingen der PV ist im besonderen Maße von der Beteiligung der Studierenden abhängig. Es wird daher erwartet, dass Sie sich auch in Form von Referaten beteiligen. Diese können eine thematische Ausarbeitung sein, etwa als Vorbereitung auf eine Prüfung, oder die Vorstellung eines Textes und Anleitung der Diskussion darüber.

Folgende Themen sind möglich/vorstellbar:

  • Die Rezeption der Germania im Humanismus.
  • Historismus und „nationale“ Identität im 19. Jahrhundert.
  • Karlrezeption im Wandel vom 18. Zum 20. Jh.
  • Das Widukindmuseum Enger.
  • Denkmalbau der Kaiserzeit (Arminius etc.).
  • Archäologie im 20. Jh., der Schwerpunkt sollte auf den Akteuren liegen und örtliche Schlaglichter liefern (z.B. Oerlinghausen?).
  • Christentum – Heidentum in der Rezeption (Möglich wären z.B. die Bonifatius-Rezeption oder die Bewertung der Sachsenmission Karls etc.).
  • Die Diskussion um die Externsteine.
  • Die Umdeutung der Germania nach dem Zweiten Weltkrieg.
  • Die Besprechung eines der Texte auf der Leseliste

 

Bibliographie:

  • Christopher B. Krebs: Ein gefährliches Buch. Die „Germania“ des Tacitus und die Erfindung der Deutschen, Übersetzt von Martin Pfeiffer. München 2012. [N.B. nicht alle Kapitel sind zwingend erforderlich zu lesen.]
  • Karl Gabler: Sind die Germanen bei Tacitus Barbaren?, Nat.-soz. Bildungswesen 1936, S. 41–47.
  • Dieter Timpe: Die Germanen als Gegenbild zur römischen Dekadenz? Die Germania des Tacitus, in: B. Scardigli, P. Desideri, M. Moggi & M. Pani (Hg.): Antidoron. Studi in onore di Barbara Scardigli Forster (17), Pisa 2007, S. 419–440.
  • Christopher B. Krebs: Borealism. Caesar, Seneca, Tacitus, and the Roman Discourse about the Germanic North, in: E. S. Gruen (Hg.): Cultural Identity in the Ancient Mediterranean, Los Angeles 2011, S. 202–221.
  • See, Klaus von: „Barbar, Germane Arier: die Suche nach der Identität der Deutschen“, Heidelberg, 1994; bes. S. 7-61.
  • Sibylle Ehringhaus: Germanenmythos und deutsche Identität. Die Frühmittelalter-Rezeption in Deutschland, 1842-1933. Weimar 1996.
  • Rainer Kipper: Der Germanenmythos im deutschen Kaiserreich. Formen und Funktionen historischer Selbstthematisierung (Formen der Erinnerung 11). Göttingen 2002.
  • Stefanie Dick: Der Mythos vom „germanischen“ Königtum. Studien zur Herrschaftsorganisation bei den germanischsprachigen Barbaren bis zum Beginn der Völkerwanderungszeit (Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde 60). Berlin, New York 2008.
Irmgard Hartenstein | 10.05.2024