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Forschung: Klaus-Mehnert-Preis der DGO an Dr. Johannes Bent verliehen
[23.03.2025]Die beste 2024 verteidigte Dissertationsschrift

Dr. Johannes Bent, der wissenschaftliche Online-Tutor des Lehrgebiets Public History, wurde im März mit dem Klaus-Mehnert-Preis der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde für die beste 2024 verteidigte Dissertationsschrift ausgezeichnet. Die Arbeit trägt den Titel „Ernst Troeltsch and Eastern Europe: Interwar Interpretations and Applications of a German Philosopher of History“. Darin analysiert Bent den innereuropäischen Ideentransfer in der Zwischenkriegszeit und verortet die intellektuellen Austauschbeziehungen zwischen der deutschen und ost- sowie ostmitteleuropäischen Geschichtskulturen.
Mit dem Geschichtsphilosophen Ernst Troeltsch (1865-1923) hat der Kulturwissenschaftler einen Akteur der Neuordnung ins Zentrum gerückt, der in der massiven Umbruchzeit nach dem Ersten Weltkrieg in seinem 1922 erschienen Monumentalwerk „Der Historismus und seine Probleme“ eine „praktische Geschichtsphilosophie“ entwarf, um Europa kulturphilosophisch neu zu begründen. Aus Perspektive der Transferforschung untersucht die Dissertation, wie Troeltschs Werk in die Geschichtskulturen des östlichen Europas eingespeist worden ist, wo nach dem Ende des Ersten Weltkriegs geschichtsphilosophische Akteure überall in Europa eine Neuordnung des historischen Wissens vornehmen. Bent lenkt den Blick besonders auf die Neuordnungsdebatten in der frühen Sowjetunion, in der Tschechoslowakei, in Ungarn sowie in Rumänien.

Für die internationale Troeltsch-Forschung ist die Heterogenität und Pluralität der osteuropäischen Aneignungen von Troeltschs Geschichtsphilosophie ein neuer Befund: Die Skala reichte dabei von der Rezeption Troeltschs als Verkörperung des Irrwegs des „bürgerlich-westlichen Geschichtsdenkens“ im sowjetmarxistischen „Kampf an der historischen Front“ in der frühen Sowjetunion bis zu Troeltsch als Stichwortgeber einer neuen idealistischen Geschichtsauffassung, der sog. „Geistesgeschichte“, in Ungarn. Für die Forschung zum innereuropäischen Kulturtransfer zeigt die Arbeit exemplarisch, wie selektiv, heterogen und ergebnisoffen Transfervorgänge in der charakteristischen Mischung aus Aneignung und Abwehr sind. Für die europäische intellectual history kann Bent am Beispiel der Troeltsch-Aneignung illustrieren, zu welch hohem Grad auch scheinbar selbstzentrierte Debatten der Epoche wie etwa der „Streit um den Sinn der tschechischen Geschichte“ in der Tschechoslowakei auch mit intellektuellem Transfer funktionieren. Nicht zuletzt trägt seine Arbeit zu einer Dezentrierung und Europäisierung der „deutschen“ Historismus-Debatte um 1900 bei, für die Troeltsch nach wie vor eine zentrale Referenz ist.
Die Arbeit ist im Cotutelle-Verfahren an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und der Universität Tallinn (Estland) im Rahmen eines von Prof. Liisi Keedus (Tallinn) geleiteten und vom European Research Council geförderten Projekts zur Ideengeschichte der Zwischenkriegszeit entstanden und wurde im Juni 2024 verteidigt. Wissenschaftlicher Betreuer des Projekts war seitens der Viadrina Prof. Dr. Hübinger, als Gutachter fungierten Prof. Matthias Schloßberger (Frankfurt an der Oder) und Prof. Balázs Trencsényi (Budapest).