Aktuelles

CfP Workshop „Eine kurze Geschichte digitaler Kriegsöffentlichkeiten" 2.-3. Mai 2023

[02.03.2023]

Die ukrainische Gesellschaft nutzt im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg digitale Netzwerke und Plattformen, um den Kontakt mit Angehörigen zu halten, Informationen auszutauschen, die Folgen der Zerstörung zu dokumentieren und das eigene Handeln zu organisieren. Durch die bereits seit 2014 starke Nutzung kommerzieller Plattformen geht diese Interaktion in die tagtägliche Herstellung ukrainischer Kriegsöffentlichkeiten ein. Diese zeichnet sich unter anderem durch die Gleichzeitigkeit der Produktion von Bildern und Texten aus allen Landesteilen aus, die laufend in digitaler Form geteilt werden. Damit wird das Internet zu einem Resonanzraum kollektiver Kriegserfahrungen, die in einem Forschungsprojekt am Lehrgebiet Public History der FernUniversität Hagen ab November 2023 als digitale Kriegsöffentlichkeit historisiert werden.

Kommerzielle Plattformen wie Facebook, Instagram, Telegram, TikTok und Twitter funktionieren als digitale Infrastrukturen, die eine horizontale Verbreitung und Rezeption öffentlich geteilter Selbstzeugnisse ermöglichen (Simons/Chifu, 2017). Durch partizipative Techniken wie Kommentieren, Teilen und Liken ist die Verbreitung der einzelnen Einträge stets ein dynamischer Prozess der Teilhabe. Dieser entsteht, weil Öffentlichkeit nicht mehr vor allem als Transfer und Rezeption professionell aufbereiteter Informationen aus klassischen Medien wie Zeitung, Fernsehen und Radio hergestellt wird. Es handelt sich aber auch nicht um eine basisdemokratische Form der Teilhabe, in der die Stimme aller Nutzer:innen das gleiche Gewicht haben (Hacker, 2018). Die Algorithmen zur Konfiguration der Aufmerksamkeitsökonomie sozialer Netzwerke bestimmen nach kommerziellen Kriterien über die Reichweite einzelner Zeugnisse. Damit befinden sich wichtige Steuerungselemente im Prozess der Herstellung von Kriegsöffentlichkeiten in den Händen internationaler Konzerne, die keiner der derzeitigen Kriegsparteien Rechenschaft schuldig sind. Eine wichtige Neuerung besteht außerdem darin, dass die Reichweite digitaler Kriegssplitter nicht durch staatliche Grenzen eingeschränkt ist (Schreiber/Kosienkowski, 2015). In Abhängigkeit von der verwendeten Sprache und weiteren Faktoren können Autor:innen ein Publikum in der gesamten Ukraine und weit über ihre Grenzen hinaus erreichen. Damit nehmen sie auch potentiell Einfluss auf die Wahrnehmung des Kriegs in anderen Ländern.

Die digitale Mediatisierung des russischen Angriffskriegs in der Ukraine zeigt auf dramatische Weise, wie sich am Beginn des 21. Jahrhunderts die Modi der Schaffung von Öffentlichkeit verändern. Die partizipative Herstellung von Kriegsöffentlichkeiten, die durch die aktive Beteiligung von Millionen Menschen an der Produktion, Kommunikation und Rezeption von Bildern, Texten und Narrativen in Russland, Belarus und der Ukraine tagtäglich erfolgt, schafft neue Formen der sozialen Konstruktion von Wirklichkeit und drängt die Rolle spätmoderner Medien zunehmend in den Hintergrund (Hutchings, 2022). Zugleich eröffnet sie für das Wirken staatlicher Propaganda ganz neue Kanäle, die als Teil digitaler Kriegführung genutzt werden, um Informationen so zu kontextualisieren, dass sie potenziell Einfluss auf die narrative Deutung des Kriegsgeschehens nehmen.

Die Aktualität der analytischen Frage nach Modi der Herstellung digitaler Öffentlichkeiten rührt nicht allein aus dem anhaltenden Kriegsgeschehen, sondern auch aus der Überlegung, dass in der Ukraine ein Blick in die mögliche Zukunft gesellschaftlicher Kommunikation möglich ist, in der gedruckte Zeitungen keine Rolle für politische Aushandlungsprozesse mehr spielen und auch die Bedeutung klassischer Fernsehprogramme für die Herstellung von Öffentlichkeit deutlich zurückgeht. Auf diese Weise entstehen parallel zum Kriegsgeschehen als kollektivem, interaktivem und partizipativem Prozess digitale Kriegsöffentlichkeiten, mit denen eine strukturelle Veränderung der Art von Öffentlichkeit selbst einhergeht.

Praktiken digitaler Teilhabe im 21. Jahrhundert, ihre kommerzielle und militärische Lenkung sowie ihre politischen Grenzen sind Themen des Workshop für Nachwuchswissenschaftler:innen, die eigene Ideen vorstellen, wie die Entstehung und Dynamik digitaler Kriegsöffentlichkeiten erforscht werden kann. Bitte senden Sie ein halbseitiges Abstract in deutscher, englischer oder ukrainischer Sprache bis zum 25. März 2023 an felix.ackermann. Arbeitssprachen des Workshops sind Deutsch und Englisch. Er findet am 2. und 3. Mai 2023 auf dem Berlin-Campus der FernUniversität Hagen statt. Die Kosten für Anreise, Übernachtung und Verpflegung werden übernommen. Der Workshop der Vernetzung mit Wissenschaftler:innen, die Interesse an digitalen Kriegsöffentlichkeiten haben. Es gibt die Möglichkeit, dass einzelne Vorhaben im Rahmen einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Nachwuchsforschungsgruppe ab November 2023 mit einem dreijährigen Stipendium gefördert werden.

Wer: Nachwuchswissenschaftler:innen aus Anthropologie, Soziologie, Geschichte, Medien- und Kulturwissenschaften
Wann: 2. und 3. Mai 2023, Deadline für die Anmeldung ist der 25. März 2023
Wo: Campus Berlin der FernUniversität Hagen, Kranzler-Eck Berlin Kurfürstendamm
Wie: Zehnminütiger Impulsvortrag, in dem Projektideen für Forschungsansaätze skizziert werden.
Arbeitssprachen des Workshops: Deutsch und Englisch
Förderung: Nachwuchsforschungsgruppe NFG026 der Hans Böckler Stiftung
Was übernimmt die NFG026: Anreise, Unterkunft und Verpflegung

Informationen zu den Promotionsverbünden der Hans-Böckler-Stiftung: Promotionsverbuende
Kontakt: felix.ackermann

CfP Digitale Kriegsoeffentlichkeiten (PDF 132 KB)

CfP Digital Public Spheres at War (PDF 177 KB)