Systematisierend: Method(ologi)en der Plattformforschung – Zum Stand der Debatte
Chair: Dr. Felix Raczkowski (Universität Bayreuth) & Dr. Laura Niebling (Universität Regensburg)
Das Frontend der Plattform ist ein hochgradig technifizierter und interaktiver Sozialraum. Im Forschungsprozess erscheint uns ebendieser nicht als steriles Forschungsobjekt, sondern jede:r Beobachter:in wird notwendigerweise durch eigene Datenspuren, algorithmische Aufmerksamkeitsmärkte und interaktive Dynamiken aktiv in das Geschehen involviert. Damit gehen besondere method(olog)ische Herausforderungen und Fragen einher. Handelt es sich bei Plattformen um Forschungsfelder‚ Gegenstände‘ der Forschung oder gar ‚Instrumente‘?
Felix Raczkowski ist akademischer Rat a.Z. am Lehrstul für digitale und audiovisuelle Medien der Fachgruppe Medienwissenschaft an der Universität Bayreuth. Zu seinen Forschungsinteressen gehören die Theorie und Geschichte digitaler Medien, insbesondere von sozialen Netzwerken sowie digitalen Spielen und die Medien zeitgenössischer Büroarbeit. Aktuell ist er zusammen mit Laura Niebling und Sven Stollfuß Herausgeber des Handbuchs Digitale Medien & Methoden; gibt zusammen mit Christoph Büttner eine Ausgabe des AugenBlick. Konstanzer Hefte zur Medienwissenschaft mit dem Titel Magnetwand, Monitor, Meme. Büroarbeit und ihre Medien heraus und gemeinsam mit Julia Wustmann und Jennifer Eickelmann eine Special Issue des Journals Digital Culture & Education zu Differences and the Digital. Daneben arbeitet er an einer Monographie zu Fakes in Digitalen Kulturen.
Dr. Laura Niebling ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Medienwissenschaft der Universität Regensburg. Sie habilitiert und forscht dort zur Mediengeschichte der Medizinkommunikation, digitalen Kulturen und Methoden der Medienforschung. Gemeinsam mit Felix Raczkowski und Sven Stollfuß ist sie Herausgeberin des aktuell laufenden Handbuchprojekts Digitale Medien und Methoden.
Fr 8. 11. 2024 | 12:30 - 14:30 Uhr | |
Plattformforschung mit Memes: Vernetzte Bilder als Datenpraktiken
Dr. Elena Pilipets (Universität Siegen)
Auf Social-Media-Plattformen werden wir täglich mit memetischen Inhalten unterschiedlichster Art konfrontiert. Bilder, die online zirkulieren, stehen selten exklusiv für sich, sondern sind eingebettet in die Verdatungs- und Distributionsmechanismen digitaler Medien. Die Präsentation widmet sich methodischen Variationen im Umgang mit user-generierten, web-distribuierten und plattformspezifischen Bilderwelten. Der Fokus liegt auf die im Prozess der Bildzirkulation verwickelten Datenpraktiken. Zur Veranschaulichung stehen die im Zuge des Pornografieverbots auf Tumblr geteilten Memes, die in vier aufeinander aufbauenden Schritten diskutiert werden – als zeitspezifische Praktiken visueller Aneignung (1), als affektive Mittler (2), als vernetzte Plattformartefakte (2) und als multisituierte Objekte digitaler Zirkulation (4).”
Elena Pilipets ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Digitale Medien und Methoden und im SFB „Medien der Kooperation” an der Universität Siegen (PhD im Forschungsbereich Medien- und Kulturtheorie, Universität Klagenfurt). In ihrer Arbeit befasst sie sich mit Prozessen der Plattformisierung und Verdatung mit dem Fokus auf die Zirkulation visueller Inhalte in sozialen Medien. Dazu gehören aktuell datenbasierte empirische Auseinandersetzungen mit TikTok Videos, Instagram Bots, partizipativer Propaganda, Internet Memes und Online-Kommentarkulturen. Elenas Hauptinteresse widmet sich dabei der Entwicklung von methodischen Variationen im Umgang mit vernetzten Bilderwelten und affektiven Umgebungen digitaler Plattformen. Diese Methoden werden in kollaborativen Projektseminaren und Workshops gemeinsam mit Studierenden diskutiert, erprobt und weiterentwickelt.
Methoden der kritischen Algorithmusforschung
Prof. Dr. Tobias Matzner (Universität Paderborn)
In den letzten Jahren sind Algorithmen zu einem zentralen Thema der Geistes- und Kulturwissenschaftlichen Forschung geworden. Ein Gegenstand, der vormals primär in der Informatik zu finden war, wird somit mit einer ganzen Reihe neuer Methoden bearbeitet: verschiedene Formen des Lesens und der Interpretation von Quellcode, empirische Studien unter Programmierer:innen und Nutzer:innen, eigenes Programmieren von Wissenschaftler:innen jenseits der Informatik, sogenannte Black Box Studien, die durch geschickte Anfragen hinter die versteckten Logiken von Programmierung kommen wollen und vieles mehr. Der Vortrag gibt einen Überblick über diese methodischen Entwicklungen. Dabei sollen vor allem solche Methoden im Vordergrund stehen, welche Algorithmen explizit mit einer politischen oder kritischen Perspektive verbinden. Dazu werden zwei Leitfragen gestellt, die den Vortrag strukturieren. Erstens: Muss man informatische Kenntnisse haben, um Algorithmen zu erforschen oder verstellen diese durch fachimmanente Logiken gerade den Blick auf wichtige Fragen? Wie verhalten sich informatische Konzepte des Algorithmus zu geistes- und kulturwissenschaftlichen? Zweitens: Was heißt es überhaupt, sich den ‚Tausend Plattformen‘ der Informations- und Kommunikationstechnologie über die Frage nach Algorithmen zu nähern? Was kann dadurch erkannt werden, was gerät aus dem Blick? Wie sind in diesem Zusammenhang auch die Kritiken an der Ausweitung des Begriffs des Algorithmus zu verstehen?
Tobias Matzner ist Professor für Kulturen der Digitalität am Institut für Medienwissenschaften der Universität Paderborn. Nach dem Studium der Informatik und Philosophie sowie einer Promotion in Philosophie am Karlsruher Institut für Technologie war er am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften in Tübingen und an der New School for Social Research in New York tätig. Seine Forschung bewegt sich in den Verwicklungen von Technologie, Kultur und Politik.
Plattformforschung nach der APIcalypse: Untersuchung kontroverser Infrastrukturen am Beispiel der Facebook Graph API
Tatjana Seitz (Universität Siegen)
Die Programmierschnittstellen oder Application Programming Interfaces (APIs) von Facebook ermöglichen es externen App-Entwickler:innen, auf Daten und Funktionen zuzugreifen, und stehen im Mittelpunkt vieler Datenskandale und datenschutzrechtlichen Kritiken, mit denen die Plattform konfrontiert wird. APIs sind ein entscheidender Bestandteil der Plattformarchitektur und damit in kulturelle, ökonomische und politische Wechselbeziehungen eingebettet. Plattformen nutzen APIs, um Daten auszutauschen, Zugang zu Hardwarekomponenten wie Kameras oder Speicher zu gewähren, Werbung zu schalten und Werbeanalysen bereitzustellen, Chatbot-Funktionen zu ermöglichen, Funktionen der Künstlichen Intelligenz zu integrieren aber auch um ihre Marktmacht auszubauen. Als Facebook und andere Plattformen wie Twitter/X im Zuge des Facebook-Datenskandals um Cambridge Analytica den Zugang zu ihren APIs restriktiver gestalteten, wurde auch Forscher:innen der API-basierte Zugang zu Plattformen gesperrt. Die ‚APIcalypse‘ (Bruns 2019) läutete das Ende der API-basierten Plattformforschung ein.
Aber APIs sind auch kommerzielle Produkte, die sich an Entwickler:innen richten, und so kommen Plattformen nicht umhin, zu kommunizieren: Sie stellen ausführliche Dokumentationen zur Verfügung, liefern Best-Practice-Beispiele, erzählen Erfolgsgeschichten und veranstalten Workshops und Konferenzen für Entwickler:innen. Darüber hinaus hat der Datenskandal zu weiteren Öffnungen beigetragen: Als Reaktion wurden mehrere Leaks mit vertraulichen E-Mails, Kalkulationen und internen Präsentationsunterlagen veröffentlicht. In laufenden Gerichtsverfahren und in Kongressanhörungen wurde Facebooks API, die Graph API, zum Gegenstand von Verhandlungen, während Gerichte beantragte Geheimhaltung von Unterlagen aufheben, die Facebook strategisch als „vertraulich“ bezeichnete, um sie so der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Paradoxerweise besteht heute die Herausforderung darin, die Menge und Heterogenität des verfügbaren Materials für die Forschung nutzbar zu machen. Am Beispiel der Facebook Graph API stellt der Beitrag Entwickler:innenportale, Leaks und Gerichtsdokumente als Forschungszugänge zu Plattformen und deren Infrastrukturen vor und diskutiert die methodischen Herausforderungen der Plattformforschung im Spannungsfeld von infrastruktureller Macht und Öffentlichkeit.
Tatjana Seitz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am SFB 1187 „Medien der Kooperation” und promoviert an der Universität Siegen. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der kritischen Erforschung von APIs an der Schnittstelle von ökonomischen, ästhetischen und kritischen Forschungszugängen zu Internetplattformen. Ebenso interessiert sie sich für technisch fundierte, designorientierte und kritische Zugänge zur Untersuchung kommerzieller Software.
Close reading of evocative objects in the inter-imperial space of digital life writing
On the example of Tatsiana Zamirovskaya’s digital life writing
Hanna Horn (University of Greifswald)
Reading platformised auto:biographies might resemble collecting the fragments of authorial identity, dispersed through time and space. Intersubjective nature of identity can manifest its presence not only, but also through written transcultural evocative objects, meaning objects endowed with both personal and global cultural meaning, capable of moving between different cultural contexts.
With this paper, I argue, travels of authorial memory and identity are to be localized with the help of such objects’ close reading. This methodology is to be presented on the example of Tatsiana Zamirovskaya’s Facebook writing, and close reading of one-two transcultural evocative objects from life writing of hers.
Tatsiana Zamirovskaya is a Belarusian writer and journalist; in her fiction texts she works with themes of absence, oblivion, digital immortality and resurrection. Her works include the short story collections ‚Life Without Noise and Pain‘ (2010), ‚Sparrow River‘ (2015), ‚Land of Random Numbers‘ (2019) and the novel ‚Death.net‘ (2021). Apart from Facebook- and LiveJournal-pages, she also posts on her Telegram-channel and Instagram-account.
In given presentation I aim to trace the difference between objects’ close reading in pre-digital and digital life writing texts. To understand what close reading of transcultural evocative objects online can tell us about travelling memory and identity, as well as about intimate publics / private spaces online, is among the objectives of this paper.
Hanna Horn is born in Minsk, Belarus, she obtained her specialist degree in literary writing at the Maxim Gorky Literature Institute (Moscow, Russia). At the moment she pursues her PhD degree in the frame of IRTG “Baltic Peripeties. Narratives of Reformations, Revolutions and Catastrophes”, at the University of Greifswald, Germany.