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Reversed Big Brother Principle für Learning Analytics

[17.06.2024]

Mit diesem Titel trat Dr. Niels Seidel bei der re:publica 24 auf. Er macht damit ein bislang wenig beachtetes Feld im Bereich der Learning Analytics aufmerksam. Denn: Bisher sehen Lehrende Datenspuren ihrer Kursteilnehmenden, aber Studierende sehen kaum etwas davon wie Lehrende in einem Onlinekurs ihre Lehraufgaben wahrnehmen. Was würde dieser neue Ansatz für die Praxis bedeuten?


Niels Seidel auf Bühne mit Bildschirmpräsentation Foto: Privat
Dr. Niels Seidel spricht auf einer Außenbühne bei der re:publica 24

Mit Learning Analytics hat sich seit über zehn Jahren eine Forschungsrichtung etabliert, die sich mit der Messung, Sammlung, Analyse und dem Monitoring von Bildungsdaten sowie den daraus abgeleiteten Interventionen beschäftigt. Ziel ist es, aus Daten von Studierenden abzuleiten, wie sie besser unterstützt und begleitet, Kurse besser gestaltet und Lernleistungen verbessert werden können.

Niels Seidel beschäftigt sich im Rahmen seiner Forschung bei CATALPA mit der Frage, wie diese Daten von Studierenden dazu beitragen können, dass sich ihre Selbstregulation, also die Motivation und eigenständige Organisation und Steuerung des eigenen Lernens, in der Online-Lehre verbessert. Doch vor einiger Zeit traf er in Estland auf das „Reversed Big Brother Principle“: In dem baltischen Staat können Bürger*innen einsehen, welche Behörden wann auf welche Daten von Ihnen zugegriffen haben.

Transparenz und Vertrauen

„Ich fand das Prinzip interessant. Es schafft Transparenz und Vertrauen. Zunächst können Studierende damit nachvollziehen, welche der über sie gesammelten Daten von den Lehrenden wirklich genutzt werden“, erklärt der Wissenschaftler. Wenn man das Prinzip noch weiterdenke, bezöge es sich auch auf die Sichtbarkeit von Lehraktivitäten. Lehrende würden durch Lernmanagementsysteme dabei unterstützt, eine Übersicht über den Kurs und die darin stattfindenden Lernaktivitäten zu bekommen. Den Studierenden bliebe jedoch das Handeln der Lehrpersonen weitgehend verborgen. „Verglichen mit einer Präsenzveranstaltung ist das in etwa so, als würde die Lehrperson sich hinter dem Sprecherpult verstecken, während sie sporadisch auf Fragen antwortet und klammheimlich den Text auf ihren Präsentationsfolien ändert. Ein Onlinekurs schafft schließlich für alle Beteiligten einen gemeinsamen Kollaborationsraum, in dem die Lehrenden als wichtigste Personengruppe an vielen Stellen aktiv sind. Über eine größere Sichtbarkeit und Transparenz der Lehraktivitäten könnten wir die persönliche Beziehung stärken. Studierende könnten somit wahrnehmen, dass da jemand ist, der sich um den Kurs und ihre Belange kümmert.“

Große Übereinstimmung bei Lehrenden und Lernenden

Doch welche Informationen würden Lehrende von sich preisgegeben? Und welche Informationen würden die Studierende gern sehen? „Grundsätzlich ist mir wichtig festzuhalten, dass es um Transparenz und Vertrauen auf beiden Seiten geht und um eine gewisse Wechselseitigkeit, die freiwillig erfolgen muss. Es geht nicht darum, Lehrleistung zu messen oder Lehrende zu überprüfen“, sagt Niels Seidel. Er hat mit seinem Team eine Studie durchgeführt und 371 Studierende und 69 Lehrende befragt, welche Informationen sie gern von Lehrenden sehen bzw. mit den Studierenden teilen würden. Dabei konnte er eine große Übereinstimmung erkennen – zum Beispiel würden Lehrende offenlegen und Studierende gerne sehen:

  • wie weit Korrekturen abgeschlossen/Fragen beantworten sind,
  • welche Forenbeiträge Lehrende zuletzt erstellt haben
  • welche Änderungen am Lernmaterial vorgenommen wurden,
  • welche Learning-Analytics-Daten von Lehrpersonen (und Software-Agenten) genutzt wurden.

Nicht überfordern

Natürlich, wie bei allen Maßnahmen, die zusätzliche Information bieten, muss auch hier aus Sicht von Niels Seidel der Nutzen im Vordergrund stehen. So müsse man aufpassen, Studierende nicht mit zu vielen, für sie nicht relevanten Informationen zu überfordern. Die Informationen müssten auf kompakte Weise dargestellt werden und einen angemessenen Detailgrad aufweisen. Niels Seidel erklärt: „Die Studierenden wünschen sich beispielsweise eine Vorhersage, wann ihre Einsendeaufgaben korrigiert sind. Welche Lehrperson die Aufgaben letztlich wann und wie lange korrigiert, ist für sie dabei nicht relevant.“

Prototyp entwickelt

„Aktuell haben wir erste Prototypen eines sogenannten Teaching Dashboards entwickelt, die wir ab dem Wintersemester in einem Kurs evaluieren werden“, so Seidel. Auf der re:publica 2024 fand das Thema großen Zuspruch. In der Diskussion zeigten sich vor allem Akteure aus dem Bildungsbereich überrascht, dass dieses Thema bislang kaum Aufmerksamkeit erhalten habe.

Hiergeht es zu den Eindrücken von Niels Seidel und seiner Präsentation auf der re:publica 24.