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Neugier auf das, was mit Bildungstechnologien möglich ist
[04.12.2024]Das AI.EDU Research Lab mit Claudia de Witt und ihrem Team ist CATALPA-Projekt der ersten Stunde. Schon seit 2018 erforschen sie, wie neuartige Bildungstechnologien didaktisch sinnvoll in der Hochschullehre eingesetzt werden können. Ein Interview mit Prof. Dr. Claudia de Witt, Silke Wrede und Lars van Rijn.
Sandra Kirschbaum: Lasst uns ganz am Anfang von AI.EDU starten. Wie entstand die Ursprungsidee?
Claudia de Witt: Unser grundlegender Treiber ist seit Beginn die Neugier, was mit innovativen Bildungstechnologien möglich ist. Wir möchten die Praxis der Hochschulbildung weiterentwickeln, sie innovativer machen, lernförderlicher. Start für das AI.EDU Research Lab war der durch uns ausgerichtete Mobile Learning Day im Jahr 2017. Das Thema Mobile Learning war damals neuartig und wir mit einigen Ideen schon damals vor unserer Zeit. Wir sind auf der Veranstaltung mit dem DFKI in Kontakt gekommen – der Start unserer Zusammenarbeit, seit einiger Zeit nun schon unter der Leitung von Prof. Dr. Niels Pinkwart.
Unsere gemeinsame Mission, die uns letztlich mit dem DFKI zusammenbrachte, war schon damals: Alle Studierenden auf ihrem Weg zu einem erfolgreichen Studium bestmöglich individuell zu unterstützen. Ganz am Anfang hatten wir die Vision von PIA, also einem Personal Intelligent Agent. Einem intelligenten Agenten, der Studierende in ihrem Studium unterstützt, z.B. in ihrer Motivation und Selbstregulation, aber auch ihre Leistung stärkt. Damals waren wir jedoch noch weit davon entfernt, dass so etwas möglich sein könnte.
Sandra Kirschbaum: Das war damals der Beginn vom AI.EDU Research Lab 1.0. Mittlerweile seid Ihr in die Phase 2.0 gestartet. Wo lag damals und wo liegt heute der Fokus?
Silke Wrede: In der ersten Phase von AI.EDU ging es zunächst um die Vermittlung und individuelle Aneignung von fachspezifischem Wissen. Dabei galt es die Möglichkeiten der Personalisierung des Lernens zu identifizieren, zu konzeptionieren und mit ersten „intelligenten“ Anwendungen zu experimentieren. Der Fokus in der zweiten Phase liegt nun in der Erforschung der Förderung von akademischen Kompetenzen. Unser Projekt ist eng an die dynamischen Entwicklungen im Themenfeld KI-Nutzung in der Lehre gekoppelt und hat diese aktiv begleitet und integriert.
Sandra Kirschbaum: Und was waren bisher Ihre zentralen Erkenntnisse?
Silke Wrede: Wir haben ein Educational Recommender-System entwickelt, das Studierende in Form von Empfehlungen in ihrem Lernprozess unterstützt. Ergebnisse aus der ersten Projektzeit, wie beispielsweise die Wissensaufbereitung eines Moduls in Form einer Ontologie, dienten zunächst der Verknüpfung zu relevanten Textstellen in Lerneinheiten. Sie bieten jetzt die Grundlage für Literaturempfehlungen. Im AI.EDU Research Lab 2.0 arbeiten wir aktuell daran, Recommender-Verfahren mit Large Language Models (LLMs) für die Unterstützung von Fachkompetenzen und wissenschaftlichen Herangehensweisen an eine Problemstellung, z. B. im Rahmen einer Hausarbeit, zu verbinden.
Recommender-Systeme und Ontologien
Im Privaten kennen wir Recommender-Systeme durch Produktempfehlungen. Im Bildungsbereich identifizieren sie z. B. aktuelle Wissensstände und greifen fachliche Interessen der Studierenden auf. Daraufhin bieten sie dann Unterstützung durch zusätzliche Informationen an, empfehlen nächste mögliche Lernschritte oder geben Anregungen zur Reflexion.
Ontologische Theorien beschäftigen sich damit, wie man die (soziale) Welt versteht, was sie ist und worauf man achten sollte, um sie besser zu verstehen. Im technischen oder informatischen Verständnis bezieht sich der Begriff auch auf ein System von Informationen mit logischen Relationen.
Sandra Kirschbaum: Wie sieht das dann in der Praxis genau aus?
Lars van Rijn: In einem Modul, in dem Studierende eigenständig ein Hausarbeitsthema erarbeiten sollen, wäre das zum Beispiel so:
Wir wollen die Studierenden dabei begleiten, ihr Hausarbeitsthema zu definieren. Exemplarisch untersuchen wir dies in einem bildungswissenschaftlichen Modul. Uns geht es darum, dass Studierende unterstützt werden, sich Kompetenzen anzueignen, wie etwa das Eingrenzen eines Themas in Form einer wissenschaftlichen Fragestellung, die auch zum Modul passt, oder die Fähigkeit, dafür relevante Literatur zu finden. Kommt also nun zum Beispiel eine Studierende mit einer Idee oder Fragestellung für die Hausarbeit, kann das Recommender-System Rückbezüge zum Modul herstellen und sagen, ob das Thema Bezug dazu hat, oder es kann zusätzliche Literaturempfehlungen geben. Wenn wir nun noch die Fähigkeiten von LLMs einbinden, die eben nicht nur empfehlen, sondern eben auch hervorragend erklären können, schaffen wir einen zusätzlichen Mehrwert. Denn ein LLM kann zum Beispiel herausstellen, warum eine Quelle relevant sein könnte.
Sandra Kirschbaum: Und wie kommt ihr hier zu Erkenntnissen, die in der Lehre helfen?
Silke Wrede: Ich habe in einer qualitativen Studie zum Beispiel die Interaktion Studierender mit generativen KI-Tools untersucht. Die Studierenden haben eine an das Modul angelehnte Aufgabe erhalten. Die Bearbeitung wurde dann mit der Methode des Lauten Denkens protokolliert. Dabei ließen sich ein paar Herausforderungen finden, die Studierende hatten: Bei wenig Erfahrung mit der Nutzung von ChatGPT oder Elicit hatten die Studierenden, wie erwartet, Schwierigkeiten, Prompts zu formulieren. Zudem fiel es ihnen schwer, Fähigkeiten und Grenzen der Tools adäquat einzuschätzen. Uns ist außerdem aufgefallen, dass es wenig Vielfalt und Kreativität in der Prompt-Generierung gab. Die Studierenden blieben vielmehr sehr eng an der Aufgabenstellung. Für uns ein Hinweis darauf, dass es Raum fürs Experimentieren und Erfahrung braucht, um einen kompetenten und konstruktiven Umgang mit generativer KI zu erlernen. Quantitative Folgestudien laufen bereits.
Claudia de Witt: Für uns zeigen diese Ergebnisse, wie wichtig es ist, dass Forschung die Perspektive darauf richtet, inwiefern Technologien für Bildung und Lernen sinnvoll sind, und dass wir Bildungstechnologien so einbinden, dass sie für die Lernenden einen tatsächlichen Mehrwert haben und hilfreich sind. Wir können nicht einfach KI um der Technologie willen einsetzen und dann läuft das schon. KI-Werkzeuge und -anwendungen mit didaktischem Anspruch zu erstellen, ist eine komplexe Herausforderung, die wir auch in den kommenden Jahren angehen. Dabei werden auch Datenschutz und ethische Fragen immer eine zentrale Rolle spielen.
Sandra Kirschbaum: Das ist doch die perfekte Überleitung zu einem Blick in die Zukunft. Wenn Sie sich wünschen könnten, was Ihre Arbeit in Zukunft für die Praxis bedeutet, was wäre das?
Claudia de Witt: Dann gäbe es für die Hochschulbildung intelligente Agenten oder Lernbegleiter, die datenschutzkonform Motivation und Leistung fördern – multifunktional und ohne Medienbruch. Im Grunde wäre das Idealbild immer noch die von Startvision von AI.EDU – nämlich PIA. Eine komplexe, multimodale digitale Intelligenz, die nicht nur eine Aufgabe beherrscht, sondern Termine im Blick hat, Unterstützung vorschlägt, Zeitpläne bei der Klausurvorbereitung überprüft, aber gleichzeitig bei den Lernenden Selbstbestimmung und Autonomie zulässt. Es hilft ja nicht, wenn eine KI alles für mich übernimmt. Sie soll mich in meiner Entwicklung unterstützen und nicht durch das Abnehmen aller Schwierigkeiten in der Entwicklung bremsen.
Silke Wrede: Ich würde mir ein System wünschen, das die Studierenden bedarfsorientiert unterstützt. In der qualitativen Forschung wurde sichtbar, dass Studierende ihre fachlichen Interessen mit Unterstützung der generativen KI ausarbeiten und ihre Fortschritte überprüfen möchten. Und genau da würde ich gerne ansetzen.
Lars van Rijn: Meine Hoffnung ist, dass wir technologische Unterstützung für oberflächliche Fragen haben, sodass Ressourcen frei werden, um in der Lehre dann noch häufiger als zuvor in die Tiefe gehen zu können. So bleibt mehr Zeit für die Art von Lehre, die wir uns alle wünschen – und wir wären einen großen Schritt weiter für eine intensivere persönlichere Betreuung im Studium. Routine-Aufgaben, die noch für Lehrende im Vordergrund stehen und die viele Ressourcen binden, werden dann durch KI-Assistenzen übernommen. Intensive inhaltliche Betreuung stand mit diesen Aufgaben oft in Konflikt. Genau das, wünsche ich mir, soll aber in Zukunft durch die KI-Unterstützung aufgelöst werden.