Gespräche am Tor - Karlsruher Begegnungen zu Wissenschaft, Politik und Kultur

Jürgen Schuhladen-Krämer im Online-Vortrag Foto: FernUniversität
Jürgen Schuhladen-Krämer im Online-Vortrag

Das Gedächtnis der Stadt

Karlsruhes Erinnerungskultur im Wandel der Zeit

13. November 2024, 18 Uhr
Jürgen-Schuhladen-Krämer

Flyer zur Veranstaltung (PDF 143 KB)

Die Karlsruher Erinnerungskultur als zivilgesellschaftliche Aufgabe – eine Bilanz aus dem „Maschinenraum“ des Stadtgedächtnisses

Erinnerungskultur gilt heute als bedeutendes Handlungsfeld städtischer Politik und Verwaltung. Wie andernorts wird ihr auch in Karlsruhe angesichts gesellschaftspolitischer Wandlungsprozesse große Bedeutung in Hinblick auf die Vermittlung der Werte Menschenrechte, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zugeordnet. Der letzte „Leitfaden zur Erinnerungskultur im öffentlichen Raum“ der Stadt Karlsruhe datiert vom September 2016 – insofern erschien es an der Zeit, einmal eine Zwischenbilanz der Karlsruher Erinnerungskultur in historischer Perspektive zu ziehen, auch um dabei auf zentrale Fragen für den künftigen Umgang mit der Stadtgeschichte aufmerksam zu machen.

Als ein im „Maschinenraum“ der Karlsruher Erinnerungskultur tätiger Akteur bilanzierte Jürgen-Schuhladen-Krämer (Stadthistoriker im Stadtarchiv Karlsruhe) kompetent den Wandel, den die städtische Erinnerungskultur in der Stadtgeschichte durchlief. Obwohl der Begriff selbst erst seit etwa 30 Jahren in den Kulturwissenschaften diskutiert wird, lässt sich Erinnerungskultur (und auch Erinnerungspolitik) mindestens bis in die Anfänge des Nationsbildungsprozesses zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. In der Tat zeichnete das seither angebrochene bürgerliche Zeitalter eine zunehmende Aufmerksamkeit für das Gedächtnis der Stadt aus, die sich in verschiedenen Formen Ausdruck im öffentlichen Stadtraum und Stadtleben verschaffte. Nach 1945 konnte an die zuvor praktizierte staatstragende Erinnerungspolitik nicht mehr umstandslos angeknüpft werden: In Hinblick auf die beiden Weltkriege und den Nationalsozialismus rechtfertigte der Referent die notwendige Auseinandersetzung mit einer „negativen Erinnerung“ als aktuelles „deutsches Spezifikum“.

In seinem historischen Gang durch das Gedächtnis der Stadt veranschaulichte Schuhladen-Krämer zunächst mit historischem und aktuellem Bildmaterial die das Karlsruher Stadtbild prägenden „haptischen“ Ausdrucksformen der Erinnerung in Form von Straßennamen und Denkmälern. Auch thematisierte er die Bedeutung von Gedenktagen und Erinnerungsveranstaltungen im öffentlichen Leben der Stadt. Dabei machte er deutlich, wie die vom Stadtarchiv gestaltete „offizielle“ Erinnerungskultur im Laufe der Zeit zunehmend auch von zivilgesellschaftlichen Initiativen zum Teil kontrovers begleitet wurde und wird: Herausragendes Beispiel hierfür war die Kritik an der selektiven Erinnerung an die verschiedenen Opfergruppen des Nationalsozialismus in der unmittelbaren Nachkriegszeit, die paradoxerweise auf einer Generalisierung des Opferbegriffs gründete („Opfer waren wir irgendwie alle!“). In diesem Zusammenhang verwies der Referent auch auf die Karlsruher Besonderheit eines seit 1964 „prominent im öffentlichen Raum“ aufgestellten Wehrmachtsdenkmals – das auf städtische und zivilgesellschaftliche Initiative hin durch eine entsprechende Stele inzwischen kritisch kommentiert wird. Von besonderem Interesse erscheint auch die von Schuhladen-Krämer wissenschaftlich fundierte Erläuterung der Positionierung von Stadt und Stadtarchiv in den heftigen Debatten, die in jüngerer Zeit – etwa im Zeichen des postkolonialen Diskurses – um die Umbenennung von Straßen kreisen.

Abschließend konstatierte der Referent als Aufgabe für die künftige Forschung die systematische Aufarbeitung nicht nur des Widerstands in Karlsruhe, sondern auch eine nähere Betrachtung der Täterseite. Auch problematisierte er sowohl eine mögliche Überfrachtung der Erinnerungskultur durch ihre pädagogische Vereinnahmung im Interesse der Aufrechterhaltung unserer demokratischen Gesellschaft als auch die Gefahr einer unkritischen und vereinfachten Erinnerung, die den komplexen historischen Zusammenhängen nicht gerecht werde. Anstelle einer alleinigen Deutungshoheit der Stadt rief er die städtische Zivilgesellschaft auf, durch eigene Initiativen – etwa zur kritischen Kommentierung umstrittener Denkmäler oder Straßennamen – an der Gestaltung der städtischen Erinnerungskultur mitzuwirken. „Erinnerungskultur benötigt stetige Erneuerung und durchaus auch die eigene Infragestellung – damit sie für die Zukunft lebendig bleibt!“

Jürgen Schuhladen-Krämer, M.A., geb. 1960, Stadthistoriker im Stadtarchiv Karlsruhe, ist seit langen Jahren mit Erinnerungskultur befasst und betreut u.a. das „Gedenkbuch für die Karlsruher Juden“. Er hat mehrere Publikationen zu den nationalsozialistischen Verbrechen in Karlsruhe und anderen stadtgeschichtlichen Themen vorgelegt.

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