Gespräche am Tor - Karlsruher Begegnungen zu Wissenschaft, Politik und Kultur

Erhard Korn im Online-Vortrag Foto: FernUniversität
Erhard Korn im Online-Vortrag

Helden für den Führer

Lehrkräfte und Schule im Nationalsozialismus

17. April 2024, 18 Uhr
Erhard Korn

Flyer zur Veranstaltung (PDF 147 KB)

Pädagogische Mobilmachung gegen die liberale Tradition – die Gleichschaltung von Schule und Lehrerschaft in Baden

Am 30. Januar 1933 wähnte sich eine Lehrerin angesichts des Fackelzugs der Nationalsozialisten durch das abendliche Karlsruhe „berauscht vor Begeisterung […] wie in einer süßen Wolke von Weihrauch“. Fast auf den Tag genau ein Jahr später besiegelte das „Gesetz für die Grund- und Hauptschule“ (29. Januar 1934) die nationalsozialistische Gleichschaltung der badischen Schulen. Zum 90. Jahrestag dieses Gesetzes luden die „Gespräche am Tor“ dazu ein, sich näher mit jener „Vernebelung von Gehirnen“ auseinanderzusetzen, welche die oben zitierte Karlsruher Lehrerin verspürte und „die kurz vorher in Baden unvorstellbar war“, wie der Referent anfangs betonte.

Erhard Korn (Stellvertretender Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg) führte das Publikum auf eine „kleine Reise durch Baden“, auf der er die nationalsozialistische „Gleichschaltung“ der badischen Schulen anhand ausgewählter Schulorte – von Karlsruhe über Lahr und Radolfzell sowie Mannheim wieder zurück nach Karlsruhe – mit umfangreichem Detailwissen vertiefte. Die auf diesem Rundgang hier und da aufgedeckten nationalsozialistischen Spuren in der badischen Schulpolitik verdichteten sich zu einem beeindruckenden Gesamtbild, das manch erschreckende Erkenntnisse in sich barg. So erläuterte Erhard Korn für die Anfangsphase des aufsteigenden Nationalsozialismus, wie die Weimarer Republik „aus sich selbst heraus untergegangen“ sei, weil ihre Träger (also vor allem SPD, Zentrum und DDP) dem Rechtsdruck der antidemokratischen Kräfte nachgaben. Auch den überraschenden Wechsel mancher Volksschullehrer in das nationalsozialistische Lager machte der Referent verständlich: Diese stellten zwar nach 1918 die einzige republikanisch gesinnte Beamtengruppe, die sich aber in der weiteren Entwicklung angesichts der frustrierenden, den Sparzwängen der Weimarer Zeit geschuldeten Mängel in der Schulpolitik mitunter anfällig für rechtsradikale Positionen zeigte. So wie nach 1933 in NS-Deutschland der Staat mit den Parteiinstanzen völlig verschmolz, diente fortan auch der Nationalsozialistische Lehrerbund (NSLB) als Steuerungselement der Schulentwicklung, dem sich die im Amt verbliebene Lehrerschaft weitgehend unterordnete – um damit einer Schulpolitik zu dienen, die in Hinblick auf die nationalsozialistischen Großmachtpläne von Anfang an darauf abzielte, „Helden für den Führer“ hervorzubringen, also die Wehrfähigkeit von Schule und Schülerschaft für den angestrebten großen Krieg herzustellen. Mit dieser Schulpolitik setzte das NS-Regime eine „pädagogische Mobilmachung“ in Gang, deren Erfolg sich auch der Mitwirkung großer Teile der Lehrerschaft verdankte.

Die anschließende Diskussion mit dem online zugeschalteten und in Präsenz am Campus Karlsruhe versammelten Publikum vertiefte einige im Vortrag nur kurz angerissenen Fragen. So erörterte man das Schicksal der von der NS-Verfolgung betroffenen Lehrer, die aus dem Schuldienst gedrängt wurden, insbesondere wie die im Vortrag genannten weitgehend vergessenen Opfer (Lazarus Mannheimer, Alfred Kanzler) zu Tode kamen, andere die NS-Zeit überlebten. Als weitere Forschungslücke wurde die im benachbarten Elsass vom NS-Regime betriebene „Germanisierung“ angesprochen. Eine bereits bei den vorherigen „Gesprächen“ thematisierte Grundsatzfrage stellte sich abschließend erneut: Wie lässt sich der Erfolg der nationalsozialistischen Gleichschaltung der Schulen im Land mit der demokratisch-liberalen Tradition Badens vereinbaren? Eine fortgesetzte Auseinandersetzung mit diesem historischen Widerspruch scheint lohnend.

Erhard Korn, geb. 1951, studierte Politikwissenschaft, Germanistik und Geschichte; er arbeitete in der Lehrerbildung, als Redakteur der Zeitschrift „unterrichtspraxis“ der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und als Schulleiter. Seit längerem forscht und publiziert er über die Geschichte der Lehrerbewegung und der Gewerkschaften sowie über Rechtspopulismus und Demokratiebildung. Zudem ist er aktiv im Vorstandsbereich Grundsatzfragen der GEW und als Stellvertretender Vorsitzender der Rosa Luxemburg Stiftung Baden-Württemberg.

Weiterführende Literaturhinweise:

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