Gespräche am Tor - Karlsruher Begegnungen zu Wissenschaft, Politik und Kultur
Vom Preußendenkmal zur Straße der Demokratie –
die badische Revolution von 1848/49 in der Erinnerungskultur der Stadt Karlsruhe
19. April 2023, 18 Uhr
Dr. Ernst Otto Bräunche
Flyer zur Veranstaltung (PDF 141 KB)
Auf den Spuren der Erinnerung an die badische Revolution von 1848/49 – ein Streifzug durch 175 Jahre Karlsruher Stadtgedächtnis
„Die Stadt Karlsruhe war zwar ein zentraler Ort, aber kein Motor der Revolution von 1848/49,“ gab Dr. Ernst Otto Bräunche (Leiter i.R. von Stadtarchiv & Historische Museen der Stadt Karlsruhe) am Anfang seiner Ausführungen über die städtische Erinnerungskultur zur badischen Revolution von 1848/49 zu bedenken. Anlässlich des 175. Jahrestages jener Revolution hatten die „Gespräche am Tor“ zur Reflexion über die sich wandelnde Erinnerung an die Revolution im Karlsruher Stadtgedächtnis geladen. Letzteres hatte der Referent als langjähriger Leiter des Karlsruher Stadtarchivs seit 1985 maßgeblich mitgeprägt. Vor diesem Erfahrungshintergrund führte Ernst Otto Bräunche kenntnisreich durch die Erinnerungsgeschichte in den einzelnen Epochen, deren Wandel er anhand bedeutender Jubiläumsjahre und unter Rückbindung auf die politische Kultur des betreffenden Zeitraums epochenspezifisch verständlich machte.
Kam es im unmittelbaren, noch von der preußischen Besatzung geprägten Nachmärz in Karlsruhe zur Einweihung des Preußendenkmals am dritten Jahrestag der Kapitulation der Festung Rastatt (23.07.1852), so verwies der Referent für das Kaiserreich ab 1871 auf eine deutliche parteipolitische Ausdifferenzierung des Erinnerns. Diese entsprang vor allem der permanenten Konfrontation zwischen Sozialdemokraten und Nationalliberalen, deren staatstragende Gedenkpolitik in der Errichtung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals in der Karlsruher Innenstadt gipfelte (18.10.1897). Doch auch der liberal-demokratische Flügel im Ständehaus stellte etwa in der Person des Abgeordneten Oskar Muser (1850-1935) das nationalliberale Narrativ von der vermeintlichen Erfüllung der revolutionären Ziele von 1848/49 durch die Reichseinigung von 1871 heftig in Frage. Noch zu Beginn der Weimarer Republik erhob dann die USPD den Anspruch, die revolutionären Zielsetzungen von 1848/49 eingelöst zu haben. Infolge der bald einsetzenden Nöte und Krisen der ersten deutschen Demokratie und ihrer anschließenden Ablösung durch den Nationalsozialismus bot erst die unmittelbare Nachkriegszeit die Gelegenheit zur Wiederaufnahme der Erinnerung an 1848/49, wobei die städtische Gedenkpolitik zunächst stark vom Einfluss der Besatzungsmächte Frankreich und USA abhing. In diesem Zusammenhang bedauerte Bräunche den Verlust zahlreicher Erinnerungsstücke aus dem 1865 gegründeten Stadtarchiv, für den er die Besatzungsmächte in der Verantwortung sah. Nach der Wiedervereinigung bildete die 1998 landesweit ausgerichtete 150-Jahr-Feier einen weiteren Höhepunkt der Erinnerungskultur, an der sich auch die Stadt Karlsruhe durch bedeutende Initiativen beteiligte, über die der Referent nun als Zeitzeuge berichten konnte. Aus erster Hand erfuhr man somit die Hintergründe des damals initiierten Projekts „Straße der Demokratie“, das die Geschichte der deutschen Freiheitsbewegungen von Frankfurt bis Lörrach dokumentierte, womit Bräunches Gang durch die Erinnerungsgeschichte in der Gegenwart angekommen war – nämlich bei der Bundesstiftung „Orte der Demokratie“, die unter Anknüpfung an die „Straße der Demokratie“ die Gedenkkultur im Jubiläumsjahr 2023 bestimmt.
Der Austausch mit dem in Präsenz versammelten und online zugeschalteten Publikum kreiste um die Frage der reservierten Haltung Karlsruhes gegenüber der radikal-demokratischen Richtung der Revolution, die der gemäßigt-liberalen Mehrheit im Ständehaus und der großherzoglichen Loyalität der Bürgerschaft entsprang. Auch die Umwidmung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals seit 1998/2002 durch die vor Ort ergänzte Erinnerung an die erschossenen Revolutionäre wurde kritisch besprochen. Schließlich konstatierte man das Fehlen einer Karlsruher Gedenkstätte für die demokratisch-freiheitliche Tradition Badens, die an das komplexe Ausstellungskonzept etwa des Offenburger Salmen heranreichte und angesichts des hierzulande und weltweit spürbaren antidemokratischen Gegenwinds umso wichtiger erscheint.
Ernst Otto Bräunche, Dr., geb. 1954, war 1985-2020 Leiter des Stadtarchivs, seit 1998 von Stadtarchiv & Historische Museen der Stadt Karlsruhe. Seine Forschungs- und Arbeits-schwerpunkte liegen im Bereich der Parteiengeschichte, der südwestdeutschen Landesgeschichte sowie der Karlsruher Stadtgeschichte.
Weiterführende Ressourcen:
- Ernst Otto Bräunche, Karlsruhe im Vormärz und in der Revolution 1848/49, in: Karlsruher Beiträge Bd. 6, Karlsruhe 1991, S. 107-125.
- Susanne Asche/Ernst Otto Bräunche (Hg.), Die Straße der Demokratie. Ein Routenbegleiter auf den Spuren der Freiheit, Karlsruhe 2007.
- Birgit Erwin/Ulrich Buchhorn, Die Farben der Freiheit. Historischer Roman, Meßkirch 2013.
- Frank Winter, Den Feigen tritt jeder Lump! Roman, Münster 2019.
- Stadt Karlsruhe: Karlsruhe und die Revolution 1848/49:
https://stadtgeschichte.karlsruhe.de/revolution1848/49 - Ernst Otto Bräunche, Revolution 1848/49:
https://stadtlexikon.karlsruhe.de/index.php/De:Lexikon:ereig-0225 - Erinnerungskultur der Stadt Karlsruhe: https://stadtgeschichte.karlsruhe.de/erinnerungskultur
- Orte der Demokratie Geschichte:
https://demokratie-geschichte.de/ - Klaus Gülker/Sieben Jauchert, 175 Jahre Revolution 1848/49:
https://www.badische-revolution1848.de/
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