Gespräche am Tor - Karlsruher Begegnungen zu Wissenschaft, Politik und Kultur
Die Rosenburg –
Das Bundesjustizministerium im Schatten der NS-Vergangenheit
6. März 2023, 18 Uhr
Vortrag zur Ausstellungseröffnung von Jens Rommel (Richter am BGH Karlsruhe)
Eine Veranstaltung des Bundesministeriums der Justiz in Kooperation mit dem Regierungspräsidium Karlsruhe, dem Campus Karlsruhe der FernUniversität in Hagen, dem Dimitris-Tsatsos-Institut für Europäische Verfassungswissenschaften an der FernUniversität und dem Förderverein FORUM RECHT e.V.
Programm der Eröffnungsveranstaltung (PDF 322 KB)
Die verspätete Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des Bundesjustizministeriums – eine nachdenkliche Karlsruher Ausstellungseröffnung
„Furchtbare Juristen“ wirkten in der Bonner Rosenburg, dem Sitz des Bundesjustizministeriums in den 1950er und 1960er Jahren. Damit verwies Benjamin Strasser, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz, auf die „Zweite Schuld“ (Ralph Giordano), welche die junge Bundesrepublik durch ihren Umgang mit der NS-Vergangenheit auf sich lud. Im damaligen beruflichen Selbstverständnis der Juristen als unpolitische „Rechtstechniker“ identifizierte Strasser ein wesentliches Motiv für ihre Mittäterschaft im Nationalsozialismus und ihren bruchlosen Karriereverlauf nach 1945.
Zur Eröffnungsveranstaltung der Wanderausstellung über eben jene NS-Verstrickung des Bundesjustizministeriums hatte Sylvia M. Felder, Präsidentin des Regierungspräsidiums Karlsruhe, die zahlreich erschienene Stadtöffentlichkeit in ihr Haus geladen. Auch Vertreter der Stadt- und Justizverwaltung sowie der Bundesgerichte hatten sich eingefunden. In ihrer Begrüßung betonte Felder die Bedeutung, welche diese Veranstaltung und Ausstellung gerade in der „Residenz des Rechts“ für die öffentliche Selbstvergewisserung über die demokratischen Grundlagen des Rechtsstaates haben.
Die Kontinuität zur NS-Rechtsprechung und das in der Nachkriegszeit fortgesetzte Unrecht – „sie sind so erschreckend, dass sich die Frage stellt, wie sich die Bundesrepublik im langen, bis in die 1970er Jahre hineinreichenden Schatten dieser Vergangenheit dennoch zu einem funktionierenden demokratischen Rechtsstaat entwickeln konnte“, konstatierte Werner Daum, Verfassungshistoriker und Leiter des Campus Karlsruhe der FernUniversität in Hagen, in seinem Grußwort.
In seinem Fachvortrag bot Jens Rommel, Richter am Bundesgerichtshof Karlsruhe und ehemaliger Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg, einen fundierten Überblick zum strafrechtlichen Umgang mit dem NS-Unrecht in der Bundesrepublik. Anhand zentraler Grundsatzentscheidungen der Rechtsprechung, darunter das BGH-Revisionsurteil zum Frankfurter Auschwitz-Prozess vom 20.02.1969, veranschaulichte Rommel die verzögerte Verfolgung der NS-Verbrechen – um die diesbezüglichen Gerichtsurteile als „zu spät, zu milde, zu wenige“ zu bilanzieren.
Den anschließenden Empfang bereicherte die kenntnisreiche Führung durch die Ausstellung, die Alexander Grapentin, Ministerialrat und Referatsleiter des Sachbereichs „Justiz im Wandel“ im Bundesministerium der Justiz, anbot. Diese erlaubte die Vertiefung zentraler Befunde der „Akte Rosenburg“, also des Abschlussberichts der Historikerkommission zur NS-Vergangenheit des Ministeriums, die in der Ausstellung in neun thematischen Bereichen veranschaulicht werden. So visualisierte gleich die erste Stele einen so erschreckenden wie plastischen Eindruck von der NS-Belastung des Rosenburg-Personals, die sich auf der „Schattenseite“ der schwenkbaren Namensschilder etwa eines Dr. Geßlers nachlesen lässt: Der um 1957 im BMJ als leitender Ministerialbeamte tätige Jurist entpuppt sich als ehemaliges NSDAP-Mitglied und SA-Scharführer.
Die Idee zur Karlsruher Ausstellung geht auf den Campus Karlsruhe der FernUniversität zurück, der sich im Rahmen seiner öffentlichen Veranstaltungsreihe „Gespräche am Tor“ seit 2018 dafür einsetzte. In seinem Grußwort würdigte Campusleiter Werner Daum die gute Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium der Justiz und dem Regierungspräsidium Karlsruhe: „Dank der ausdauernden Unterstützung namentlich Isabel Hankes im BMJ und Joachim Fischers im Regierungspräsidium ist es gelungen, das Thema nach den pandemiebedingten Hindernissen nun endlich auch in der ‚Residenz des Rechts‘ öffentlich zur Diskussion zu stellen.“
Nicht zuletzt konnten die Gespräche am Tor, die seit nahezu zehn Jahren die verfassungs- und rechtsgeschichtlichen Hintergründe der Stadt- und Regionalgeschichte in den Fokus nehmen, im Vorfeld der Ausstellungseröffnung auf die Mitwirkung zweier altbewährter Kooperationspartner setzen: des Fördervereins FORUM RECHT e.V. Karlsruhe-Leipzig und des Dimitris-Tsatsos-Instituts für Europäische Verfassungswissenschaften an der FernUniversität in Hagen. „Alle drei Initiativen bringen eine kontinuierliche, lebendige und auch wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den verfassungs- und rechtsstaatlichen Grundlagen unseres Landes und Europas in die Öffentlichkeit ein, um die gesellschaftliche Fundierung unserer Rechts- und Verfassungsordnung zu fördern“, erläuterte Werner Daum.
„Was lernen wir aus dieser NS-Vergangenheit der Rosenburg?“, fragte Alexander Grapentin zum Ausklang seiner Führung durch die Ausstellung. In der Tat hat das Bundesministerium der Justiz aus den Erkenntnissen der „Akte Rosenburg“ und der die Ausstellung begleitenden zahlreichen Symposien inzwischen zwei konkrete Konsequenzen gezogen, welche die künftige Rechtskultur in Deutschland maßgeblich beeinflussen dürften: Die 2021 beschlossene Neufassung von § 5a des Deutschen Richtergesetzes erklärte das NS-Unrecht zum Pflichtstoff der universitären Juristenausbildung; zugleich kündigte Bundesjustizminister Marco Buschmann eine umfangreiche Überprüfung des gesamten deutschen Gesetzeswerkes an, um daraus Rechtskonzepte aus der NS-Zeit zu entfernen.
Im Ergebnis hat die Veranstaltung zutage gefördert, dass die „Akte Rosenburg“ und die zugehörige Ausstellung zwar kaum noch im Beisein von Tätern und Opfern diskutiert werden können – was als Schande für die häufig als vorbildhaft bewertete deutsche Aufarbeitung der NS-Vergangenheit anmutet. Dennoch erscheint es als hilfreich und lobenswert, dass wir überhaupt noch an solchen Erkenntnissen partizipieren können, um einer Wiederkehr der geschilderten Missstände vorzubeugen. Dabei wird nur die Stärkung eines demokratischen, auf die freiheitlichen Werte des Grundgesetzes verpflichteten Berufsethos der Juristen verhindern können, dass diese im falschen Selbstverständnis bloßer Rechtstechniker zum Instrument staatlicher Willkür werden.
Weitere Ressourcen zur Vertiefung:
- Die Akte Rosenburg. Das Bundesjustizministerium im Schatten der NS-Vergangenheit (Wanderausstellung).
- Manfred Görtemaker/Christoph Safferling, Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit, München 2016 (Buchveröffentlichung).
- Hubert Seliger: Rezension zu: Manfred Görtemaker/Christoph Safferling, Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit, München 2016; in: H-Soz-Kult, 02.02.2017.
- Die Akte Rosenburg – das BMJ und die NS-Zeit, Stand: Berlin 1. März 2022 (PDF).
- Die Akte Rosenburg (Projektseite des BJM).
- Karl Gorath (1912-2003) – ein beispielhaftes Schicksal für die Kontinuität des NS-Unrechts
- Stephan Alexander Glienke, NS-Justizverbrechen zwischen Aufarbeitung und Kaltem Krieg - Beispiele „ungesühnter Nazijustiz“ in Karlsruhe und anderswo im Musterländle (Gespräche am Tor vom 17.06.2020)
Ihre Rückmeldung
E-Mail: Ihr Kommentar bzw. Ihre Nachfrage
Konnten Sie an der Veranstaltung nicht teilnehmen und/oder haben Sie Kommentare und Nachfragen zum Inhalt des Vortrags? Wir leiten diese an den Referenten weiter (falls Sie eine Rückantwort wünschen, bitte E-Mail-Kontakt mit angeben).