Gespräche am Tor - Karlsruher Begegnungen zu Wissenschaft, Politik und Kultur
Karl von Rotteck und Carl Theodor Welcker –
zwei frühliberale Wortführer im badischen Ständehaus
05. Oktober 2022, 18 Uhr
Prof. Dr. Ewald Grothe
Flyer zur Veranstaltung (PDF 995 KB) (PDF 1 MB)
200 Jahre Karlsruher Ständehaus – die Geburtsstunde des badischen Liberalismus
Karl von Rotteck (1775-1840) und Carl Theodor Welcker (1790-1869) – „viel zu häufig werden sie in einem Atemzug genannt“, konstatierte Prof. Dr. Ewald Grothe zu Beginn seines Vortrags. In dessen Mittelpunkt stand das gemeinsame Wirken beider Wortführer des badischen Frühliberalismus in der Zweiten Kammer des Karlsruher Ständehauses im Zeitraum 1831-1840. Anlässlich des 200. Jahrestages der Eröffnung dieses ersten Parlamentsgebäudes auf deutschem Boden beleuchtete der Referent den von der geschichtswissenschaftlichen Forschung lange vernachlässigten Beitrag Rottecks und Welckers zur Geschichte nicht nur des badischen, sondern auch des gesamtdeutschen Parlamentarismus.
In der Tat gelten beide Frühliberale meist vor dem Hintergrund ihres publizistischen Engagements – insbesondere ihrer gemeinsamen Herausgeberschaft an der „Bibel des vormärzlichen Liberalismus“ (Staats-Lexicon oder Encyklopädie der Staatswissenschaften, 15 Bde., Altona 1834-1843) – als maßgebliche Vordenker im Diskurs über die politischen Ideen und Verfassungsvorstellungen jener Epoche. „Die ältesten Prototypen des politischen Professors“ sorgten aber auch durch ihre parlamentarische Arbeit im badischen Ständehaus für eine gesamtdeutsche Ausstrahlung mancher politischen Debatten – und zwar mit durchaus unterschiedlichen Positionen. Anhand ihrer spektakulären Eingaben und Anträge zur Pressefreiheit und zu einer Reform des Deutschen Bundes sowie ihrer Position zur Frage der Judenemanzipation arbeitete Ewald Grothe einige grundlegende Differenzen im politischen Denken Karl von Rottecks und Carl Theodor Welckers heraus, womit er das in der historischen Liberalismusforschung lange vorherrschende Bild der untrennbaren Verbundenheit zweier „Dioskuren“ plausibel korrigierte.
Der anschließende Austausch mit dem auch online zugeschalteten Publikum kreiste um die Bedeutung eines sich wandelnden Parlamentarismusbegriffs und die Vorbehalte Rottecks gegenüber einer staatsbürgerlichen Gleichstellung der Juden, die er von deren kulturellen Assimilation abhängig gemacht wissen wollte. Auch das Verhältnis zwischen badischem und gesamtdeutschem Liberalismus wurde vertieft: Während Rotteck in der badischen Verfassung von 1818 die „Geburtsstunde des badischen Volkes“ erkannte, schien Welcker bereits 1831 mit seiner Aufsehen erregenden Motion für eine deutsche Repräsentativversammlung die spätere nationalrevolutionäre Entwicklung vorwegzunehmen, die er 1848/49 durch sein Engagement in der Frankfurter Paulskirche aktiv mitgestalten wird. In der Bilanz hat die Veranstaltung am Beispiel des parlamentarischen Wirkens Karl von Rottecks und Carl Theodor Welckers im Karlsruher Ständehaus die Geburtsstunde des sprichwörtlichen badischen Liberalismus lebendig werden lassen.
Ewald Grothe, geb. 1961, ist seit 2009 außerplanmäßiger Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal und seit 2011 Leiter des Archivs des Liberalismus der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Gummersbach. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Verfassungsgeschichte, der Wissenschaftsgeschichte, der Liberalismusgeschichte und der Brüder Grimm.
Weiterführende Literaturhinweise:
- Hans-Peter Becht/Ewald Grothe (Hg.), Karl von Rotteck und Karl Theodor Welcker: liberale Professoren, Politiker und Publizisten, Baden-Baden 2018.
- Ewald Grothe, Zwischen Geschichte und Recht: deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900 – 1970, München 2005 (Rezension).
- Hans-Peter Becht, Handbuch der Badischen Ständeversammlung und des Badischen Landtags 1819-1933 (=[Sonder-] Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg), Stuttgart 2021.
Zur Aufzeichnung des Vortrags (.mp4-Datei)
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