Gespräche am Tor - Karlsruher Begegnungen zu Wissenschaft, Politik und Kultur
„... sie hatten noch die Frechheit zu weinen ...“
Die Verfolgung der Juden in Karlsruhe 1933 – 1945
7. November 2018, 18 Uhr
Dr. Ernst Otto Bräunche
Flyer zur Veranstaltung (PDF 1 MB)
Zum 80. Jahrestag der Reichspogromnacht – Erinnerung an die Verfolgung der Juden in Karlsruhe 1933-1945
Auch die Karlsruher Synagogen in der Karl-Friedrich- und Kronenstraße brannten am 9. November 1938 und „tausend und mehr Personen“, so ein Zeitzeuge, wohnten dem Abtransport der Juden in der Kaiserstraße bei. Anlässlich des 80. Jahrestages der Reichspogromnacht referierte Dr. Ernst Otto Bräunche, Leiter von Stadtarchiv & Historische Museen der Stadt Karlsruhe, in den „Gesprächen am Tor“ über die Verfolgung der Juden in Karlsruhe 1933-1945.
Diese Verfolgung „traf Menschen, die sich schon seit der Stadtgründung in Karlsruhe niedergelassen hatten“, präzisierte der Referent gleich zu Beginn seiner Ausführungen. Der Vortrag spannte einen Bogen von den Ursprüngen der jüdischen Präsenz in Karlsruhe über die ersten antisemitischen Tendenzen in Kaiserreich und Weimarer Republik bis hin zur nationalsozialistischen Verfolgung und dem Neubeginn in der Nachkriegszeit. Im Zentrum standen der unmittelbar nach Hitlers „Machtergreifung“ einsetzende sog. Judenboykott, die Ausschaltung der Karlsruher Juden aus dem öffentlichen Wirtschafts- und Kulturleben, ja sogar den städtischen Bädern, dem Sport (KFV), der Messe, und die Zerstörung ihrer Synagogen, die Deportation in das südfranzösische Lager Gurs und die Ermordung in Auschwitz und anderen KZ. Mit begleitendem historischen Bild- und Archivmaterial veranschaulichte Ernst Otto Bräunche die Zerstörung einer jüdischen Gemeinschaft, die einst eine der größten jüdischen Gemeinden in Baden mit maßgeblichem Stellenwert im öffentlichen Leben der ehemaligen Landeshauptstadt repräsentiert hatte. In der Tat: Auf Verfolgung, Vernichtung und Emigration folgte nach 1945 ein Neuanfang mit 39 jüdischen Gemeindemitgliedern in Karlsruhe, das 1933 noch mehr als 3.000 jüdische Einwohner gezählt hatte.
Im Anschluss an den Vortrag bezogen sich viele Kommentare und Wortbeiträge des Publikums auf den beunruhigenden Umstand, wie rasch die nationalsozialistische Verfolgungs- und Vernichtungspolitik unter Anknüpfung an bereits zuvor in der Gesellschaft verankerte antisemitische Stereotype vor den Augen einer Stadtöffentlichkeit umgesetzt werden konnte, deren widerständiges Potential der Referent auf „einen verschwindend geringen Teil der Karlsruher Bevölkerung“ eingrenzte. Nicht zuletzt angesichts jüngerer rechtspopulistischer Tendenzen in unserer Gesellschaft betonten viele Kommentatoren im Sinne des abschließenden Appells Ernst Otto Bräunches die Notwendigkeit zur Wachsamkeit, um sich der aktuell drohenden Wiederkehr ähnlicher gesellschaftlicher Verwerfungen entgegenzustellen.
Ernst Otto Bräunche, geb. 1954, ist seit 1985 Leiter des Stadtarchivs, seit 1989 Leiter von Stadtarchiv & Historische Museen der Stadt Karlsruhe. Er ist u. a. Vorsitzender der Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag und stellvertretender Vorsitzender des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Parteien und Wahlgeschichte sowie die südwestdeutsche Stadt und Landesgeschichte.
- Veranstaltungsbericht von Heinz Klusch, in: Badische Neueste Nachrichten vom 09.11.2018, S. 24
- Ernst Otto Bräunche, Art. Juden, in: Karlsruher Stadtlexikon 2015
- Gedenkbuch für die Karlsruher Juden