Gespräche am Tor - Karlsruher Begegnungen zu Wissenschaft, Politik und Kultur
Der Fall Brüsewitz
Wie ein Mord in Karlsruhe 1896 das Kaiserreich erschütterte
12. Oktober 2016, 18 Uhr
Dr. Bernd Braun
Flyer zur Veranstaltung (PDF 236 KB)
Ein Karlsruher Mordfall erschütterte 1896 die in- und ausländische Öffentlichkeit – und beschäftigt 120 Jahre später immer noch Historiker und Juristen in den „Gesprächen am Tor“
„Am späten Abend des 11. Oktober 1896 betrat der Mechaniker Theodor Siepmann das Lokal ‚Tannhäuser‘ in Karlsruhe“ - mit diesen Worten führte Dr. Bernd Braun im dortigen Regionalzentrum der FernUniversität auf den Tag genau 120 Tage später in das brisante Thema seines Vortrags ein: In der Tat sollte Siepmann den Ort des Geschehens nicht mehr lebend verlassen, denn er wurde vom preußischen Premierleutnant Henning von Brüsewitz aus nichtigem Streitanlass erstochen. Den Mordfall und die sich daraus in der Öffentlichkeit des Kaiserreichs entwickelnde äußerst lebhafte Debatte hat der Referent, der als stellvertretender Geschäftsführer der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg tätig ist und am Historischen Seminar der dortigen Universität lehrt, unter Heranziehung zahlreicher Quellen (Presse, Satireblätter, Reichstagsdebatten) detailliert rekonstruiert.
Obwohl die Tat im geheimen Verfahren durch ein Militärgericht äußerst milde abgehandelt wurde, wovon im Übrigen bis heute keine Akten überliefert sind, „brachte [sie] berechtigte Erregung in ganz Deutschland hervor“, wie kurz darauf im fernen Berliner Reichstag festgestellt wurde. Der sog. „Fall Brüsewitz“ generierte nicht nur Schlagzeilen in der badischen und überregionalen Tagespresse des Kaiserreichs sowie treffende Karikaturen in Satireblättern und Flugschriften, sondern beschäftigte auch die Öffentlichkeit in anderen europäischen Staaten. Im Fokus der kritischen Debatte stand die Institution des Militärs als Staat im Staate und insbesondere das damit verbundene Duellwesen. In dieser Hinsicht wurde der Fall Brüsewitz in der Forschung auch als Karlsruher Vorläufer der späteren Zabern-Affäre gedeutet, bei der ein Übergriff deutscher Militärs gegen die elsässische Zivilbevölkerung in Saverne 1913 den Reichstag zum – eigentlich verfassungsrechtlich gar nicht vorgesehenen und auch folgenlos gebliebenen – Misstrauensvotum gegen die Regierung veranlasste.
In der anschließenden Diskussion brachte das sich im Regionalzentrum Karlsruhe eingefundene Publikum auch in seiner Zusammensetzung das große Interesse der in der „Residenz des Rechts“ versammelten Justizvertreter an diesem historischen Fall zum Ausdruck. Gemeinsam mit dem Referenten spürte man der gesellschaftlichen Grundstimmung im Kaiserreich nach, um zu einem besseren Verständnis des historischen Ereignisses zu gelangen. Einig waren sich Referent und Publikum in der Feststellung, dass entgegen der Schlussfolgerung mancher Forschung der Fall Brüsewitz insbesondere in verfassungsgeschichtlicher Hinsicht keineswegs als „badische Zabern-Affäre“ gelten kann, auch wenn er noch am Vorabend des Ersten Weltkriegs durchaus eine sprichwörtliche Bedeutung im öffentlichen politischen Diskurs besaß.
Bernd Braun, geb. 1963, wurde mit einer Biographie über den Sozialexperten der SPD-Reichstagsfraktion im Kaiserreich, Hermann Molkenbuhr, promoviert; er ist stellvertretender Geschäftsführer der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg und Lehrbeauftragter am Historischen Seminar der Universität Heidelberg.