Gespräche am Tor - Karlsruher Begegnungen zu Wissenschaft, Politik und Kultur
„Stoßtrupp“ gegen den Liberalismus
Der Briefwechsel zwischen den NS-„Kronjuristen“ Carl Schmitt und Ernst Rudolf Huber 1926-1981
15. Juni 2016, 18 Uhr
Prof. Dr. Ewald Grothe
Flyer zur Veranstaltung (PDF 234 KB)
Vom unterschiedlichen Umgang mit der eigenen deutschen Vergangenheit – brisante Einblicke in zwei Juristenleben des 20. Jahrhunderts in den „Gesprächen am Tor“
Carl Schmitt (1888-1985) und sein Schüler Ernst Rudolf Huber (1903-1990) gelten der Forschung mal als ‚bedeutendste deutsche Juristen des 20. Jahrhunderts‘, mal als ‚Kronjuristen des Nationalsozialismus‘. In diesem von der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung eröffneten Spannungsfeld positionierte sich Prof. Dr. Ewald Grothe mit seinem Vortrag im Regionalzentrum Karlsruhe, der den Briefwechsel beider Juristen zum Gegenstand hatte. Der Leiter des Archivs des Liberalismus der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (Gummersbach) und Neuzeithistoriker an der Universität Wuppertal hat diesen Briefwechsel mit einer jüngst erschienenen gewichtigen Edition (220 Briefe und weitere autobiografische Dokumente) erstmals für die Wissenschaft erschlossen.
Über mehr als fünf Jahrzehnte und zwei politische Systemwechsel hinweg dokumentiert die Edition zunächst das Einschwenken Carl Schmitts und Ernst Rudolf Hubers auf eine apologetische Haltung gegenüber Führerstaat und Antisemitismus, zu der sie sich in ihrer publizistischen Tätigkeit auch eindeutig bekannten und diese damit rechtswissenschaftlich begründeten. So rechtfertigte Schmitt beispielsweise mit seinem Aufsatz „Der Führer schützt das Recht“ (1934) die sog. Röhm-Morde; Huber legte mit seiner „Verfassung“ (1937) eine grundlegende Darstellung zum NS-Staatsrecht vor. Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes bedauerte Schmitt allenfalls das Misslingen des diktatorischen Staatsmodells, ohne seine Haltung prinzipiell zu hinterfragen. Dies brachte ihn zunehmend auf Distanz zu seinem Schüler, der sich frühzeitig einer kritischen Reflexion über die eigene Verstrickung in das nun als Unrecht erkannte NS-Regime öffnete. „In der Tat entwickelte Huber erkennbar ein Schuldgefühl“, bilanzierte Grothe in seinem Vortrag.
Wie sind Leben und Werk beider Rechtsgelehrter nun aber vor dem Hintergrund der eingangs angesprochenen Forschungsdebatte zu bewerten? Der Referent verwies in seinem Vortrag und der anschließenden lebhaften Diskussion auf den Umstand, dass es sich insbesondere bei Carl Schmitt um einen Vertreter der NS-Intelligenz handelte, von dem durchaus eine Faszination und Ausstrahlung ausging, die er auch über den Systembruch und das rechtsradikale Lager hinaus aufrechterhalten konnte – man denke nur etwa an die ‚Links-Schmittianer‘ im Umfeld der 1968er-Bewegung. Daher ist Schmitt in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht sicherlich als „bedeutender“ Jurist zu kennzeichnen; zugleich muss er aber auch als ein maßgeblicher Vertreter jenes „Stoßtrupps gegen den Liberalismus“ gelten, der mit seiner dezidiert antiparlamentarischen und staatsüberhöhenden Position seit der Spätphase der Weimarer Republik dem Systemwechsel den Boden bereitete. Leider findet der einmal mehr in der Karlsruher Veranstaltung sichtbar gewordene Wert einer solchen wissenschaftlichen Differenzierung in der zum Teil polemisch geführten Debatte kaum den ihm gebührenden Platz.
Ewald Grothe, geb. 1961, ist seit 2009 außerplanmäßiger Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal und seit 2011 Leiter des Archivs des Liberalismus der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (Gummersbach). Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Verfassungsgeschichte, der Wissenschaftsgeschichte, der politischen Ideengeschichte und der Brüder Grimm.
Ewald Grothe (Hg.), Carl Schmitt - Ernst Rudolf Huber. Briefwechsel 1926-1981. Mit ergänzenden Materialien, Berlin 2014. [Zur Verlagsbeschreibung]
Zusammenfassender Bericht der Veranstaltungen bis zur Sommerpause 2016, in: FernUni Perspektive 57 (Herbst 2016), S. 19.