Gespräche am Tor - Karlsruher Begegnungen zu Wissenschaft, Politik und Kultur

Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert

Eva Ochs und Friedrich-Wilhelm Geiersbach in der Diskussion über ihren Film Foto: Werner Daum
Eva Ochs und Friedrich-Wilhelm Geiersbach in der Diskussion über ihren Film

Eine filmische Zeitreise

17. Februar 2016, 18 Uhr
Dr. Eva Ochs und Dr. Friedrich-Wilhelm Geiersbach

Flyer zur Veranstaltung (PDF 230 KB)

Einblicke in Habitus und Lebenswelt des Bürgertums im 19. Jahrhundert –
Ein filmischer Jahresauftakt der „Gespräche am Tor“ im Regionalzentrum Karlsruhe

Mit einer filmischen Zeitreise zurück zur „Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert“ nahmen die „Gespräche am Tor. Karlsruher Begegnungen zu Wissenschaft, Politik und Kultur“ ihren Auftakt im Veranstaltungsjahr 2016. Die Filmemacher selbst waren angereist, um ihren Dokumentarfilm der interessierten Stadtöffentlichkeit im Regionalzentrum Karlsruhe vorzustellen: Dr. Eva Ochs forscht und arbeitet am Historischen Institut der FernUniversität zum männlichen Arbeitsethos im Bürgertum des 19. Jahrhunderts; Dr. Friedrich-Wilhelm Geiersbach war bis 2014 Leiter der Abteilung Medienerstellung an der FernUniversität und produzierte als Regisseur und Redakteur zahlreiche wissenschaftliche Dokumentarfilme.

„Man zeigte alles, was man hatte!“, bringt im hier zu besprechenden Dokumentarfilm Prof. Dr. Michael Türkay von der Frankfurter „Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung“ die noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorherrschende Einheit von wissenschaftlicher und didaktischer Schausammlung im Bereich der Naturforschung und Welterschließung auf den Punkt. Ob in der Wissenschaft, der Literatur oder der Kunst – das Sammeln und Klassifizieren gehörte zum „guten Ton“ des aufstrebenden Bürgertums im 19. Jahrhundert. Vielseitige Einblicke in dessen besonderen Habitus und spezifische Lebenswelt bot die Filmaufführung anhand weiterer Drehorte in Frankfurt (Goethe- und Liebig-Haus), im Saarland (St. Ingbert und Völklinger Hütte) und in Berlin (Knoblauch-Wohnhaus, Liebermann-Villa und Alte Nationalgalerie).

Im Anschluss an die Filmvorführung stellten sich beide Regisseure den inhaltlichen, aber auch methodischen Nachfragen des Publikums. So vermisste man in inhaltlicher Hinsicht verschiedentlich eine Auseinandersetzung mit der politischen Haltung des Bürgertums nicht nur, aber auch im Nationalsozialismus; allerdings war diese nicht Teil der spezifischen Fragestellung des Films, der mehr auf die habituelle Befindlichkeit und Lebensweise des Bürgertums fokussiert. Auch vertiefte die lebhafte Diskussion das methodische Problem der medialen Vermittlung geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisse dahingehend, dass trotz der gegenwärtigen Konjunktur von „Histotainment“ oder „Public History“ bei der filmischen Präsentation von Geschichte der wissenschaftlich fundierte Bezug zu historischen Quellen von ergänzenden fiktionalen Komponenten erkennbar zu trennen sei. Insofern haben Filmvorführung und anschließende Diskussion verdeutlicht, dass für die filmische Aufbereitung von Geschichte eher dokumentarisch-essayistische Formate vorzuziehen sind, während etwa die zum Teil animierten populärwissenschaftlichen Webvideos der ersten „Karlsruhe Science Film Days“ 2015 sicherlich ihre Eignung für die Vermittlung technisch-naturwissenschaftlicher Inhalte unter Beweis gestellt haben.

Dr. Eva Ochs, geb. 1963, ist seit 1998 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Institut der FernUniversität in Hagen. Ein zentrales Thema in Forschung und Lehre ist die bürgerliche Lebenswelt im 19. Jahrhundert. Seit 2010 forscht sie über das männliche Arbeitsethos im Bürgertum.

Dr. Friedrich-Wilhelm Geiersbach, geb. 1949, war bis August 2014 Leiter der Abteilung Medienerstellung der FernUniversität in Hagen. Im Rahmen dieser Tätigkeit hat er als Regisseur und Redakteur zahlreiche wissenschaftliche Dokumentarfilme produziert.

Zusammenfassender Bericht der Veranstaltungen bis zur Sommerpause 2016, in: FernUni Perspektive 57 (Herbst 2016), S. 19.