Promotionsprojekt

Clemens, Andrea:
Zünfte und Stadtregierung in Speyer, Braunschweig und Nürnberg im Mittelalter

Projektleitung:
Prof. Dr. Felicitas Schmieder
Status:
laufend
Laufzeit:
Beginn 18.06.08

Verfasserin: Andrea Clemens / E-Mail: atclemens[at]web.de

Zünfte und Stadtregiment in Speyer, Braunschweig und Nürnberg im Mittelalter

Im Rahmen der Dissertation möchte ich mich aus vergleichender Perspektive mit der Frage befassen, wie und mit welchem Erfolg Zünfte sich im Mittelalter in Speyer, Braunschweig und Nürnberg eine Beteiligung am Stadtregiment erwarben. Dabei ist die Frage zu stellen, wer sich maßgeblich an den innerstädtischen Herrschaftsauseinandersetzungen beteiligte und dann tatsächlich in den Städten regierte. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Art der personellen Vertretung im Rat. Dabei darf natürlich weder die gesellschaftliche Bevölkerungsstruktur noch die Einbindung dieser drei Städte in ihre ganz eigenen Einflussbereiche vernachlässigt werden, die sich ganz wesentlich auf den Ausgang der innerstädtischen Herrschaftsauseinandersetzungen auswirkte.

Handwerker besaßen schon früh als vollwertige Bürger Rechte und Pflichten innerhalb der Stadtgemeinde und die in den Zunftordnungen fixierten und beeideten oder durch Gewohnheitsrecht eingespielten Regeln des Zusammenlebens bildeten vielerorts eine maßgebliche Grundlage für die innerstädtische Ordnung. Mit zunehmender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Bedeutung ihrer Produkte steigerte sich das Selbstbewusstsein und die Position der Handwerker innerhalb der Stadtbevölkerung, und die Zünfte boten als Zusammenschluss von Handwerkern gleicher oder ähnlicher Gewerbe ihren Mitgliedern eine neue stabilere Basis für die Artikulation ihrer Interessen bot. Mit ihrer hierarchischen inneren Gliederung von Zunftmeister, Zunftvorstand und Zunftversammlung mit Hang zur Oligarchie waren die Zünfte ein Spiegelbild der herrschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den Städten. Neben wirtschaftlich-ökonomischen Funktionen erfüllten sie religiöse, militärische, jurisdiktionelle, soziale und politische Aufgaben.

Eine entscheidende Phase der Stadt- und Zunftgeschichte stellte das 13. bis 15. Jahrhundert dar: Die Städte emanzipierten sich von ihren Stadtherren und erlangten mit ihrer Selbständigkeit die volle Rechts- und Handlungsfähigkeit. In Städtebünden brachten sie sich politisch zur Geltung (z. B. Rheinischer Städtebund) und bauten gleichzeitig ihre wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen aus (z. B. Hanse). In dieser Zeit entwickelten sich die Zünfte von rein berufsständischen Vereinigungen zu politischen Gruppen, die um die Partizipation an der Stadtherrschaft rangen, so dass das 14. Jahrhundert in der Stadtgeschichte auch als eine Zeit der „Zunftkämpfe“, „Zunftrevolutionen“ oder „Bürgerkämpfe“ betrachtet wird, die in einigen Städten den Durchbruch der Zünfte zur Stadtregierung mit sich brachte. Der Erfolg und Grad der auf diese Weise erreichten „Demokratisierung“ kann allerdings nur aus der gesellschaftlichen Perspektive des Mittelalters beurteilt werden, und Begriffe wie „Revolution“ und „Demokratisierung“ sind aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer zeitlich späteren Terminologie unpassend.

Da der Aufstieg der Städte im Mittelalter in engem Zusammenhang mit der verworrenen innenpolitischen Lage Deutschlands vom 12. bis zum 16. Jahrhundert stand, kann die mittelalterliche Geschichte der deutschen Städte, ihres Handwerks und ihrer Zünfte nicht isoliert von allgemein-politischen und gesellschaftlichen Prozessen betrachtet werden. Thronstreitigkeiten, Fehden, Auseinandersetzungen mit dem Papst, Judenpogrome, Pestwellen, Hungersnöte, Städte- und Handwerkspolitik der jeweiligen Könige und Kaiser, die Politik innerhalb der Städtebünde u.v.m. erschütterten auch das innerstädtische Gefüge und bildeten oft den Ausgangspunkt für tiefgehende Veränderungen, vor allem, wenn sie mit ökonomischen und gesellschaftlichen Konflikten innerhalb der Stadt zusammentrafen.

Speyer besaß seit dem 12/13. Jahrhundert ein Ratskollegium, das zunächst ausschließlich von vornehmen Geschlechtern besetzt war. In der zweiten Hälften des 13. Jahrhunderts hatte sich eine relativ homogene Führungsschicht aus Münzern und Hausgenossen (Patriziat) herausgebildet, die die ökonomisch und politische Macht vereinigte und das Monopol für die Ratsbesetzung inne hatte. Mit der Erlangung der Autonomie von der bischöflichen Herrschaft zerfiel die heterogene antibischöfliche Opposition und bot damit seit Anfang des 14. Jahrhunderts den Zünften unter der Führung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Aufsteiger, die bisher nicht an der Herrschaft partizipierten, die Möglichkeit, politische Beteiligung zu fordern. Die als Folge innerstädtischer Auseinandersetzungen erfolgten Verfassungsänderungen von 1304, 1327, 1330 und 1349 bildeten den entscheidenden Prozess, in dessen Verlauf die bestehenden Zünfte ihre herrschaftlich-politischen Funktionen ausbauen konnten, sich von reinen berufsständischen Organisationen zu einem System der politischen Zünfte, in das sich aus das Patriziat als eigene Zunft einreihte, umformten und damit zu einem konstitutiven Element städtischer Verfassung wurden.

Auch in Braunschweig bestanden bereits im 13. Jahrhundert in den einzelnen Weichbilden Stadträte, die sich 1269 zum „Gemeinen Rat“ zusammenschlossen, und der bis zur „Großen Schicht“ von 1374 ebenfalls ausschließlich mit Patriziern besetzt war. Innerstädtisch Auseinandersetzungen führten am Ende des 14. Jahrhunderts zu Verfassungsänderungen, die eine Öffnung des Rates für Familien die nicht den alten Geschlechtern angehörten, bewirkten. Trotzdem spielten die Geschlechter auch in zahlenmäßiger Unterlegenheit im Rat eine dominierende Rolle im Stadtregiment, wofür sie aufgrund ihres höheren Grades an Abkömmlichkeit im Vergleich zu Handwerkern besonders qualifiziert waren. Damit waren weitere innerstädtische Konflikte vorprogrammiert, die dann im 15. Jahrhundert erneut aufflammten und zu weiteren Änderungen der Stadtverfassung führten. Dabei ist eine klare Trennung zwischen der Macht der Geschlechter und der Gilden nur schwer zu ziehen, da viele Mitglieder vornehmer Gilden zu den Geschlechtern zählten. Außerdem macht in Braunschweig die Hanse im Zuge der innerstädtischen Konflikte massiv ihren Einfluss zugunsten bestehender Verhältnisse geltend, da sie ein Übergreifen der Aufstände auf andere Mitglieder befürchtete.

In Nürnberg entwickelte sich ebenfalls im 13. Jahrhundert ein Ratskollegium, das bis Mitte des 14. Jahrhunderts von einer Zahl versippter Geschlechter mit Reichtum besetzt wurde. 1348/49 kam es dann zu einer Aufruhr von Handwerkern gegen diesen Rat, aus dem für kurze Zeit ein neuer mit Handwerken und Ehrbaren besetzter Rat hervorging. Dieser gestattete den Handwerkern erstmals, sich Zünfte zu nennen und Zunftmeister zu wählen. Diese Zünfte erhielten allerdings weder Autonomie noch Gerichtsbarkeit, sondern unterlagen nach wie vor der Oberhoheit des Stadtrates. Da der neue Rat sich im Thronstreit gegen Karl IV. auf die Seite der Wittelsbacher stellte, restituierte Karl IV. in Nürnberg die Herrschaft des Patriziats und verbot Zünfte, obwohl er in anderen Städte (z. B. Speyer) gegenüber dem Eindringen der Handwerker in das Ratsregiment Zurückhaltung übte. Trotzdem wurden ab 1370 jeweils 8 Handwerker in den Rat aufgenommen, gleichzeitig aber auch 8 weitere Vertreter der Patrizier, die damit ihre Vormachtstellung behaupten konnten.

10.05.2024