Statement von Prof. Dr. Claudia de Witt
New Learning ist für mich eng mit personalisiertem Lernen und untrennbar mit neuen Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) verbunden. Das neue Lernen wird von Algorithmen gesteuert, die die in Lernsituationen erhobenen komplexen Daten intelligent verarbeiten und auch selbst lernen können. KI-basiertes Lernen kann z.B. Diagnosen zum Wissensstand übernehmen, Lerninhalte auswählen oder unterstützende Maßnahmen an den Lernenden und die Lernende anpassen. Neue Generationen von digitalen Lernumgebungen entstehen, deren Schnittstelle zum Lernen sog. persönliche digitale Assistenzsysteme bilden. Bisherige Lernformate profitieren von den Potentialen von KI, da die Algorithmen auf der Basis von Vergangenheitsdaten Entscheidungsfindungen automatisieren, Echtzeitinformationen verarbeiten und daraus unmittelbar Aktionen ableiten oder große, komplexe Datenmengen analysieren und auf dieser Grundlage Vorhersagen erzeugen. Personalisiertes Lernen mit künstlicher Intelligenz hat das Potential, die diversen Bedarfe von Lernenden, ihre individuellen Lernfortschritte und ihre Kompetenz zum selbstregulierten Lernen mit Empfehlungen zu unterstützen. Die Qualität von New Learning liegt in der intelligenten Aktivierung des Lernprozesses durch eine zunehmende Verantwortungsunterstützung für die Lernenden, aber auch in der gefilterten Auswahl von Lerninhalten und der Unterstützung der Selbsteinschätzung durch ein gutes Feedback, so dass Lernende in der Lage sind, komplexe Lern- und Arbeitsprozesse selbstständig zu organisieren und mit Blick auf ihren persönlichen Lernerfolg zu optimieren. New Learning macht daher auch neue Ansätze individualisierter (Hochschul-)Didaktik notwendig.
Wir befinden uns derzeit in einem Anfangsstadium, in dem wir mit wissensbasierten Systemen, maschinellem Lernen und intelligenter Augmentierung noch eher modellhaft intelligente, assistive Lehr- und Lernsysteme, Kompetenzentwicklungsinstrumente und Kompetenzerfassungssysteme entwickeln und deren Wirksamkeit für eine diverse Studierendenschaft unter Berücksichtigung von Ethikrichtlinien erforschen. Das schließt auch den Umgang mit Ecken und Kanten bei der Überführung der neuen Ideen in die sich langsam wandelnden Strukturen ein. Wir haben aber gerade jetzt die Chance, mit Kreativität und Innovationskraft an der Gestaltung dieses neuen Lernens mitzuwirken, und haben es in der Hand, dass die Datafizierung des Lernens die Autonomie von Lernenden nicht eingeschränkt und nicht auf die Schwächen fokussiert, sondern vielmehr die Vielfalt an Stärken von Lernenden, ihr Selbstvertrauen, ihre Selbstwirksamkeit und ihre Selbstbestimmung fördert. Während auf der einen Seite durch Vorhersagbarkeits-, Berechenbarkeits- und Kontrollprozesse KI zahlreiche Vorteile und Verbesserungen für Studium und Lehre liefert, steht auf der anderen Seite der Umgang mit dem Verlust an Privatheit und mit neuen Formen von Fremdbestimmung. New Learning macht daher für mich auch nur mit der Frage, was wollen wir damit erreichen, einen Sinn. Das „neue Was“ des neuen Lernens besteht für mich in der Unterstützung der individuellen Stärken und Einzigartigkeit von Lernenden und damit ihrer Bildung. Bildung, Verständnis der technologischen Entwicklungen und der Umgang damit, müssen zusammengehen. Nur dann ist eine Orientierung in einer von Digitalisierung geprägten Welt und deren Steuerung durch den Menschen möglich. Genauso gehören zum New Learning auch die Informiertheit von Lernenden, was mit ihren Daten passiert und welchen Einfluss sie auf die Erfassung und Speicherung haben, Transparenz, Privacy by Design oder erklärbare KI. Da wir gleichzeitig eine drohende Entmündigung durch Daten fürchten, ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt, um Konzepte und Richtlinien für ein New Learning zu erarbeiten, die die Potentiale der Technologien für eine menschendeterminierte Zukunft fruchtbar machen.
Schon jetzt greifen intelligente Technologien täglich in unser Handeln ein, kontrollieren, steuern, regulieren es, ob in industriellen Fertigungssystemen oder in Assistenz- und Trainingssystemen im Alltag. Die Potentiale digitaler Medien für Lehren und Lernen, die gerade durch den großen Boom während der ersten Corona-Welle offenbar wurden, sind jetzt in ihren weitgreifenden Veränderungen zu verstetigen und keinesfalls sollten entsprechende Akteur*innen in ihren Bemühungen zurückfallen. Die Zukunft unseres Bildungswesens wird davon abhängen, inwieweit es uns gelingt, Next Generation Learning Environments mit personalisierten Angeboten für eine mobile, diverse Gesellschaft und mit stärker aktivierten Lernenden schaffen, und vor allem, inwieweit Bildungsangebote die Beschäftigung mit inhaltlichem Wissen hin zur Ausbildung von Fähigkeiten des 21. Jahrhunderts verlagern können. Diese sind für mich insbesondere kritisches Denken, Reflexions- und Urteilsfähigkeit sowie Kommunikation und Kollaboration. Es ist an uns, New Learning so auszugestalten, dass Diversität gewährleistet, Privatsphäre geschützt, transparente Datenrichtlinien entwickelt, ethische Datenfolgenabschätzungen integriert und personenbezogene Daten weltweit als ein Grundrecht aufgefasst werden.
Die Sicherung einer digitalen Infrastruktur mit dem DigitalPakt Schule ist sicherlich eine wichtige grundlegende Maßnahme, um Lernen im digitalen Wandel neu zu organisieren und Individuen für ihre Teilhabe an der digitalisierten Gesellschaft vorzubereiten. Um in einer digitalisierten Gesellschaft aber hinreichend souverän, selbstbestimmt und verantwortungsbewusst handeln zu können, sollten vielmehr die bereits vorhandenen medienpädagogischen Konzepte und Empfehlungen zur Aneignung von Digital und Data Literacy mehr wahrgenommen und verpflichtend fächerübergreifend in die Curricula integriert werden. Für New Learning ist daher der Ansatz der digitalen Souveränität von Bürgern und Bürgerinnen von großer Bedeutung, die sich in einem selbstbestimmten und selbstverantwortlichen Handeln in Hinblick auf die Nutzung digitaler Medien und für die Teilhabe an der digitalisierten Gesellschaft, in der Auseinandersetzung mit relevanten Sicherheitsaspekten, der Kontrolle mit eigenen Sicherheits- und Datenschutzinteressen und in der Beurteilung zeigt, ob Vertrauenswürdigkeit vorliegt und datenschutzkonform gehandelt wird. Dazu braucht es seitens der Bildungspolitik deutlich klarere Vorgaben und Richtlinien zur Umsetzung dieses Bildungsziels.
Notwendig für alle Bildungsinstitutionen ist eine verbindliche Einführung gut durchdachter Blended Learning-Konzepte, die flexibel auf die Bedarfe und Lernsituationen der Zielgruppen reagieren können. Digitale Kompetenzentwicklung sollte in allen Curricula quer zu allen Fächern verankert werden, ähnlich dem Anspruch der Employability an Bachelorstudiengänge. Communities of Practice stellen eine Chance dar, an der Debatte um New Learning teilzuhaben, Wissen und Erfahrungen einzubringen und gemeinsam mit anderen so die Zukunft des neuen Lernens mitzubestimmen. Zudem brauchen wir mehr Akzeptanz und eine proaktive Einstellung zur Digitalisierung. Die Gesellschaft und jede/r Einzelne muss akzeptieren, dass unsere Lebens- und Arbeitswelten von Digitalisierung und Mediatisierung geprägt sind. Wir brauchen visionäre, kreative Konzepte, die über die derzeitigen Möglichkeiten hinausgehen und das notwendige Vertrauen in der Gesellschaft aufbauen. Mit Künstlicher Intelligenz lassen sich ganz neue Interaktionsformen im Unterricht und in der Lehre denken. KI kann durch Fähigkeiten, wie Problemlösen, Entscheidungen treffen, Prognosen und Empfehlungen geben, gänzlich neue Bildungsangebote hervorbringen und Lernen augmentieren. Dafür braucht es die richtige Einstellung, Kreativität und Mut aller Akteure.
Über Prof. Dr. Claudia de Witt
- FernUniversität, Lehrgebiet Bildungstheorie und Medienpädagogik
- Forschungsschwerpunkte D²L² und digitale_kultur
- Forschung zu KI in der Bildung,
- Digitalisierung und Gestaltung von Lehr-Lernprozessen,
- medienpädagogische Vermittlung von Digital und Data Literacy,
- Berufliche Bildung und innovative Lernformate,
- Digitale Souveränität für Bürger und Bürgerinnen.