Rückblick

An insgesamt vier Tagen stand an der FernUniversität in Hagen das Forschungsfeld Gender Studies mit seinen zahlreichen Facetten im Mittelpunkt: Führende Forscher*innen trafen sich hier zur 9. Jahrestagung der Fachgesellschaft Geschlechterstudien. Der Veranstaltung mit dem Titel „(Re-)Visionen. Epistemologien, Ontologien und Methodologien der Geschlechterforschung“ vorausgegangen war die 17. Arbeitstagung der Konferenz der Einrichtungen für Frauen- und Geschlechterstudien im deutschsprachigen Raum (KEG).

Die Organisation lag federführend bei der FernUni-Wissenschaftlerin und 2. Vorstandsprecherin der Fachgesellschaft Jun.-Prof. Dr. Irina Gradinari (Literatur- und medienwissenschaftliche Genderforschung), der zentralen Gleichstellungsbeauftragen der Hochschule Kirsten Pinkvoss, ihren Mitarbeiterinnen und dem Team der Koordination Gleichstellung.

 

Eröffnungsrede zu „human-soil-relations“

Bei der Abendveranstaltung im Hagener Emil Schumacher Museum begrüßten FernUni-Rektorin Prof. Dr. Ada Pellert, Prof. Gradinari, Kirsten Pinkvoss und die 1. Vorsitzende der Fachgesellschaft Prof. Dr. Elisabeth Tuider die Teilnehmenden. Inhaltlich eröffnete Maria Puig de la Bellacasa, Associate Professor an der University of Warwick, die Fachtagung. In ihrem Vortrag ging es um das Thema „Embracing Breakdown – Re-thinking the human soil community with care”. Die Wissenschaftlerin plädierte darin für mehr Sensibilität und Respekt im Umgang mit Erde (engl. „Soil“). Diese sei nämlich keineswegs trivial und nur „Dreck“, sondern konstituiere in vielfacher Hinsicht „Leben“. Fürsorge gegenüber der Erde bedeute somit gleichermaßen Fürsorge gegenüber den Menschen. Diese seien selbst nur Bestandteil eines komplexen Ökosystems und teilten die Erde mit anderen Lebewesen.

Am nächsten Tag stellte das Fachgesellschaftsmitglied Dr. Vanessa E. Thompson (Goethe-Universität Frankfurt) ihr aktuelles Projekt zu racial profiling in einer zweiten Keynote vor. Mit ihrem Vortrag „Die Polizierten dieser Erde. Über die Verunmöglichung von Atmen und die Bedingungen eines abolitionistischen Feminismus“ gewährte die Soziologin einen kritischen Einblick in diskriminierende Strukturen bei der Polizeiarbeit in verschiedenen Teilen der Welt, deren Ursprünge bis in die Kolonialzeit zurückverfolgt werden können.

 

Reichtum an Perspektiven

Das nachfolgende Programm war besonders vielfältig – formal wie thematisch: So drehten sich die zahlreichen Vorträge, Foren, Workshops und Panels zum Beispiel um Trans*Studies, Religion und Bildung, Gender-Media-Studies, Queerness, feministischen Aktivismus, Machtverhältnisse, kritische Männlichkeitsforschung oder um Fragen dekolonialer Perspektiven und Rassismuskritik in der Geschlechterforschung. Alle Forschenden – so unterschiedlich ihre fachlichen Zugänge im Einzelnen waren – einte die grundsätzliche Überzeugung, die Gesellschaft, aber auch Wissens- und Wissenschaftsstrukturen gerechter machen zu können.

„Wir haben noch viel zu tun und es gilt noch um Vieles zu kämpfen“, unterstrich Irina Gradinari in ihrem Grußwort und fügte später hinzu: „Wir dürfen uns nicht durch Angriffe entmutigen lassen, sondern sollten diese eher als Symptome dafür sehen, dass wir einen neuralgischen Punkt unserer Gesellschaft getroffen haben, den es zu analysieren gilt.“ Gleichermaßen betonte sie die geistige Aufgeschlossenheit in alle Richtungen: „Die Besonderheit der Gender-Studies besteht zuerst in ihrer Offenheit, die zwangsläufig durch ihre Inter- und Transdisziplinarität bedingt ist.“

 

Autorinnenlesung zog viele Gäste an

Schlaglichter auf aktuelle politische und gesellschaftliche Debatten warf die feministische Aktivistin und Autorin Anne Wizorek. Sie las Abschnitte aus ihrem Buch „Weil ein #aufschrei nicht reicht – Für einen Feminismus von heute“. Anschließend tauschte sie sich auf dem Podium mit zwei Expertinnen aus der Genderforschung, die auch Vorstandsmitglieder der FG Geschlechterstudien sind, über die beschriebenen Problemfelder aus. Die Lesung zog über 100 Gäste an.

Anne Wizoreks Besuch war Teil der Reihe „Zuschreibungen und Umschreibungen: Gender in Literatur und Gesellschaft“ der Universitätsbibliothek (UB). Deren Ziel ist es, innerhalb und außerhalb der FernUniversität die Zusammenarbeit und konstruktive Debatten zum Thema Gender zu intensivieren. Lesungen von ausgewählten Autorinnen bilden hierbei wichtige Bausteine. Dr. Jeanine Tuschling-Langewand, die für kulturelle Veranstaltungen in der UB zuständig ist, moderierte den Abend und freute sich über die vielen Zuhörenden: „Die Lesung und Diskussion haben gezeigt, dass Feminismus kein Nischenthema ist.“

 

Zeichen für Fairness im Alltag

Um Gleichberechtigung ging es jedoch nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch: Während der Dauer der Veranstaltungen widmeten die Organisierenden einige Sanitäranlagen auf dem Campus zu „All-Gender-Toiletten“ um. Abseits der herkömmlichen Aufteilung zwischen Frauen und Männern standen diese WCs allen Menschen offen – ungeachtet davon, welches geschlechtliche Selbstverständnis sie haben. Aus Sicht der zentralen Gleichstellungsbeauftragten Kirsten Pinkvoss war die viertägige Aktion ein wichtiges Signal für eine diskriminierungsfreie Universität: „Die Schaffung von All-Gender-Toiletten hilft nicht nur vielen Menschen konkret im Alltag – sie setzt auch ein Zeichen dafür, wie wir uns und die Menschen um uns herum sehen und begreifen wollen.“

Aus Sicht von Irina Gradinari war die Jahrestagung auf dem Hagener Campus ein voller Erfolg: „Ich freue mich, dass die Resonanz der Mitglieder unserer Fachgesellschaft so positiv war.“

Gleichstellungsstelle | 19.11.2024