Promotionskolleg des Lehrgebietes Ernsting’s family-Stiftungsprofessur für Mikrosoziologie
„Familie im Wandel. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung“
1. Beschreibung des Promotionskollegs
1.1 Rahmenthema
Seit Jahrzehnten gibt es ziemlich widersprüchliche Aussagen über den familialen Wandel. Die Diskussion bewegt sich oft zwischen „Dramatisierung und Beschwichtigung“ (Burkart 2008, S. 13), zwischen der Ansicht, die Familie sei in der Krise oder eine untergehende Lebensform. Die Gegenposition behauptet, die Familie sei im Großen und Ganzen eine „unverwüstliche Lebensform“ (Allert 1998) – eine Lebensform mit großer Stabilität und Kontinuität. Manche Krisendiagnose wirkt überzogen, aber es gibt einige Veränderungen, die es als gerechtfertigt erscheinen lassen, von einem gravierenden Strukturwandel zu sprechen.
(1.) Reproduktionstechnik und Biomedizin. Im Zuge der Reproduktionsmedizin entstehen ganz neue familiale Lebensformen, die in einem zuvor noch unbekanntem Maße von institutionalisierten Mustern der Elternschaft abrücken. Entwicklungen, die eine Konsequenz biomedizinisch-reproduktiver Technologien wie Insemination, In-vitro-Befruchtung und Gametenspende (Ei- und Samenzellen), Embryonenspende und Leihmutterschaft sind, bringt Burkart auf folgende Formel: „Vom Sex ohne Zeugung zur Zeugung ohne Sex“, das „in letzter Konsequenz auch Zeugung ohne Familien“ (Burkart 2008, S. 318) bedeutet.
(2.) Pluralisierung von Familienformen. Es ist eine Zunahme an alternativen Familien- und Lebensformen jenseits des traditionalen Musters von Elternschaft zu beobachten. Im Unterschied zur heterosexuellen Kleinfamilie, in der alle Familienmitglieder durch Blutsverwandtschaft miteinander verbunden sind, ist in der Stieffamilie, der Adoptivfamilie, der Pflegefamilie, in der heterologen Inseminationsfamilie und der gleichgeschlechtlichen Paarfamilie die „bio-soziale Doppelnatur“ (König 1974, S. 69) von Familie und Verwandtschaft aufgehoben. In der Familiensoziologie, in der dieses Phänomen auch mit „fragmentierter Elternschaft“ bzw. „gebrochener Filiation“ beschrieben wird, ist in diesem Zusammenhang häufig von der „Erosion der bio-sozialen Einheit von Familie und Verwandtschaft“ die Rede (Peuckert 2002, S. 207).
(3.) Gleichheit der Geschlechter. Die weibliche Erwerbsarbeit hat sich in den letzten Jahren als gesellschaftliche Normalitätserwartung etabliert. Zur Folge hat die damit verbundene Auflösung der Komplementarität männlicher und weiblicher Tätigkeitsfelder, dass die „Idee der Gleichheit“ (Kaufmann 2005, S. 173; Maiwald 2007, S. 77) in die Paar- und Familienbeziehungen eingedrungen ist. ‚Arbeit und Leben‘ sind – trotz fortbestehender materieller Ungleichheiten – nicht mehr wie im fordistischen Idealtypus scheinbar säuberlich voneinander getrennt und geordnet entlang der Schiene von Gender. Sollen Frauen und Männer gleichberechtigt als Wirtschaftssubjekte wie als Familienmitglieder ein gemeinsames Leben führen, dann wird angesichts ökonomischer Wandlungsprozesse die private Organisation von Haushaltsführung, Kindererziehung und Partnerschaft zunehmend schwieriger.
(4.) Globalisierung, Migration und Weltfamilien. Eine unmittelbare und sichtbare Folge bzw. Begleiterscheinung der Globalisierung ist die Zunahme von weltweiter Mobilität und Migration, sei es aus politischen, wirtschaftlichen oder privaten Gründen. In der Folge von Wanderungsprozessen steigen die Anteile bikultureller Paare, multikultureller oder transnationaler, ausländischer bzw. kulturell „fremder“ Familien in vielen Ländern. Der Anteil mobiler Lebensformen (Pendler, auch Auslandspendler, multilokale Familien) steigt ebenfalls. Die Familienforschung des 21. Jahrhunderts wird sich daher sehr viel mehr mit transnationalen Paar- und Familienformen, aber auch mit Familienmodellen aus anderen Kulturkreisen befassen müssen, als das bisher der Fall war.
(5.) Entgrenzung von privater und beruflicher Sphäre. Der neue Kapitalismus (Sennett 1998) fordert Flexibilität und erhöht den Mobilitätsdruck. In der Arbeitswelt gibt es immer weniger feste Berufs- und Organisationsstrukturen, immer weniger stabile Arbeitsverhältnisse. Aber führt die „Entgrenzung der Arbeit“ (Voß 1998; Jurczyk u.a. 2011) tatsächlich zur Destruktion von Familie und Intimbeziehungen, die zu Humankapitalmanufakturen gestutzt werden?
(6.) Technisierung des Familienhaushaltes. Das alltägliche Leben im Haushalt (von Familien, Paaren und Singles) wird in Zukunft noch weiter unterstützt werden durch Informations-, Kommunikations- und Unterhaltungsmedien. Schließlich ist auch mit einer Technisierung des menschlichen Körpers zu rechnen, etwa bei der Implantation von Kommunikationsmedien sowie medizinisch-psychologischer Unterstützungstechnik.
(7.) Demografische Veränderungen. Seit Mitte der 80er Jahre gehen die Geburtenraten kontinuierlich zurück, die Eheschließungszahlen sinken, die Scheidungszahlen steigen und nicht-familiale Haushalte nehmen zu: kinderlose Ehepaare, nichteheliche Lebensgemeinschaften, Wohngemeinschaften, Single-Haushalte.
Angesichts dieser Entwicklungen kann man nun behaupten, die Familie als ein Stabilitätskern der Industriemoderne (Castel 2000) sei Erosionsprozessen ausgesetzt, sie sei eine untergehende Lebensform. Es ließe sich aber auch postulieren, wir haben es hier mit Indikatoren zu tun, die einen ganz normalen Strukturwandel der gesellschaftlichen „Basisinstitution“ (Rosa 2005) Familie anzeigen. Das Promotionskolleg „Familie im Wandel. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung“ wird diesen Diagnosen im Rahmen von empirischen Studien, die in ihren Analysen an das Paradigma der qualitativen Sozialforschung anschließen, nachgehen. Veränderungen, die sich im Bereich der Familie ausmachen lassen, sollen dabei nicht allein auf Wandel reduziert werden. Denn Strukturen und Ereignisse sind „notwendigerweise von Natur aus komplex […], [gehören – D.F.] niemals nur zu einem einzigen Modus (Kontinuität/Diskontinuität) oder zu einer Form der Temporalität“ (Mulhern 1992, S. 22, zitiert nach Eagleton 1997, S. 66). Vielmehr sollen die familialen Veränderungen der Spätmoderne vor dem Hintergrund der Frage analysiert und beschrieben werden, wie traditionale und moderne Muster der Lebensbewältigung eine spezifische, für besondere lokale Milieus eigenständige und aus ihrer Geschichte heraus verstehbar zu machende Verbindung eingehen (Eisenstadt 1979).
1.2. Ziele
Ausbildung: Die Stipendiatinnen und Stipendiaten sollen innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren ihre Dissertation im Fach Soziologie abschließen können. Dies setzt eine intensive Betreuung voraus, die erstens durch eine regelmäßige Beratung der Doktorandinnen und Doktoranden gewährleistet werden soll, zweitens durch die Teilnahme an Präsenzveranstaltungen (Institutskolloquium, Forschungswerkstatt, Workshops u.a. in Coesfeld) und drittens durch eine netzgestützte Kommunikationsplattform. Die netzbasierte Kommunikation bietet die Möglichkeit der fachlichen, aber auch der persönlichen kollegialen Kommunikation. Regelmäßige (netzgestützte) Sprechstunden sollen die Kommunikation intensivieren.
Wissenstransfer: Das Promotionskolleg betreibt gegenwartsbezogene Grundlagenforschung. Gleichwohl setzt es sich zum Ziel, Forschungsergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Diese Zielsetzung ergibt sich einerseits aus der Verpflichtung gegenüber dem Stifter der Stipendien, der EHG Service GmbH in Coesfeld – Muttergesellschaft der Ernsting’s family GmbH & Co KG, zusammen mit der Gesellschaft der Freunde der FernUniversität in Hagen. Andererseits ermöglicht die Ausrichtung des Kollegs, das die Forschungsergebnisse in soziale Dienstleistungen, Unternehmen, Verbände, zivilgesellschaftliche Organisationen und in die breite Öffentlichkeit vermittelt werden. Daher sollen die Doktorandinnen und Doktoranden ihre Arbeitsergebnisse der an Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung interessierten Öffentlichkeit im Raum Hagen (im Rahmen des Hagener Forschungsdialogs) und am Regionalzentrum Coesfeld (der BürgerUniversität Coesfeld) vorstellen.
1.3 Organisation und Betreuung
1.3.1 Voraussetzung der Förderung:
Zulassung. Erwartet wird ein überdurchschnittlich abgeschlossenes Universitätsstudium im Fach Soziologie. Die Bewerberinnen und Bewerber sollen dokumentierbare Kenntnisse im Bereich der qualitativen empirischen Sozialforschung und auf anderen für das Kollegthema einschlägigen Feldern nachweisen können. Das Promotionskolleg wird intern als auch extern ausgeschrieben.
Bewerbung. Der Bewerbung sind folgende Unterlagen beizulegen:
(1.) Tabellarischer Lebenslauf,
(2.) Qualifizierungszeugnisse (einschließlich Abitur),
(3.) Nachweise wissenschaftlicher Aktivitäten,
(4.) Motivationsschreiben,
(5.) Fünfseitiges Exposé eines Dissertationsvorhabens im Rahmen der Thematik des Promotionskollegs (Abstract, Fragestellung, Zielsetzung, Forschungsgegenstand, Methodik, Arbeits- und Zeitplan),
(6.) Empfehlungsschreiben eines Professors/Professorin oder Privatdozenten/in.
Die Auswahl wird durch die Hochschullehrer/innen des Promotionskollegs auf der Basis von einem zwanzigminütigem Vortrag, in dem die Bewerber/innen ihr Promotionsvorhaben vorstellen, und einem anschließendem Gespräch vorgenommen. Inhaltliche Voraussetzung der Förderung ist, dass das vorgeschlagene Thema von einer Hochschullehrerin bzw. einem Hochschullehrer des Instituts für Soziologie der FernUniversität in Hagen zur Betreuung angenommen wird, und dass die Mehrzahl der Betreuer/innen sich für die Aufnahme des Bewerbers bzw. der Bewerberin ausspricht.
1.3.2 Betreuungskonzept:
Präsentationen. Mindestens einmal pro Jahr stellen die Stipendiatinnen und Stipendiaten den Stand ihrer Arbeiten im Institutskolloquium vor. Darüber hinaus wirken sie an gemeinsamen Veranstaltungen mit den Stiftern der Stipendien im Großraum Hagen (im Rahmen des Hagener Forschungsdialogs) sowie am Regionalzentrum Coesfeld (BürgerUni Coesfeld) mit. Mit Förderungsbeginn soll eine Eröffnungsveranstaltung in Coesfeld-Lette im Gebäude der EHG Service GmbH stattfinden, bei der die Promovendinnen und Promovenden sich und ihre Forschungsexposés vorstellen. Einmal im Jahr wird ein Workshop in Coesfeld-Lette ebenfalls im Gebäude der EHG Service GmbH stattfinden unter Einbindung von Gastwissenschaftlern, um einen regen Austausch über den jeweils eignen Themenrahmen hinaus zu ermöglichen. Ca. ein ½ Jahr vor Ende des Förderungszeitraums werden die Doktoranden eine Abschlusstagung organisieren, auf der die Ergebnisse der Arbeiten einem breiteren Fachpublikum vorgestellt werden.
Individualbetreuung. Die fachliche Betreuung der Dissertation obliegt dem Doktorvater bzw. der Doktormutter. Dabei ist beabsichtigt, die jeweiligen Zweitgutachter frühzeitig, d. h. im ersten Jahr der Förderung einzubeziehen. Die Stipendiaten und Stipendiatinnen nehmen zudem an den fachlichen Aktivitäten der Lehrgebiete ihres Betreuers bzw. ihrer Betreuerin teil.
1.4 Zeitplan
- Anträge sind einzureichen bis: 30. Juni 2014 (Poststempel)
- Bewerbungsgespräche finden statt am: 2. September 2014
- 1.10.2014 Beginn der Promotionsförderung
2. Allgemeine Angaben
2.1 Antragstellerin
Univ.-Prof. Dr. Dorett Funcke
Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften, Institut für Soziologie, Lehrgebiet Ernsting’s family-Stiftungsprofessur für Mikrosoziologie
2.2 Beteiligte Hochschullehrer/innen:
- Dorett Funcke (Antragstellerin, Sprecherin),
- Frank Hillebrandt
- Uwe Vormbusch
- Sylvia Marlene Wilz
2.3 Laufzeit/Förderungszeitraum
36 Monate / Herbst 2014 – Herbst 2017
2.4 Kollegumfang
3 Doktorandenstipendien im Förderungszeitraum
2.5 Stipendienkosten
Das Promotionsstipendium im Rahmen der Ernsting’s family-Stiftungsprofessur wird sich grundsätzlich an den Konditionen des Förderprogramms SN3Graduierten-Stipendienprogramms der FernUniversität anschließen. Dieses heißt im Einzelnen:
Die Höhe des Stipendiums beträgt monatlich 1.150 € (ggf. Kinderzuschlag von 300,- monatlich), die Förderungsdauer höchstens drei Jahre (2+1) (inkl. Sachkosten). Die Stipendien sind angesiedelt am Institut für Soziologie der FernUniversität in Hagen.
Die Stipendien sind gefördert durch die EHG Service GmbH in Coesfeld – Muttergesellschaft der Ernsting’s family GmbH & Co KG – und die Gesellschaft der Freunde der FernUniversität in Hagen.