Kolloquium
- Thema:
- Armut und Exklusion in der ländlichen Gesellschaft Irlands 1880-1930
- Referent/-in:
- Inga Brandes, Trier
- Adresse:
- FernUniversität Hagen TGZ, 3. Stock, Raum B 306
- Termin:
- 01.02.2011 18:15
Die „Great Famine“ des 19. Jahrhunderts gehört wohl zu den international bekanntesten Themen der irischen Geschichte und hat in der kollektiven Erinnerung und Selbstthematisierung unverkennbare Spuren hinterlassen. Trotz oder vielleicht gerade wegen der traumatischen Erfahrungen, die die große Hungersnot mit sich brachte, haben irische Historikerinnen und Historiker erst vor Kurzem begonnen, die Geschichte von Armut, Fürsorge und Wohlfahrtsstaatlichkeit empirisch zu erforschen. In meiner Doktorarbeit untersuche ich den Transformationszeitraum zwischen 1880 und 1930 daraufhin, wie in der ländlichen Gesellschaft Irlands mit Armut und Ausgrenzung umgegangen wurde. Die in der irischen Historiographie weit verbeiteten Singularitätsannahmen werden dabei durch eine europäisch vergleichende Perspektive systematisch sichtbar und damit hinterfragbar gemacht.
Gegen die dominierende These von der zunehmenden Humanisierung des irischen Armenfürsorgesystems durch Nationalisierung der lokalen Armenpolitik und -verwaltung während der 1880er Jahre, wird in dem Vortrag herausgearbeitet, dass und wann einerseits die Inklusionschancen von Armen in das lokale und nationale Fürsorgesystem stiegen und sich andererseits für einzelne Gruppen von Armen zunehmende Exklusionsrisiken ergaben. Methodisch fußend auf den Ansätzen der italienischen und französischen Mikrogeschichte sowie der dynamischen Armutsforschung lässt sich anhand der Sozialprofile von Unterstützungsempfängern in Donegal zeigen, dass die vorhandenen Fürsorgeangebote während des Untersuchungszeitraums trotz stabiler restriktiver Vergabepraktiken von Armen pragmatisch genutzt wurden. Berücksichtigt man die Perspektive der Armen in der historischen Analyse, so lassen sich die ausgewerteten Quellen sogar dahingehend interpretieren, dass die öffentliche Armenfürsorge in Irland zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ganz entgegen den Intentionen der Obrigkeit, de facto zu einem wichtigen Baustein der Makeshift Economy derjenigen geworden war, die in der Zone der Verwundbarkeit um ihr Überleben kämpften.