Seminar "Erkenntnissuche in der Finanzwirtschaft"

Seminar "Erkenntnissuche in der Finanzwirtschaft"

Seminarleiter: Prof. Dr. Rainer Baule

Semester: WS 2022/23

Ort: Campus Coesfeld

Teilnehmerzahl: 16

Inhalt:

Wissenschaft ist die Suche nach Erkenntnissen. Diese Suche ist dabei selten geradlinig, sondern in der Regel geprägt von verschiedenen methodischen Herangehensweisen, Irrtümern und Revisionen, widersprüchlichen Ergebnissen und kontrastierenden Interpretationen. Mitunter wird in der Öffentlichkeit ein verzerrtes Bild von Wissenschaft wahrgenommen: Wissenschaft soll auf gesellschaftlich drängende Fragen eindeutige Antworten parat halten, an denen sich die Politik zu orientieren habe. Damit wird einerseits verkannt, dass politische Entscheidungen nicht werturteilsfrei sein können und eine Vielzahl von Interessenslagen sowie legitimen Zwecken zu berücksichtigen haben. Zum anderen sind auch in der Wissenschaft Erkenntnisse selten so klar, dass sich daraus unmittelbare Handlungskonsequenzen ableiten ließen.[1]

In dem Seminar soll dieser letztgenannte Aspekt in Bezug auf finanzwirtschaftliche Erkenntnisse herausgearbeitet werden. Auch Ergebnisse ökonomischer Forschung sind selten so klar, dass sich daraus unmittelbare Managemententscheidungen ableiten ließen. Ein Beispiel ist das CAPM: In dem angenommenen Theorierahmen ist es mathematisch beweisbar. Aber inwieweit ist der Theorierahmen auf die Praxis übertragbar? Empirische Erkenntnisse sind uneindeutig, und so wird das CAPM auch mehr als 50 Jahre nach seiner Entwicklung in der Praxis teilweise bedenkenlos angewendet, teilweise vehement abgelehnt. Weitere ungeklärte Fragen sind beispielsweise:

  • Sind Kapitalmärkte effizient? Lassen sich mit geeigneten Handelsstrategien Überrenditen generieren?
  • Sind Analystenempfehlungen hilfreich? Sollten Anleger ihnen folgen?
  • Ist eine objektive Unternehmensbewertung möglich oder muss stets das Subjekt des Entscheiders einbezogen werden?
  • Ist das systematische Risiko oder das Gesamtrisiko einer Aktie ausschlaggebend für die erwartete Rendite?
  • Wie verhält sich die Argumentation höherer Kapitalkosten bei steigenden bankaufsichtsrechtlichen Eigenkapitalquoten zu den Irrelevanzhypothesen von Modigliani und Miller?
  • Sind einzelne prominente Faktoren im Asset Pricing lediglich temporäre Anomalien? Wie verhält es sich beispielsweise mit dem „Size“-Faktor von Fama und French – haben kleine Unternehmen wirklich höhere erwartete Aktienrenditen?

Die Seminararbeiten sollen jeweils eine dieser ungeklärten Fragen adressieren. Dabei sind die unterschiedlichen Positionen in der wissenschaftlichen Literatur herauszuarbeiten: Widerspricht die Empirie der Theorie? Gibt es widersprüchliche empirische Studien? Werden Ergebnisse von verschiedenen Autoren differenziell interpretiert?

Geforderte Leistungen:

  • Teilnahme an der Vorbesprechung,
  • Vorlage und Besprechung eines Gliederungskonzepts,
  • Anfertigung einer Seminararbeit,
  • Präsentation der Seminararbeit,
  • Anfertigen eines Koreferats,
  • Teilnahme an der Diskussion zu allen Seminarthemen.

Voraussetzungen:

Das Seminar ist geeignet für Bachelor- und Masterstudenten der Studiengänge Wirtschaftswissenschaft, Wirtschaftsinformatik und Volkswirtschaft sowie Wirtschaftswissenschaft für Ingenieure/-innen und Naturwissenschaftler/-innen.

Neben Lehrinhalten des Lehrstuhls werden Mathematik- und Statistikkenntnisse im Umfang des Pflichtmoduls 31101 aus dem Bachelorstudium vorausgesetzt.

Wir empfehlen vor Beginn des Seminars die Belegung des Brückenkurses 09805 zum wissenschaftlichen Arbeiten – Grundfragen, Orientierung, Werkzeuge.

Zeitplan:

5. Oktober 2022: Vorbesprechung online

11. Dezember 2022: Abgabe der Seminararbeiten

23.–25. Januar 2023: Präsenzphase in Coesfeld


[1] Vgl. Autorengruppe (R. Baule et al.): Kritischer Geist in der Krise. Zur Aufgabe von Wissenschaft. Forschung und Lehre 28 (8/2021), 648–649. Online verfügbar auf www.kritischer-geist.de.