Statement von Prof. Dr. Sebastian Kubis

Foto: Veit Mette

Eine Herausforderung des Begriffs „New Learning“ liegt in seiner Unschärfe. Im Kern dürfte der Begriff – im Anschluss an die Überlegungen zu „New Work“ – darauf zielen, Lernprozesse als selbstbestimmt und sinnstiftend zu erfahren. Allerdings sind dies keine ganz neuen Gedanken. Im Bereich der (früh-)kindlichen Bildung etwa gibt es solche Ansätze, z.B. in der Montessori-Pädagogik, schon seit langer Zeit. „Neu“ sind allerdings die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung, die das Lernen unterstützen können. Eine weitere Herausforderung des Begriffs „New Learning“ könnte darin liegen, dass er das Lernen in einen allzu engen Zusammenhang zur Arbeitswelt und zur Personalentwicklung rückt. Löst man sich von Begriffsdefinitionen, so lassen sich unter „New Learning“ zwei unterschiedliche Aspekte fassen: (1) Die Wege des Lernens verändern sich in einer zunehmend „digitalen“ Welt. (2) Zugleich ändern sich auch die Inhalte, die gelernt werden müssen, um sich in dieser Welt zurecht zu finden. Dies mögen Paradigmenwechsel sein; es dürfte vergleichbare Veränderungen aber auch in der Vergangenheit immer wieder gegeben haben.

Das Lernen im digitalen Wandel ist in Deutschland von den Erfahrungen aus dem Präsenzunterricht geprägt. Digitale Formate werden daher als Instrumente angesehen, physische Präsenz in „virtuellen“ Umgebungen nachzustellen. Da dies nur näherungsweise gelingen kann, wird „digitale Lehre“ zwar durchaus als „neu“ und hilfreich, aber eben auch als defizitär wahrgenommen. Sofern man mit guten Gründen davon ausgeht, dass Lernen nur in einer persönlichen Beziehung von Lernenden und Lehrenden gelingen kann, wird diese Skepsis bleiben. Hieran könnte sich etwas ändern, soweit digitales Lernen als etwas grundsätzlich anderes wahrgenommen wird als die Rekonstruktion physischer Präsenz. Chancen liegen hier in der räumlichen, zeitlichen und inhaltlichen Individualisierung von Lernprozessen ebenso wie in der Nutzung „künstlicher Intelligenz“. Beides könnte einer sich stetig diversifizierenden Gesellschaft zugute kommen. Insoweit stehen aber insbesondere auch die Lehrenden noch am Anfang. Teilweise scheinen es Schüler und Studenten auch zu schätzen, beim Lernen nicht unter „physischer“ Beobachtung zu stehen, und erleben digitale Formate als Chance, sich in einem geschützten Raum einzubringen. Allerdings wird ein Lernen, das insbesondere auch die Persönlichkeitsentwicklung (junger) Menschen fördern will, wesentlich auf die Erfahrungen in der „physischen“ Lebenswelt angewiesen sein.

Für die gesellschaftliche und politische Debatte ist wichtig, dass die Digitalisierung nicht in erster Linie als Instrument zur Ökonomisierung des Lernens angesehen wird, wie sich dies derzeit z.B. bei der Diskussion über einen Ersatz von Dienstreisen durch Videokonferenzen andeutet. Vielmehr erfordert Lernen im digitalen Wandel erhebliche Ressourcen, damit niemand von diesen Möglichkeiten ausgeschlossen wird. Es muss auch eine breite Debatte über einen womöglich veränderten „Bildungskanon“ geführt werden. Dabei ist zu bedenken, dass weder Schulen noch Hochschulen im Rahmen ihres Bildungsauftrags darauf verzichten können, bestimmte Inhalte (Lehrpläne, Curricula) für „verbindlich“ zu erklären. Das beginnt beim Lesen, Schreiben, Rechnen und den Fremdsprachen, gilt aber auch für die Hochschulbildung. Dort wird man nicht nur in den Natur- und Ingenieurwissenschaften, sondern z.B. auch in der Medizin auf bestimmte Inhalte und Kompetenzen angewiesen sein, deren Beherrschung erst ein Berufsfeld eröffnet. An den Hochschulen werden „digitale Kompetenzen“ wohl vornehmlich über das „Eintauchen“ in die jeweilige konkrete Fachlichkeit erworben.


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