Statement von Prof. Dr. Jörg Haake
Bildung im Humboldt’schen Sinn zielt auf die Fähigkeit zum reflektierten Handeln im gesellschaftlichen Kontext, die in der Universität durch gemeinsames, forschendes Lernen und Entdecken befördert wird. Dies ermöglicht lebenslange Weiterentwicklung in einer sich wandelnden Umwelt. Die anonyme Massenuniversität mit einem Fokus auf Berufsbefähigung steht diesem Ideal entgegen; sie reduziert Bildung auf Ausbildung zur Durchführung vorgegebener Arbeitsprozesse. Flexible Anpassungs- und Innovationsprozesse werden dadurch erschwert.
New Learning kann durch Bereitstellung diversitätsbewusster, personalisierter Lernumgebungen – wie wir sie am Forschungsschwerpunkt D²L² entwickeln – ein Stück persönliche Lernbegleitung im Humboldt’schen Sinn zurückgewinnen. Hierdurch sollen Selbstregulation und Motivation gefördert, Drop-out gesenkt und insbesondere effektives kooperatives Lernen in sozialen Gemeinschaften gefördert werden. Studierende werden so befähigt, selbst die Ziele ihres Studiums sowie die dazu passenden Lernaktivitäten festzulegen und ihren Erfolg zu bewerten. Learning Analytics, Künstliche Intelligenz (KI) und Big Data dienen dabei als grundlegende Technologien für intelligente Lernumgebungen, die aktuell passende Lernmöglichkeiten und Feedback bieten. Im Mittelpunkt steht hier der Mensch, mit der Fähigkeit zum verantwortlichen Handeln in einer sich wandelnden Umwelt und Gesellschaft.
Diese Neuorientierung erfordert eine Rückbesinnung auf den Humboldt’schen Bildungsbegriff und die konsequente Nutzung der digitalen Lerntechnologien zur individuellen Persönlichkeitsbildung. Politik und Bildungseinrichtungen müssen sich dazu von einer Ausrichtung auf kurzfristig wirtschaftliche Nutzbarkeit von „Human Resources“ verabschieden und stattdessen die dauerhafte Befähigung zur Gestaltung und Teilnahme an flexiblen Arbeits-, Anpassungs- und Innovationsprozessen in den Vordergrund stellen. Dies erfordert auch, dass die universitäre Bildung selbst zum Forschungsgegenstand in ihren Studiengängen wird („Das Lernen [verbessern] lernen“, die Hochschule als Bildungslabor und Inkubator). Eine Realisierung von New Learning in diesem Sinne erfordert neben der Berücksichtigung ethischer (algorithmische Stigmatisierung!) und datenschutzrechtlicher Fragestellungen auch die ubiquitäre Verfügbarkeit der Technologien für alle Bürger, unabhängig vom wirtschaftlichen und sozialen Status.
Über Prof. Dr. Jörg Haake
- FernUniversität, Lehrgebiet Kooperative Systeme,
- Mitglied des Leitungsteams des Forschungsschwerpunktes D²L²
- Forschung zu adaptiven personalisierten und kooperativen Lernumgebungen (Projekte APLE und LA-DIVA) im Forschungsschwerpunkt D²L²
- Keynote Speaker Pearson Higher Education Summit 2019, Frankfurt, 15. November 2019: „Digitale Unterstützung kollaborativer Lernprozesse”
- Fachexperte im Leitungsgremium des Fachbereichs Informatik und Ausbildung / Didaktik der Informatik (IAD) der Gesellschaft für Informatik