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  • Die einst legendäre Definition des amerikanischen Politologen Thomas Dye: „Policy Analysis is what governments do, why they do it, and what difference it makes”* ist so heute nicht mehr unumstritten. Das liegt daran, dass man heute Policies, also kollektiv verbindliche Entscheidungen zur politischen Gestaltung in Politikfeldern, nicht mehr nur in Staatshandeln (z.B. der Verabschiedung und Anwendung von Gesetzen) sieht. Vielmehr gerät heute das vielschichtige Zusammenwirken staatlicher und privater Akteure bei der Gestaltung von Policies stärker ins Visier. Allerdings bleiben das Staatshandeln und seine Folgen in Form des Wandels oder der Stabilität öffentlicher Politiken im Fokus der Politikfeldanalyse.

    Vor diesem Hintergrund interessiert sich die Politikfeldanalyse für unterschiedliche Fragestellungen. Ein erster Erkenntnisgewinn besteht in der Regel darin, sagen zu können, ob mit einer Policy-Maßnahme (z.B. mit dem 2015 eingeführten gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland oder dem 2015 eingeführten Elektromobilitätsgesetz ) ein grundlegender Policy-Wandel oder doch eher eine oberflächliche Veränderung stattgefunden hat oder auch, ob sich in einem Politikfeld kein Wandel beobachten lässt.

    Die wichtigste Fragestellung der Politikfeldanalyse ist die nach dem Warum von Policies: Warum ist eine politische Maßnahme (oder ein ganzes Bündel von Maßnahmen), etwa der Atomausstieg und die „Energiewende“ oder das Gesetz zur Einführung einer Frauenquote in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst ab 2016, so und nicht anders zustande gekommen? Warum unterscheiden sich die Umweltpolitiken Deutschlands und Großbritanniens? Warum reagieren Länder mit ähnlichen demographischen Problemlagen darauf mit ganz unterschiedlichen Maßnahmen? Warum kam es in neuerer Zeit in unterschiedlichen Bereichen der deutschen Sozialpolitik, z.B. in der Arbeitsmarktpolitik oder der Rentenpolitik, zu einem teils radikalen Politikwandel? Warum gibt es neue Instrumente in der Umweltpolitik? Aber auch Nicht-Entscheidungen sind erklärungsbedürftig: Warum wurde der Mindestlohn lange Zeit nicht eingeführt? Warum steht eine Regulierung des Fracking in Deutschland derzeit noch aus?

    Bei der Bearbeitung derartiger Fragestellungen wird insbesondere in den Fokus gerückt, welchen Anteil verschiedene Erklärungsfaktoren haben und wie sie zusammenspielen: Welche Rolle spielen Akteure und deren Interessen, Wahrnehmungen, ihre ideologische Orientierung und – darauf basierend – ihr Handeln? Welche Bedeutung haben Institutionen und wie beeinflussen die Eigenschaften des zu lösenden Problems den Verlauf des politischen Prozesses? Wie wirkt wissenschaftliche Politikberatung auf den Entscheidungsprozess ein? Welche Bedeutung haben situative Ereignisse wie Krisen, Katastrophen oder Skandale? Dabei kann die Analyse versuchen, eine bestimmte Policy (ggf. unter Beachtung mehrerer Faktoren) zu erklären; sie kann aber auch die Wirkungsweise eines bestimmten Erklärungsfaktors (z.B. die föderale Kompetenzverteilung in Deutschland, die Ausweitung der Entscheidungsbefugnisse des Europäischen Parlaments, die Anzahl und Eigenschaften von Veto-Spielern, die parteipolitischen Zusammensetzung von Regierungen oder die Rolle wissenschaftlicher Politikberatung) überprüfen. Unter Beachtung solcher Aspekte begreift die moderne Politikfeldanalyse den politischen Prozess längst nicht mehr als reinen Problemlösungsprozess. Vielmehr geht es in der Politik immer auch um Macht und Ideologien. Diese genuin politischen Aspekte betrachtet die Politikfeldanalyse, um das Zustandekommen von Policies erklären zu können, selbst wenn sie diese Probleme nicht lösen und auf den ersten Blick irrational erscheinen.

    Daneben gibt es aber auch andere politikfeldanalytische Fragestellungen: So kann man die Funktionsweise bestimmter Koordinierungsmechanismen (etwa der OMC in der europäischen Beschäftigungspolitik) untersuchen, die Umsetzung, die Wirkungsweise oder den „Erfolg“ einer bestimmten Maßnahme evaluieren, eine Leistungsbilanz von Ländergruppen (z.B. OECD-Länder) in einem Politikfeld ziehen oder – stärker beratungsorientiert – für ein definiertes politisches Problem eine oder verschiedene Lösungen erarbeiten. Auch die Frage, welche Rolle wissenschaftliche Politikberatung in Policy-Prozessen spielen kann oder soll, ist eine politikfeldanalytische Fragestellung.

    Die Politikfeldanalyse verläuft damit in gewisser Weise „quer“ zur traditionellen Einteilung der Politikwissenschaft in Regierungslehre, vergleichende Regierungslehre und internationale Politik. Sie fragt nach den Mustern, Ursachen oder Effekten von Policies auf allen territorialen Ebenen: der kommunalen, der Länderebene, der nationalen Ebene, im Ländervergleich, auf der EU-Ebene oder in transnationalen Kontexten.

    Mehr zur Politikfeldanalyse:

    Reiter, Renate/Töller, Annette Elisabeth (2014): Politikfeldanalyse im Studium. Fragestellungen, Theorien, Methoden. Baden-Baden: Nomos (UTB) (hier zum Buch)

  • Bei Verwaltung denkt man zunächst an die bekannten nationalen Verwaltungen, etwa die Kommunalverwaltungen oder die Ministerialverwaltungen von Bund und Ländern. Dabei haben sich mit fortschreitender europäischer Integration seit Jahrzehnten auch europäische Verwaltungsstrukturen herausgebildet – die EU-Kommission, die Komitologie, zahlreiche Agenturen und Verwaltungsnetzwerke. Sie sind für diejenigen, die in den nationalen Verwaltungen und der nationalen Politik tätig sind, aber auch für nationale Unternehmen, Interessengruppen, sonstigen gesellschaftlichen Gruppen und Verbänden, und nicht zuletzt auch die europäischen Bürger, heute von großer Bedeutung. Ihr institutioneller Aufbau, ihre Handlungsmöglichkeiten und ihr tatsächliches Handeln in bestimmten Politikfeldern (z.B. der Umweltpolitik, der Wettbewerbspolitik) sowie die theoretische Einordnung der europäischen Verwaltungsstrukturen und die Erklärung ihres Verwaltungshandelns sind daher heute zentrale Gegenstände der an europäischen Fragen interessierten politik- und verwaltungswissenschaftlichen Forschung.

    Diese richtet den Blick daneben auch auf die Strukturen der Interessenvermittlung in der EU. Interessengruppen spielen, z.B. im Rahmen von Netzwerken oder von korporatistischen Arrangements und insbesondere auch als Lobby-Gruppen für das Definieren von Themen und das Formulieren von Politiken seit langem eine wichtige Rolle in der EU. Sie werben als Vertreter von bestimmten Einzelinteressen (z.B. der Automobilindustrie oder bestimmter Konzerne) oder Vermittler von Gemeinwohlinteressen (z.B. Umweltschutz) bei den unterschiedlichen Repräsentanten der europäischen Institutionen um Aufmerksamkeit und Unterstützung für ihre Anliegen. Neben der Darstellung der spezifischen Interessenvermittlungsstrukturen und der zentralen Akteure darin geht es für die Politik- und Verwaltungswissenschaft insbesondere darum, mit Hilfe unterschiedlicher Konzepte und theoretischer Ansätze ein Verständnis der Dynamiken der Interessenvermittlung in der EU zu gewinnen.

    Weiterhin sind Korruption und Korruptionsbekämpfung mittlerweile Kernthemen der verwaltungs- und politikwissenschaftlichen Forschung, die auch beim Blick auf die europäische Verwaltung berücksichtigt werden sollten. So ist seit etwa Mitte der 1990er Jahre ist ein globaler Antikorruptionsboom zu beobachten, der zur Bildung zahlreicher internationaler Antikorruptionsregime geführt hat, die auch Antikorruptions- oder Korruptionsbekämpfungspolitiken auf nationaler und europäischer Ebene zunehmend beeinflussen.

  • Der Fokus des Moduls liegt auf der politikwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Facetten von Staatstätigkeit, Theorien der Politikfeldanalyse sowie dem Verhältnis von Staat und Wirtschaft. Inhaltlich setzten wir uns mit Fragen nach unterschiedlichen Formen von Staatstätigkeit und politischer Steuerung privater Wirtschaftsaktivitäten sowie entsprechenden Wechselwirkungen auseinander.

    Ein Kurs vermittelt eine politikwissenschaftliche Perspektive auf die Privatisierung staatlicher Aufgaben. Auch wenn es mittlerweile in vielen Ländern und unterschiedlichen Bereichen zu Privatisierungen gekommen ist, so unterscheidet sich das Ausmaß der Privatisierung zwischen Ländern und Sektoren. Zudem sind sie oft politisch umstritten und können einen Ausgangspunkt für politische Konflikte darstellen. Auch können sich gesellschaftliche Kräfteverhältnisse verändern, wenn staatliche Aufgaben privatisiert werden. Die Politikwissenschaft setzt sich damit auseinander, was Privatisierung ist, welche Formen es gibt, wann und wo Privatisierungsprozesse erfolgen und welches die Ursachen dafür sind.

    Ein zweiter Kurs legt den Fokus auf die Transformation von Wohlfahrtsstaatlichkeit in verschiedenen Ländern und auf verschiedenen sozialpolitischen Feldern (z.B. Alterssicherungspolitik, Familienpolitik). Wir befassen uns hier zunächst mit Grundlagen wie der Definition eines „Wohlfahrtsstaates“ und Typen von Wohlfahrtsstaatlichkeit. Davon ausgehend stehen Fragen nach dem Entstehen neuer sozialer Risken (z.B. Vereinbarkeit von Familie und Beruf, atypische Beschäftigung) sowie dem Wandel von Wohlfahrtsstaaten im Mittelpunkt. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive interessieren dabei v.a. Ursachen und Erklärungen (unterschiedlicher) Wohlfahrtsstaatlichkeit und Veränderungsprozesse.

    Momentan wird für das Modul MV2 außerdem ein neuer Kurs zum Themenfeld „Umwelt und Partizipation“ erarbeitet. Ab Juni 2020 wird das Modul im Rahmen des Projekts „Digital Mainstreaming in der politikwissenschaftlichen Hochschullehre“ überarbeitet (DigiStream; gefördert vom Stifterverband und NRW Wissenschaftsministerium).

 
12.03.2024