Projekt

Privatisierung sozialer Daseinsvorsorge im deutsch-französischen Vergleich

Projektleitung:
Dr. Renate Reiter
Status:
abgeschlossen
Laufzeit:
2011-2017

Art des Projekts: Habilitationsprojekt

Kurzbeschreibung

Die Privatisierung von Aufgaben stellt seit Anfang der 1990er Jahre innerhalb der OECD einen verbreiteten Reformtrend im öffentlichen Sektor dar. Während dabei die Privatisierung im Bereich eher technischer Daseinsvorsorgefunktionen (Bahn, Post, Telekommunikation, Energie) mittlerweile weit vorangeschritten ist und – vor allem auf kommunaler Ebene – zum Teil wieder zurück genommen wird, hält die Privatisierungsbewegung im Bereich der sozialen Daseinsvorsorge ungebrochen an. Die Versorgung der nationalen Bevölkerungen mit baulichen und technischen Sozialinfrastrukturen sowie Leistungen der medizinischen Versorgung, Pflege, Kinderbetreuung, sozialen Beratung und Hilfeleistung in unterschiedlichen, Unterstützung und Hilfe durch Dritte erfordernden Lebenslagen gilt heute als ‚Wachstumsmarkt‘. In diesen Markt dringen zusehends private, gewinnorientiert wirtschaftende Akteure vor, obwohl die Ideen marktwirtschaftlicher Produktion – Effizienz, Wettbewerb – schwerer als in anderen Märkten umgesetzt werden können, und obwohl die Güterproduktion wenig gewinnbringen, personalintensiv und teils mit hohen Risiken verbunden ist.

Das Projekt geht von diesen Beobachtungen aus und fragt in vergleichender Perspektive mit speziellem Blick auf Deutschland und Frankreich danach, welches Ausmaß die Privatisierung sozialer Daseinsvorsorgefunktionen annimmt, was Privatisierungs-Policies erklärt, was sektorale sowie länderübergreifende Unterschiede in der Form und im Ausmaß der Privatisierung erklärt und wie sich entsprechende Entwicklungen auf den Wohlfahrtsstaat auswirken.

Sektoral konzentriert sich die Untersuchung auf zwei Aufgabenbereiche mit unterschiedlichem Niveau des Technikeinsatzes und unterschiedlicher Nachfrageentwicklung: Krankenhausversorgung und Pflege. Die Länderfallauswahl in Kombination mit der Sektorenauswahl ermöglicht die gezielte Kombination des most similar- mit dem most different-Design. Dabei ist der Aspekt, dass beide Länder aufgrund ihrer Vorprägung als konservativ-Bismarck’sche Sozialstaaten sich traditionell durch einen hohen Anteil freigemeinnütziger Aufgabenerbringung auszeichnen (Wohlfahrtsmix) für dieses Projekt von besonderem Interesse. Es handelt sich hier um Fälle mit zweifach gleichgewichtiger Privatisierungsoption: die instrumentelle, organisatorische und steuerungsinstitutionelle Stärkung des Non-profit-Sektors ist aufgrund der spezifischen institutionellen Vorprägung des Wohlfahrtsstaates ebenso denkbar, wie die Stärkung der gewinnorientierten Privatwirtschaft. Für die beiden Untersuchungsländer und zwei Sektoren werden Privatisierungsentwicklungen im Hinblick auf ihre Ursachen für den Zeitraum 1995 bis in die Gegenwart analysiert und hinsichtlich der Frage nach dem Privatisierungsausmaß in den breiteren internationalen Vergleichskontext innerhalb der OECD eingeordnet. Die Forschungsfragen lauten konkret:

1. Wie wandelt sich die Arbeitsteilung von öffentlichen und privaten, d.h., privat-gemeinnützigen und privat-kommerziellen, Akteuren bei der sozialen Aufgabenerbringung in den Bereichen Krankenhausversorgung und Altenpflege?

2. Was erklärt Politiken, die eine entsprechende Reorganisation der sozialen Dienstleistungsproduktion in den zwei Bereichen auf in Deutschland und Frankreich? Was erklärt länderübergreifende, intersektorale und intertemporale Unterschiede und Gemeinsamkeiten nationaler Privatisierungspolitiken?

3. Wie wirkt sich die Reorganisation der sozialen Dienstleistungsproduktion auf den Wohlfahrtsstaat insgesamt aus? Beobachten wir im Bereich der Dienstleistungen eine konvergente Entwicklung der beiden Wohlfahrtsstaaten? Beobachten wir einen Rückzug des Staates oder im Gegenteil ein stärkeres, z.B. regulatives Engagement desselben?

Privatisierung im Bereich der sozialen Daseinsvorsorge ist seit den späten 1990er Jahren ein Thema, das in der sozial- und politikwissenschaftlichen und insbesondere in der wohlfahrtsstaatlich-vergleichenden Literatur intensiv behandelt worden ist. Umso bemerkenswerter ist es, dass die politikwissenschaftliche Forschung heute noch wenig über die Motive staatlicher/öffentlicher Träger von sozialen Daseinsvorsorgeaufgaben zur Übertragung von Verantwortung auf private Akteure weiß. Die Habilitation soll einen Beitrag zum Verständnis der Motive und Ursachen liefern und dazu beitragen, die Forschungslücke in Bezug auf die (international vergleichende) Erklärung sozialstaatlicher Privatisierungspolitiken zu verringern.

Die Studie knüpft an grundlegende Annahmen des akteurzentrierten Institutionalismus an und geht insbesondere der Frage nach institutionellen Effekten der nationalen Staats- und Verwaltungsstrukturen auf privatisierungsbezogene Policy-Entscheidungen in den genannten Sektoren nach. Methodisch handelt es sich um eine qualitativ vergleichende Untersuchung auf Fallstudienbasis.

08.04.2024