Interdisziplinäre Tagung: Bedrohungen
Die Forschungsgruppe Figurationen von Unsicherheit lädt am 20. und 21. November zu einer interdisziplinären Tagung auf den Berliner Campus der FernUniversität ein.

Die Forschungsgruppe Figurationen von Unsicherheit fragt nach den historisch variablen Strukturen, Mechanismen und Kulturtechniken, mittels derer Gesellschaften Unsicherheiten hervorbringen, thematisieren und bearbeiten. Es gehört heute zur alltäglichen Erfahrung, in Zeiten diverser Umbrüche zu leben (vgl. Vormbusch et al. 2025: 10). Der Weltuntergang beim Millenniumwechsel fand zwar in der Realität nicht statt, jedoch beständig in Filmen, Serien und Romanen. In den Medien herrscht ein apokalyptischer Ton: Wir leben, so scheint es, am Ende der Zeiten und der Welten, in Erwartung baldiger und vollständiger Selbstzerstörung. Krise wird zum Dauerzustand erklärt. Ob politische Umwälzungen, Flucht, Krieg, die zwischenzeitlich verdrängte atomare Bedrohung, Finanzkrisen, Pandemien, Desinformation, neuartige Technologien algorithmischer Steuerung oder künstlicher Intelligenz: Die Gegenwart wird von abstrakten und konkreten, diffusen und pointierten, beispiellosen wie imaginierten und realen Bedrohungen durchdrungen, die wir zwar vor allem aus den Medien kennen, die sich aber auf gesellschaftliches Handeln, Subjekte und ihre Politik auswirken. Und es ist eine offene Frage, ob alle reaktiven oder präventiven Maßnahmen hier Abhilfe schaffen oder ob sie gar die Wahrnehmung diffuser Bedrohungslagen nicht unnötig verstärken.
Einreichung der Abstracts
Bitte senden Sie Ihre Abstracts (300-500 Wörter) und kurze forschungsbiographische Angaben bis zum 31.05.2025 an die Koordination der Forschungsgruppe, Dr. Eryk Noji:
Die Tagung findet am 20.11. und 21.11.2025 auf dem Berliner Campus der FernUniversität statt. Das Tagungsprogramm ist für den 20.11. ganztägig geplant, sodass eine Anreise am Vortag empfohlen wird. Am Vorabend wird es Gelegenheit zum Get-together geben. Reise- und Übernachtungskosten können für Referent*innen übernommen werden. Für die Vorträge ist eine Dauer von etwa 20 Minuten sowie eine Diskussion von etwa 25 Minuten vorgesehen.
Bedrohungen analytisch wie theoretisch zu reflektieren ist das Anliegen unserer Abschlusstagung. Sowohl auf individueller wie auch kollektiver Ebene verstärken sich diffuse Gefühle von Unsicherheit und führen zu einer verstärkten Wahrnehmung von zum Teil ganz alltäglichen Dingen der Welt als abstrakte Bedrohung: Türklinken könnten Infektionsherde sein, die Drohen am Himmel Teil von hybrider Kriegsführung, der Nachbar ein Gefährder. Dabei spielt der Begriff der kollektiven Imagination eine zentrale Rolle, denn solche Vorstellung breiten sich schnell aus. Bedroht werden wir von etwas, das noch nicht eingetreten ist und möglicherweise nie eintreten wird, aber das wir uns vorstellen können, um vorbereitet zu sein. Figuren wie der Prepper treten auf den Plan und das Geschäft mit Atombunkern, die jetzt auch Viren abhalten sollen, boomt.
Die Abschlusstagung soll Bedrohungen aus verschiedenen interdisziplinären Perspektiven in den Blick nehmen. Beitragsvorschläge können sich beispielsweise an den folgenden Feldern ausrichten:
- Das sind erstens auf zukünftige Zustände oder Entwicklungen bezogene Bedrohungsszenarien, die auf den verschiedensten Gebieten erstellt werden und jenseits der scientific community auf eine sensibilisierte und alarmierte Öffentlichkeit treffen. Insbesondere durch Überzeichnung und überschießende Imagination werden unerwünschte Rückkopplungseffekte erzeugt, möglicherweise aber auch ein emotionaler Mehrwert in Form von Angstlust erzielt.
- Das sind zweitens latente Bedrohungen, die von bestimmten Orten bzw. Räumen ausgehen. Das gilt besonders von Nicht-Orten, d.h. Zwischen- und Übergangsräumen verschiedenster Provenienz, jene Zonen und Sperrgebiete, in denen die geltenden Regeln und Gesetze keine Kraft und Gültigkeit haben und andere möglicherweise an ihre Stelle getreten sind. Hier spielt die kollektive Imagination seit jeher eine besondere Rolle: Etwas, was schon da ist, wird zur gleichsam faszinierenden Bedrohung für die Zukunft.
- Das sind drittens epistemische Bedrohungen sowohl im Verhältnis zwischen Wissen und Unwissen als auch in der wissenschaftlichen bzw. politischen Praxis, die das Wissen/Unwissen gezielt für Manipulationszwecke einsetzen. Der Aspekt der Bedrohung (und zum Teil der kollektiven Imagination) ist hier ein doppelter: Auf der einen Seite steht das verunsichernde Unwissen von Phänomenen, auf der anderen Seite die entsprechende Einsicht in die Manipulierbarkeit aktueller Wissensbestände, aber auch psychologischer Dispositionen. Schlagworte für letzteres sind: Mind Control, Gaslighting oder Programmierung, die über Literatur und Film in das kulturelle Gedächtnis eingegangen sind, deren empirischer Nachweis jedoch problematisch oder gar unmöglich ist.
Literatur
Vormbusch, Uwe; Niehaus, Michael; Fechner, Fabian; Risthaus, Peter; Noji, Eryk (2025): Einleitung, in: Dies. (Hg.): Glossar der Unsicherheit, Berlin: Neofelis, S. 9-15.