Open-Book-Klausuren über das Online-Übungssystem der FernUniversität

von Martin von Hadel und Nils Szuka

Technische Voraussetzungen

Online Übungssystem

Vorbereitung

Mindestens 1-2 Monate

Anzahl Studierende

unbegrenzt

Beratung

e-KOO

Kontakt

Martin von Hadel, Zentralbereich Rechtwissenschaftliche Fakultät

Beschreibung

1. Problemstellung

Wie zahlreiche andere Hochschulen musste die FernUniversität in Hagen ihre Prüfungskampagne des WS 2019/2020 abbrechen, da aufgrund der SARS-COVID19-Pandemie keine Präsenzprüfungen mehr stattfinden konnten. Ab dem 13.3.2020 musste der Prüfungsbetrieb vollständig eingestellt werden. Für die Rechtswissenschaftliche Fakultät bedeutete dies, dass über 3.000 Semesterabschlussprüfungen von Studierenden zunächst abgesagt werden mussten.

2. Lösungsansatz

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät hatte sich entschlossen, einen möglichst zeitnahen Nachholtermin für die betroffenen Studierenden anzubieten. Angesichts der unklaren Lage war es hierbei erforderlich, ein Konzept zu entwickeln, das nicht auf Präsenz der Teilnehmenden aufbaut und in dieser besonderen Situation flexibel auf die Bedürfnisse der Zielgruppe der FernUniversität abgestimmt ist. In der überwiegenden Zahl der Module wurden Ende April 2020 Nachholtermine für die Klausuren in Form von „E-Klausuren“ in einem Open-Book-Format angeboten.

3. Das Format „E-Klausur

E-Klausuren unterscheiden sich von der Aufmachung nicht von den Klausuren, die die Studierenden sonst kennen. Die Klausuren werden allerdings in einem festgesetzten Zeitraum nicht in einem Hörsaal geschrieben, sondern zuhause am Computer. Die Fakultät hat sich entscheiden, den Studierenden ein internes und damit gewohntes System zur Bearbeitung der E-Klausuren zur Verfügung zu stellen. Die Studierenden verwenden das Online-Übungssystem, das sie bereits zur Einreichung von Prüfungsvorleistungen (Einsendearbeiten) oder Hausarbeiten nutzen. Ein wichtiger Baustein des Konzepts ist die frühzeitige Vorbereitung der Studierenden. Diese werden zunächst via E-Mail und über Webangebote über das neue Prüfungsverfahren informiert. Anschließend erhalten alle Studierende die Möglichkeit, über eine Testumgebung im Online-Übungssystem die Einreichung zu üben und können den Ablauf mit Hilfe eines kurzen Videotutorials nachvollziehen. Bei technischen Fragen und im Bereich des Nachteilsausgleichs findet eine individuelle Beratung durch das Prüfungsamt der Fakultät und den Fachmediendidaktiker statt.

Studierende erhalten spätestens drei Tage vor der Prüfung vom Prüfungsamt einen Link zum Online-Übungssystem. Der Prüfungssachverhalt und die individuellen Bearbeitungshinweise werden pünktlich zum jeweiligen Prüfungsbeginn freigeschaltet. Die Prüflinge laden anschließend den Prüfungssachverhalt im PDF-Format herunter und erstellen in einem Zeitkorridor von 120 Minuten ihre Lösung in einem Textverarbeitungsprogramm ihrer Wahl (z.B. MS Word, LibreOffce). Zum Ende der Bearbeitungszeit speichern sie ihre Bearbeitung im PDF-Format und laden ihre Lösung im Online-Übungssystem hoch.

Screenshot Ansicht der Open Book Klausur für Studierende
Aufgabenstellung und Lösungsberarbeitung der Open Book Klausur aus Sicht der Studierenden (Screenshot: FernUniversität)

Dabei erhalten Studierende zusätzlich zur regulären Bearbeitungszeit der Prüfung eine weitere Stunde für die Vor- und Nachbereitung der Klausurlösung, den Upload und für die Beseitigung etwaiger technischer Probleme. Im Fall von Uploadproblemen ist eine Einreichung per E-Mail an eine Funktionsadresse möglich. Die Korrektur der Arbeiten erfolgt ebenfalls digital durch die Korrektorinnen und Korrektoren der FernUniversität in Hagen. Die Studierenden erhalten nach Abschluss aller Korrektoren ihre korrigierte Arbeit digital nebst Anmerkungen und Gutachten zurück. Die Noten werden automatisch in die Prüfungssysteme der Fakultät übermittelt.

4. Herausforderungen

Das Open-Book-Format birgt zunächst das Risiko der fehlenden sicheren Anwesenheitskontrolle sowie die Möglichkeit, dass die Teilnehmenden während der Lösungsphase Hilfsmittel verwenden. Letzteres stellt aber zunächst kein Problem dar, da dies bei Open-Book-Klausuren immanent ist. Die Prüfenden sollten sich dessen bewusst sein und können im Rahmen der Aufgabenstellung und Korrektur diesen Umstand berücksichtigen. Die Erfahrung zeigt, dass auch bei Hausarbeiten, bei denen die Studierenden wesentlich mehr Zeit zur Bearbeitung haben, nicht nur „perfekte Lösungen“ abgegeben werden. Selbst wenn man in der zur Verfügung stehenden Zeit beispielsweise eine scheinbar passende Gerichtsentscheidung findet, die z.B. den Anknüpfungspunkt für die Schwerpunkte der Prüfung darstellt, bedeutet dies nicht, dass Studierende automatisch eine Musterlösung gefunden haben. Rechtswissenschaftliche Prüfungen erfordern einen hohen Anteil an Transferleistungen, da einerseits selten Gerichtsentscheidungen 1:1 als Prüfungen genutzt werden, anderseits die Hauptleistung einer rechtswissenschaftlichen Klausur meist die Erstellung eines juristischen Gutachtens ist. Wobei insbesondere die Interpretation des Gesetzes innerhalb einer konsistenten Argumentationsstruktur ausschlaggebend für das Gelingen der Prüfung ist. Um Probleme zu finden und innerhalb einer Prüfungssituation argumentativ abzuwägen, müssen Studierende bereits die Strukturen und Prinzipien der jeweils prüfungsrelevanten Gesetze sowie die jur. Methodenlehre kennen und verstehen. Diese Kompetenzen lassen sich gut in einer zeitlich beschränkten Klausur im Open-Book-Format abprüfen, sie können aber kaum von Studierenden kurzfristig „ergoogelt“ werden. Auch wenn diese Form der Prüfung nicht den tradierten Formaten in der juristischen Ausbildung entsprechen mag, so ist sie doch wesentlich näher an den tatsächlichen Herausforderungen der jur. Praxis. Denn dort sind nicht limitierte Hilfsmittel ausschlaggebend für den Erfolg oder Misserfolg, sondern vielmehr Kompetenzen, die es ermöglichen, unbekannte Probleme selbstständig in einer beschränkten Zeit lege artis zu lösen.

Die zweite große Herausforderung betrifft die Identifikation von Prüflingen. Die FernUniversität in Hagen muss als prüfende Instanz sicherstellen, dass die Prüflinge die Prüfung auch selbst ablegen und keine Dritten die Klausuren bearbeiten. Die FernUniversität in Hagen stellt dies im Rahmen ihrer datenschutzrechtlichen Möglichkeiten sicher, indem die Studierenden sich mit ihrem personalisierten Account der FernUniversität in Hagen zur Klausur einloggen müssen, hier ermöglicht das Identity-Management der Universität eine Authentifizierung (wer schreibt?) sowie die Autorisierung (was darf der Prüfling schreiben?). Bei realistischer Betrachtung unterscheidet sich diese Situationen nicht von klassischen Hausarbeiten, die seit jeher ein etabliertes Prüfungsformat der Rechtswissenschaft darstellen. Ob die jeweilige Hausarbeit tatsächlich vom Prüfling gefertigt wurde, wird auch durch eine Versicherung oder Unterschrift nicht sichergestellt. Mit dieser „Gefahr“ leben die Rechtswissenschaften also schon lange. Darüber wird von den Studierenden am Ende der Bearbeitung eine Versicherung über die selbstständige Bearbeitung verlangt. Zu erwägen sind aber automatisierte Plagiatskontrollen in kommenden Semestern und ggf. die Nutzung von Proctoring-Diensten.

Weitere Informationen

Voraussetzungen

  • Erfahrung in der Nutzung des Online-Übungssystems
  • Enge Abstimmung mit dem Prüfungsamt und den Lehrenden
  • gute Vorbereitung der Studierenden und Lehrenden

Tools

  • Online Übungssystem
  • ggf. POS

Hinweise

  • Unbedingt didaktische Implikationen des Formats „Open-Book“ bei der Prüfungserstellung berücksichtigen
  • Frühzeitig Kontakt mit der technischen Betreuung des Online-Übungssystems und dem POS-Team im ZMI suchen
  • Unbedingt Testmöglichkeiten und Tutorials für Studierende vorab zur Verfügung stellen
  • Notfalloptionen einplanen bei technischen Problemen

Kontakt

Martin von Hadel, Fachmediendidaktiker, Zentralbereich Rechtswissenschaftliche Fakultät der FernUniversität in Hagen

Übersicht

Ziele

Entwicklung eines skalierbaren digitalen Prüfungsformats, das keine Präsenz erfordert

Kontext

Abschlussprüfungen von Modulen in den Studiengängen

  • Bachelor of Laws
  • Erste juristische Prüfung
  • Master of Laws

Probleme

Ermöglichung von digitalen Abschlussprüfungen, die die Grundsätze der Chancengleichheit wahren und Kompetenzen sinnvoll abprüfen

Lösung

Entwicklung eines digitalen Open-Book-Prüfungsformats über das Online-Übungssystem

Vorteile

  • Verhältnismäßig einfach zu planen und für Studierende einfach zu nutzen
  • Guter Korrekturworkflow und direkte Möglichkeit der Einsichtnahme für Studierende
  • Skalierbar
  • Für Studierende attraktives, ortsunabhängiges Prüfungsformat

Nachteile

  • Keine Identitätsfeststellung, sondern nur Authentifizierung
  • Nur eingeschränkte Möglichkeiten, die Eigenständigkeit der Prüfungsleistung sicherzustellen


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