Kennen Sie schon… die Customer Journey?

Beschreibung

Die Customer Journey ist eine Methode aus dem User Experience Design und einigen anderen Bereichen, die sich damit beschäftigt, wie die „Reise“ eines Kunden oder einer Kundin vom ersten Kontakt mit einer Website oder einem Produkt bis hin zum Erfüllen einer Aufgabe oder zum Kauf des Produkts verläuft. Beim Anwenden der Methode werden einzelne „Orte“ auf dieser Reise analysiert und es wird versucht, aus den Erkenntnissen das Erlebnis für den Kunden oder die Kundin zu optimieren. Die Customer Journey kann vor der Realisierung eines Produkts oder zum Gegensteuern bei Problemen nach der Einführung genutzt werden.

Eine typische Customer Journey für ein Produkt besteht beispielsweise aus dem Moment, in dem ein*e Kund*in zum ersten Mal mit dem Produkt in Kontakt kommt, aus den Überlegungen, die in Kund*innen reifen, ob sie ein Produkt kaufen werden oder nicht, dem Moment der Kaufentscheidung und den Erfahrungen, die mit einem Produkt gemacht werden.

Der wichtigste Aspekt dabei ist die Zielgruppenzentrierung. Ausgehend von den Überlegungen und Erfahrungen von realen Kund*innen werden die möglichen Reaktionen vorhergesagt. Die Bedürfnisse und Aktivitäten der Nutzenden werden in die Mitte aller Überlegungen gestellt und modelliert. Es gibt unterschiedliche Ansätze, die Customer Journey zu strukturieren, ein häufig verwendeter besteht aus fünf Phasen (vgl. Artikel):

  • Aufmerksamkeit: Das Interesse wird geweckt. (engl. awareness)
  • Erwägung/Überlegung: Durch Informationsbeschaffung wird das Interesse konsolidiert. (consideration)
  • Umsetzung: Die Kauf- oder Nutzungsentscheidung wird getroffen. (purchase)
  • Aufrechterhaltung: Erste Erfahrungen mit dem Produkt werden gesammelt. (retention)
  • Befürwortung: Das Produkt wird weiterempfohlen. (advocacy)

Auch wenn die Anwendung von Marketing-Methoden auf didaktische Zusammenhänge kritisch gesehen werden kann, bietet die Customer Journey doch einige Anhaltspunkte, die sich auch für die Planung von Lehrveranstaltungen eignen.

Übertragung auf die Lehre

Ähnlich wie bei der Methode „Customer Journey“, bei der die Zielgruppe in den Mittelpunkt gestellt wird, sind die Lernenden in der Didaktik der Ausgangspunkt für alle Entscheidungen des didaktischen Planens. Im Bereich der Lehre hilft die Customer Journey, die Sichtweise der Lernenden einzunehmen und herauszufinden, welche Methoden und Werkzeuge dabei helfen, Lernprozesse zu optimieren. Im Gegensatz zu Umfragen und Evaluationen, die von realen Lernenden beantworten werden, kann die Customer Journey helfen, eine noch unbekannte Zielgruppe kennenzulernen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden häufig Personas erstellt, die zur Erstellung einer Journey herangezogen werden.

Die oben skizzierten fünf Phasen können mit bestimmten Lernphasen verglichen werden, die im Lernprozess eine wichtige Rolle spielen. Ausgehend von Überlegungen von John Dewey zu den Stufen des Denkens, entwickelten unterschiedliche Pädagogen im Laufe des 20. Jahrhunderts Modelle, die die Phasen eines Lernprozesses beschreiben sollen. Diese können den Phasen der Customer Journey wie in der folgenden Tabelle gegenübergestellt werden. Die Bezeichnungen der Lernphasen sind dabei dem problemorientierten Ansatz nach Rolf Sistermann entlehnt (vgl. Sistermann 2016). Die Beschreibungen beziehen sich auf „Orte“ der „Reise“, die jeweils besonders unterstützt werden sollten.

Tabelle 1: Gegenüberstellung der Customer Journey Phasen und einiger Lernphasen nach Sistermann
Customer Journey Phase Lernphase
Aufmerksamkeit Hinführung und Problemstellung
Das Interesse der Lernenden wird z. B. durch einen Sachverhalt geweckt, der ihrer Erfahrung zuwider läuft.
Erwägung/Überlegung Selbstgesteuerte intuitive Problemlösung
Die Lernenden sammeln Informationen, die nach ihrer Auffassung zu einer Lösung beitragen könnten.
Umsetzung Angeleitet kontrollierte Problemlösung
Die Lehrenden erarbeiten gemeinsam mit den Lernenden informiertere Problemlösungen, die teilweise mit den intuitiven Lösungen übereinstimmen, grundsätzlich jedoch gängige Lehrmeinungen vorstellen und/oder diskutieren.
Aufrechterhaltung Festigung/Sicherung
Durch Einüben, Sichbeschäftigen und Vertiefen werden Wissen und Kompetenzen gesichert.
Befürwortung Transfer/Stellungnahme
Weitere Übungen und der Austausch mit anderen Lernenden bietet die Möglichkeit der weiteren Verfestigung.

Der in der Tabelle vorgestellte Vergleich ist nur eine Möglichkeit, die Customer Journey auf die Planung einer Lehrveranstaltung anzuwenden. Dabei muss für jeden einzelnen „Ort“ überlegt werden, wie die Zielgruppe – die Lernenden – dort aktiviert werden können, wie sie auf bestimmte Materialien und Methoden reagieren könnten und welche Maßnahmen jeweils ergriffen werden sollten. Die thematische Nähe zum Problem-basierten Lernen ergibt sich aus der öffnenden Beschäftigung mit einem „Problem“ in der ersten Phase.

Als Fazit kann also festgehalten werden, dass die Customer Journey vor allem für die Lehrveranstaltungsplanung als Rahmen geeignet ist. Sie kann helfen, eine Struktur vorzugeben, nach der sich Studierende mit einem Thema beschäftigen. Sicherlich muss sich aber nicht strikt an die einzelnen Phasen gehalten werden. Sie können auch lediglich als erster Anhaltspunkt dienen, mit dem Lehrende versuchen können, aus Sicht der Lernenden einzuschätzen, was in der Lehre funktionieren könnte. Dies lässt sich in Kombination mit anderen Methoden wie z. B. der Persona-Methode noch weiter unterfüttern.

Links und Literatur

  • Böcker, J. (2015). Die Customer Journey–Chance für mehr Kundennähe. In: Dialogmarketing Perspektiven 2014/2015. Wiesbaden: Springer Gabler, 165-177.
  • Customer Journey: Definition, Modelle und Beispiele
  • Kuenen, K. Customer-Journey-Prozess. Gabler Wirtschaftslexikon.
  • Sistermann, R. (2016). Problemorientierung, Lernphasen und Arbeitsaufgaben. In: Neues Handbuch des Philosophieunterrichts, Bern: UTB, 203-223.

Methodensteckbrief

Voraussetzungen

  • Planung einer Lehrveranstaltung bei geringer Kenntnis der Zielgruppe

Ablauf

  1. Einteilung der Veranstaltung in Phasen, die sich am Customer Journey Modell orientieren
  2. Kombination mit weiteren Methoden der Zielgruppenanalyse
  3. Ausarbeitung von Materialien und Methoden für die einzelnen Phasen des Lernprozesses laut der Ergebnisse der Customer Journey Analyse

Ziele und Vorteile

  • besseres Verständnis der Bedürfnisse der Lernenden in den einzelnen Phasen eines Lernprozesses
  • Möglichkeit zur strukturierten Konzeption einer Lehrveranstaltung
  • starke Lernendenorientierung

Nachteile

  • unter Umständen aufwändig


2 thoughts on “Kennen Sie schon… die Customer Journey?

  1. Interessanter Beitrag, der eine kundenzentrierte (studierendenzentrierte) Sicht auf die Gestaltung von (Lern-)Prozessen anklingen lässt. Damit sind wir genau im zentralen Lehr und Forschungsthema unseres BWL-Lehrstuhls und meines Forschungsschwerpunkts zur Entstehung der Service Customer Experience im (Dienstleistungs-)Prozess.

    Ein Problem was ich in der Literatur zur Customer Journey sehe, ist die starke Fokussierung auf Produkte, was zur Folge hat, dass ein wesentliches Merkmal von Dienstleistungen, wie es auch für das Lehren und Lernen gilt, außer acht gelassen wird: Es handelt sich um einen (gemeinschaftlichen) co-kreativen (Wertgenerierungs-)Prozess, der (soziale und objektbezogene) Interaktion zu verschiedene Zeitpunkten im (Lern-)Prozess beinhaltet. Dies hat zur Folge, dass die Phasen der Journey sehr unterschiedlich zeitlich und inhaltlich ausgeprägt sein können. Wenn man im Kontext von Lernen an eine Selbstlernphase wie im Inverted/Flipped Classroom-Konzept denkt, dann steht vor allem die Learner-Content-Interaktion (Selbststudium), also die (objektbezogene) Interkation mit Lernmaterialien im Vordergrund. Darauf folgt eine sozial-interaktive Phase, die einerseits als durch Learner-Teacher-Interaktion als auch durch Learner-Learner-Interaktion geprägt sein kann.

    Spannend finde ich es, die Frage von Kohärenz (coherence), Nahtlosigkeit (seamlessness) und Individualisierung (personalization) – Dimensionen, die aktuell in der Forschung in Bezug auf die Qualität der Customer Journey (vgl. Jaakkola, E., & Terho, H. (2021). Service journey quality: conceptualization, measurement and customer outcomes. Journal of Service Management) diskutiert werden, auf die Studierenden Journey anzuwenden und zu fragen, was sie in diesem Kontext bedeuten.

    1. Hallo Stefan,
      vielen Dank für die sehr interessante Erweiterung und Vertiefung dieses ersten rudimentären Aufschlags zum Thema. Die drei Begriffe in letzten Absatz sind insofern sehr spannend, als dass sie auch in der (medien-)didaktischen Diskussion wiederzufinden sind. Wir sollten da mal am Ball bleiben. 😉
      Viele Grüße
      Alexander

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