von Dr. Annabell Bils und Kirsten Pinkvoss
Dieser Gastbeitrag erschien zuerst im Blog des Hochschulforums Digitalisierung.
Für eine Gleichberechtigung der Geschlechter bei der digitalen Transformation gibt es im Hochschulbereich einige Baustellen: Ungleicher Zugang, Unterschiede im Nutzungsverhalten & Teilhabe an digitalen Trends machen Veränderungen notwendig. Welches ungenutzte Potential birgt es, Digitalisierung und Gender zusammenzudenken? Dr. Annabell Bils und Kirsten Pinkvoss zeigen Best Practices von Hochschulen für die Reduktion des Digital Divide auf und argumentieren für mehr Gender- und Diversitykompetenzen.
Digitalisierung und Gender
Die Diskussion um die Teilhabe von Frauen an der digitalen Transformation ist nicht neu. Auch hier im Blog hat es gerade erst den sehr lesenswerten Beitrag von Swetlana Franken gegeben, die mit der Denkfabrik ein konkretes Konzept vorgestellt hat. Wir möchten in unserem Beitrag zusätzlich die Perspektive der Hochschulen beleuchten. Wir, das sind Dr. Annabell Bils, Referentin für Hochschulstrategie und Digitalisierung, und Kirsten Pinkvoss, Gleichstellungsbeauftragte, beide an der FernUniversität in Hagen beschäftigt.
Wie Stifterverband und McKinsey zeigen, wird die Arbeitswelt der Zukunft stärker als bislang durch digitale Informationen und Abläufe geprägt sein. Der Erwerb von digitalen Fähigkeiten wird in fast allen Branchen und Berufen immer wichtiger werden. Die Kompetenz zum Umgang mit digitalen Technologien und Kollaborationstechniken wird damit zur Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg und gesellschaftliche Teilhabe. Dazu gehören neben der Gestaltung von transformativen Technologien auch digitale und nicht-digitale Schlüsselqualifikationen wie Adaptionsfähigkeit oder digitale Interaktion.
In ihrer Studie Digital Gender Gap: Lagebild zu Gender(un)gleichheiten in der digitalisierten Welt zeigen die Initiative D21 und das Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit, dass es bereits bei den Zugängen zur Digitalisierung erhebliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Dabei stellt der Zugang einen der vier Subindizes dar, aus denen der Digitalindex gebildet wird.
Dieses Muster wird fortgesetzt beim Nutzungsverhalten und der Offenheit sowie dem Interesse an digitalen Trends. Es verwundert daher nicht, dass auch die digitalen Kompetenzen – insbesondere hinsichtlich der Selbsteinschätzung von Männern und Frauen – stark voneinander abweichen.
Allerdings ist diese Entwicklung kein naturgegebenes Phänomen. Valerie Lux zeigt auf, dass beispielsweise der Männerüberschuss im Studiengang Informatik an deutschen Universitäten ein Phänomen westlicher Industriestaaten ist. Nicht nur haben westliche Industrieländer besonders wenig MINT-Absolventinnen, sondern bleiben darüber hinaus hinter vielen Ländern zurück, die beim Thema Gleichberechtigung ansonsten auch insgesamt schlechter abschneiden (vgl. Lux, 2020).Lux kommt zu dem Schluss: „Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen eindeutig, dass die äußeren Umstände viel entscheidender sind, wenn es um die Frage geht, wie viele junge Frauen sich für einen technischen Studiengang oder Beruf entscheiden“ (Lux 2020).
Quereinstieg in die Informatik
Wir halten es deshalb für notwendig, einen Quereinstieg für Frauen in die Informatik zu realisieren. Der technologische Fortschritt geht so schnell voran, dass Bewerbende in grundständigen Studiengängen gar nicht schnell genug ausgebildet werden können. Dass z.B. Entwickler*innen, Systemadministrator*innen und Datenwissenschaftler*innen überall gebraucht werden, verändert den Arbeitsmarkt für diese Fachkräfte. Der Bedarf wird zurzeit nicht gedeckt. Weiterbildung im Job wird gefördert und gefordert; eine Einstellung, die bei anderen Unternehmen und ihren Beschäftigten noch nicht in dieser Form vorherrscht. Und die Einstellungspraxis wandelt sich zugunsten von Frauen, obwohl diese nur 15 Prozent der Bewerber*innen in der IT-Branche ausmachen.
Es müssen ausreichende und hochwertige Möglichkeiten des beruflichen Quereinstiegs geboten werden, damit ein genügend großer Pool an Menschen mit digitalen Kompetenzen ausgebildet werden kann. So könnte beispielsweise durch entsprechende Angebote wie dem eines Quereinstiegs von Frauen in die Informatik die Lücke zwischen den Geschlechtern geschlossen werden, die sich bislang zu Ungunsten von Frauen abzeichnet, die nicht gleichberechtigt von den entstehenden Prozessen der digitalen Transformation profitieren (z. B. sinkt der Anteil von Informatik-Studentinnen an deutschen Hochschulen). Ein gutes Beispiel hierfür ist die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, die mit ihrem Studiengang „Informatik und Wirtschaft“ exklusiv Frauen anspricht. Dabei sind keinerlei Vorkenntnisse in Informatik erforderlich. Gerade Neueinsteigerinnen wird damit ein schneller fachlicher Anschluss geboten. So werden Neugier und Motivation unserer Ansicht nach in bestmöglicher Weise gefördert.
Stereotype Rollenbilder überwinden
Ferner sind die meisten Studiengänge und Ausbildungsberufe bisher nicht an die Interessen von Frauen angepasst (in ihren Beschreibungen, Bildern, Rollenvorbildern sind sie an Männer gerichtet und wenig interdisziplinär). Diese Stereotypen beeinträchtigen die Selbsteinschätzung und damit die Studienwahl der Frauen. Dringend erforderlich sind eine Entwicklung von geschlechtergerechten Curricula und Namensgebungen der Studiengänge, mehr interdisziplinäre und eindeutig anwendungsorientierte Studiengänge (schon in der Namensgebung), Entwicklung von unterschiedlichen Programmen für Quereinsteigerinnen (insb. auch aus Gesellschaftswissenschaften), Entwicklung von Teilzeitstudiengängen insbesondere in Fachbereichen der Informatik. Durch diese Umstrukturierungen hat die Carnegie Mellon University ihren Frauenanteil von 7% der Studienanfängerinnen im Jahr 1995 auf 42% im Jahr 2000 massiv gesteigert und gilt damit als Vorreiterin auf diesem Gebiet.
Gender- und Diversitykompetenz an der Hochschule
Darüber hinaus hat die zunehmende Digitalisierung indirekt gravierende Auswirkungen auf Frauen, die es auch aus der Perspektive Hochschule zu beachten gilt. Diskriminierungen in Algorithmen fallen oft erst auf, wenn Firmen wie Amazon oder Apple medienwirksame Pannen unterlaufen und Nutzer*innen sich beschweren. Die Testläufe in den Entwicklungsteams funktionieren zu diesem Zeitpunkt bereits lange reibungslos – für die hier arbeitenden überwiegend anglo-europäischen, technikaffinen Männer. Dies ist keine böse Absicht. Aber: Ohne Diversität im Entwicklungsteam fallen Probleme viel zu spät oder gar nicht auf.Es fehlt die interdisziplinäre Zusammensetzung aus der Geschlechter- und Diversityforschung. Hochschulleitungen sollten auf die Beteiligung von Personen mit Gender- und Diversitykompetenz in der Forschung an den Hochschulen und bei Kooperationen (z.B. durch interdisziplinäre Wissenschafter*innen aus den Gender Studies oder Professuren mit Gender-Denominationen) hinwirken. Es bedarf einer Geschlechterperspektive bei Forschungsthemen. Daten müssen geschlechtersensibel (einschließlich der 3. Geschlechtsoption) erhoben werden. Die hohe Bedeutung geschlechtersensibler Sprache bei sprachauswertenden Algorithmen soll ins Bewusstsein gerufen und durchgesetzt werden. Gender- und Diversitykompetenzen sowie ein Bewusstsein über die Diskriminierungsrisiken müssen als Grundbestandteil von „digital literacy“ an alle Studierenden als zukünftige Multiplikator*innen vermittelt werden.
Literaturliste
Balkow, Corinna & Eckardt, Irina (2019). Bias in algorithmischen Systemen. Initiative D21: Denkimpulse zur Digitalen Ethik Nr. 7. https://initiatived21.de/app/uploads/2019/03/algomon_denkimpuls_bias_190318.pdf
Center for Data Science and Public Policy of The University of Chicago (2019): Aequitas. https://dsapp.uchicago.edu/projects/aequitas/
Lux, Valerie (2020). Warum anderswo mehr Frauen IT-Berufe ergreifen. https://www.golem.de/news/arbeit-warum-anderswo-mehr-frauen-it-berufe-ergreifen-2001-141784.html
Initiative D21 e.V., & Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e.V. (2020). Digital Gender Gap: Lagebild zu Gender(un)gleichheiten in der digitalisierten Welt. https://kompetenzz.de/content/download/631/file/d21_digitalgendergap.pdf
Schinzel, Britta (2003). Curriculare Vorschläge zur Erhöhung des Frauenanteils in der Informatik: Möglichkeiten und Maßnahmen. http://mod.iig.uni-freiburg.de/cms/fileadmin/publikationen/curriculuminf.pdf
Stifterverband & McKinsey & Company (2019). Future Skills: Strategische Potenziale für Hochschulen. https://www.stifterverband.org/download/file/fid/7213
Stoet, Gijsbert & Geary, David C. (2018). The Gender-Equality Paradox in Science, Technology, Engineering, and Mathematics Education. Psychological Science, Vol. 29(4), pp. 581–593, https://doi.org/10.1177/0956797617741719