Bei der Vermittlung von Fachinhalten können die Studierenden nicht mit allen Aspekten eines Themas konfrontiert werden, sondern es muss ausgewählt, weggelassen und vereinfacht werden. Gerade zu Beginn des Studiums ist daher die didaktische Reduktion von großer Bedeutung. Welche Aspekte können weggelassen werden? Wie kann das entschieden werden? Die Antworten auf diese Fragen sind manchmal nicht leicht zu finden. Es gibt jedoch ein paar anleitende Tipps, wie dieses Problem angegangen werden kann.
Ein Einschub gleich vorneweg: Didaktische Reduktion ist der in der Literatur üblicherweise gebräuchliche Begriff. Vielleicht hört er sich aber für manche etwas zu negativ an. Es scheint, dass Reduktion nicht angemessen ist für die komplexen wissenschaftlichen Sachverhalte, an die Studierende während ihres Studiums herangeführt werden sollen. Es wäre also gewinnbringender von didaktischer Aufbereitung zu sprechen. In diesem Artikel soll aber dennoch der erste Begriff benutzt werden.
Was ist didaktische Reduktion?
Martin Lehner schreibt in seinem Buch „Allgemeine Didaktik“ von 2009:
Didaktische Reduktion ist eine zentrale Aufgabe von Didaktik: nämlich die Rückführung komplexer Sachverhalte auf ihre wesentlichen Elemente, um sie für Lernende überschaubar und begreifbar zu machen.
Wie fange ich an?
Die Frage, die am Anfang gestellt werden muss, lautet also: Was kann wann wie für wen reduziert werden? Im Einzelnen bedeutet das:
- Was? Welche Inhalte lassen sich reduzieren?
- Wann? An welcher Stelle des Studiums sollten Studierende mit reduzierten Inhalten konfrontiert werden? Wann kann ihnen zugemutet werden, sich auch mit komplexeren Inhalten zu beschäftigen?
- Wie? Wie kann entschieden werden, was reduziert wird und was nicht? Wie können unterschiedliche Medien dabei unterstützen?
- Für wen? Wer ist die Zielgruppe, für die reduziert wird?
Wie sieht das konkret aus?
Auf fachlicher Ebene müssen die Lehrenden entscheiden, welche Inhalte wie zu verarbeiten sind. Sie sind schließlich die Expert*innen auf ihrem Gebiet und wissen am besten, was wichtig ist und was auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden kann.
Eine Zielgruppenanalyse ist in jedem Fall wichtig. Studierende am Anfang des Studiums können mit komplexen Inhalten überfordert sein, während Studierende in späteren Semestern im Idealfall bereits Strategien kennen, wie sie sich dieser Komplexität annähern können.
Wenn es danach an die Inhalte selbst geht, unterscheiden Rolf Arnold, Antje Krämer-Stürzl und Horst Siebert (2011) zwischen horizontaler und vertikaler didaktischer Reduktion. Bei der horizontalen Reduktion funktioniert die Erklärung eines Sachverhalts durch die Anwendung von Beispielen, Vergleichen usw. Der Umfang des Inhalts wird dabei nicht reduziert. Dies ist vielmehr bei der vertikalen Reduktion der Fall. Die Autor*innen nennen sie die „eigentliche“ didaktische Reduktion und unterscheiden dabei zwei Varianten:
- Bei der qualitativen didaktischen Reduktion wird ein komplexes Thema vereinfacht, sodass es für die Lernenden leichter verständlich wird. Dies geschieht z. B. durch Generalisierung oder Selektion.
- Die quantitative didaktische Reduktion besteht in einer Reduzierung des Umfangs eines Themengebiets
Diese zweite Form der didaktischen Reduktion wird auch von Bettina Ritter-Mamczek (2011) aufgegriffen. Die quantitative Reduktion kann danach durch eine Lernlandkarte verdeutlicht werden. Auf großer Zoomstufe sind nur wenige Details zu erkennen. Diese Details werden erst später im Studium durch „Hineinzoomen“ genauer beleuchtet werden. Die qualitative Reduktion kann dagegen mit der Entwicklung eines Prototyps verglichen werden, der ein (voll funktionsfähiges) Modell der komplexeren Maschine o. ä. ist.
Ritter-Mamczek schlägt dann 12 Schritte vor, die durchlaufen werden sollten, wenn Inhalte für die Lehre aufbereitet werden sollen. Sie setzt dabei die quantitative vor die qualitative Reduktion.
- Zielgruppenanalyse durchführen: Für wen wird der Inhalt aufbereitet?
- Selbstanalyse Dozierende: Welche Expertise bringen Dozierende mit?
- Lehr-/Lernziele und Zeitrahmen festlegen: Was muss erlernt werden und wieviel Zeit steht dafür zur Verfügung?
- Kontext und Begrifflichkeiten: Was kann vorausgesetzt werden?
- Thema abgrenzen und ausdünnen: Was muss rein und was kann rausgelassen werden?
- Inhalte zusammentragen: Welche Einzelinhalte machen ein Thema aus?
- Inhalte bündeln: Was kann zusammengefasst werden?
- Lernlandkarte planen: Wie können die wichtigsten Aspekte zueinander arrangiert werden?
- Visualisierung der Karte: Wie kann ein Themengebiet übersichtlich visualisiert werden?
- „Inseln“ bilden: Wie detailliert muss die Visualisierung sein?
- Untergeordnete Karten entwerfen: Sollen die Einzelinhalte ebenfalls visualisiert werden?
- Prototypen entwickeln: Wie könnte eine qualitative Reduktion aussehen?
Fazit
Didaktische Reduktion bietet die Möglichkeit, komplexe Sachverhalte für die Lernenden verständlich zu machen. Dabei muss allerdings auch darauf geachtet werden, dass es manche Themen gibt, bei denen Reduktion nicht möglich ist, ohne dass wichtige Inhalte verloren gehen. In diesem Fall bietet es sich eher an, diese Themen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, wenn Studierende mit komplexen Inhalten besser zurechtkommen.
Video „Didaktische Reduktion“
In Ergänzung zum Beitrag ist ein Video entstanden, das die didaktische Reduktion thematisiert.
Literatur
Arnold, R., Krämer-Stürzl, A., & Siebert, H. (2011). Dozentenleitfaden: Erwachsenenpädagogische Grundlagen für die berufliche Weiterbildung. Cornelsen.
Bachmann, W. (1989). Konzepte der didaktischen Reduktion aus handlungsorientierter Sicht: eine berufspädagogische Bestandsaufnahme und Neuinterpretation. Hobein.
Kahlke, J., & Kath, F. M. (Hrsg.). (1984). Didaktische Reduktion und methodische Transformation: Quellenband. Leuchtturm-Verlag.
Lehner, M. (2009). Allgemeine Didaktik: Eine Einführung (Vol. 3245). UTB.
Lehner, M. (2012). Didaktische Reduktion. Präsentationsfolien unter: https://www.wbv.de/fileadmin/webshop/pdf/Impulsvortrag_Martin-Lehner.pdf, zuletzt abgerufen am 5.9.2019.
Lehner, M. (2009). Viel Stoff–wenig Zeit. Wege aus der Vollständigkeitsfalle. Online unter: https://fd.phwa.ch/wordpress/wp-content/uploads/2015/02/Toolbox_Reduktion_Lehner.pdf, zuletzt abgerufen am 5.9.2019.
Ritter-Mamczek, B. (2016). Stoff reduzieren: Methoden für die Lehrpraxis (Vol. 3515). UTB.
Wie halten Sie’s mit der didaktischen Reduktion? Aus dem Bauch heraus? Mit Anleitung? Diskutieren Sie mit uns in den Kommentaren unten. Wir würden gerne Ihre Meinung dazu hören.
Hallo,
die Erklärung ist für mich klar und konzentriert. Die Anwendung müsste ich üben. Dabei ist ja nicht jeder Punkt für einen Studenten machbar bzw notwendig. Ich hätte auch Bedenken, den Kausalzusammenhang zu verlieren. Also vielleicht mal ein anschauliches Webinar hierzu?
Momentan ist mir das vertraute Mind-Mapping als Reduktion lieber
Nette Grüße
Hallo!
Danke für Ihren Kommentar. Tatsächlich ist es so, dass didaktische Reduktion immer abhängig von der Zielgruppe ist und dabei eine Gratwanderung zwischen wissenschaftlicher Gültigkeit und Verständlichkeit geleistet werden muss (vgl. Arnold, Krämer-Stürzl & Siebert (2011)). Irgendwann im Studium müssen Studierende aber dann auch mal mit der Komplexität ihres Faches konfrontiert werden. 🙂
Als Tipp kann ich noch auf den Link zu dem PDF von Martin Lehner verweisen. In seiner „Toolbox der Reduktion“ finden sich weitere interessante Methoden.
Viele Grüße!