Innovative Lehrprojekte – Agiles Lernen im Fernstudium

Im Förderprogramm „Innovative Lehre“ wurde am Lehrstuhl von Prof. Dr.Uwe Elsholz das Projekt „Agiles Lernen im Fernstudium“ umgesetzt. Wir haben mit der Projektkoordinatorin Christiane Wittich  gesprochen.

Wie sind Sie auf die Idee zu Ihrem Projekt gekommen?

Christiane Wittich (Foto: Balsereit/Wittich)

In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die Hochschulen zunehmend gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und damit auch wissenschaftlichen Veränderungsprozessen ausgesetzt sind, die einer hochschuldidaktischen Auseinandersetzung bedürfen, damit die Lernenden den jeweiligen Anforderungen auch in Zukunft gerecht werden können. Neue Handlungs- und Lernmethoden sind daher unerlässlich, um den Studierenden eine eigenständige und anpassungsfähig Kompetenzentwicklung zu ermöglichen.

Bereits seit dem Agilen Manifest von 2001 werden Agilität und ihre Potenziale als mögliche Antwort auf disruptive Umbruchphasen diskutiert. So verbreitet sich die Form des agilen Arbeitens bzw. Lernens seit einigen Jahren zunehmend in der Arbeitswelt. Agile Lernformen können Lernende auf die zukünftigen Bedingungen und Herausforderungen der Arbeitswelt vorbereiten. Wir verfolgten daher den Ansatz, den Herausforderungen einer sich verändernden Bildungslandschaft besser gerecht zu werden, indem wir bisherige Lehr-/Lernformen hinterfragen und entsprechend anpassen. Dabei sollte ein partizipativer Lehr- und Lernansatz im Rahmen einer agilen Didaktik nicht nur das selbstgesteuerte Lernen der Studierenden fördern, sondern auch den Transfer von Wissen in neue Handlungskontexte unterstützen.

Darüber hinaus wurden durch das Hagener Manifest bereits viele Gedanken und Impulse aus dem Agilitätsdiskurs vom agilen Arbeiten auf das agile Lernen übertragen. Insofern haben wir das Projekt auch als Beitrag und Impuls zur Umsetzung des Hagener Manifests im eigenen Studium an der FernUniversität verstanden.

Welche Überlegungen lagen der Umsetzung des Projekts zugrunde?

Aufgrund der bereits erwähnten Transformationsprozesse war es uns ein Anliegen, den Studierenden Methoden und Lernformen aufzuzeigen, die sie in ihrer Entwicklung und bei ihren Herausforderungen unterstützen können.

Zunächst musste überlegt werden, wie ein solches Praxisfeld aus dem Unternehmenskontext in einen Lehr-/Lernkontext übertragen und in den Studiengang (damals noch eEducation) implementiert werden kann. Auch wenn es bereits einige agile methodische Ansätze für den schulischen Bildungskontext gab (z.B. eduScrum®), mussten nicht nur die Spezifikationen der Fernstudierenden, sondern auch die spezifischen Prozesse innerhalb des Studiengangs genauer betrachtet werden. Zu nennen sind hier z.B. Gruppenarbeiten, deren Charakter sich nun durch agile Methoden hinsichtlich ihres Ablaufs gezielt in Richtung einer kollaborativen gemeinsamen Erschließung von Lerninhalten in einem Team verändern wird.

Ein solches Vorhaben kann daher nur in mehreren, eher kleinen Schritten angegangen werden, so dass wir das Modulkonzept in drei Phasen* mit unterschiedlichen Aufgabenstellungen unterteilt haben. Ein wichtiger Aspekt war dabei auch, die Studierenden gezielt und aktiv in den Lehr-/Lernprozess einzubinden und durch regelmäßige Reflexionen in einer offenen Lernumgebung einen partizipativen Ansatz zu fördern.

Das damit einhergehende kompetenzorientierte Lernen und Lehren erforderte letztendlich ein kompetenzorientiertes Prüfen d.h. die Anpassung der Prüfungsform. Durch die neue formative Prüfungsform (Portfolioprüfung) sollten die Studierenden in die Lage versetzt werden, ihre Kompetenzentwicklung selbstständig zu reflektieren und einzuordnen. Sie haben die Möglichkeit, nach den jeweiligen Phasen selbst zu entscheiden, ob sie weitere Phasen absolvieren oder in einem späteren Semester fortsetzen möchten. Darüber haben die Studierenden beim letzten Prüfungselement die Möglichkeit, das Prüfungsformat zu wählen, das ihren Kompetenzen am besten entspricht (schriftlich, audio/visuell oder mündlich).

Auf diese Weise erhalten die Studierenden die Möglichkeit, ein Mindset der Eigenverantwortung, Partizipation, Flexibilität und Selbststeuerung im kollaborativen Lernen zu entwickeln und zu praktizieren.

 

Skizzenhafte Darstellung eines agilen Rahmens
* Skizzenhafte eigene Darstellung einzelner Aspekte eines agilen Rahmens der ersten Phase im Modul, die als Projekt in den studentischen Teams über 6 Wochen durchgeführt wurde (Grafiken von Adobe Stock).

 

Welche Herausforderungen sind Ihnen während der Planung und der Durchführung begegnet?

Die Herausforderung bestand zunächst darin, das agil umzusetzende Modul grundsätzlich didaktisch so zu planen und zu organisieren, dass es im Laufe der Semester iterativ weiterentwickelt und auch spontan auf Situationen reagiert und Inhalte/Vorgehen angepasst werden können. Dazu wurden ein eigenes agiles Rahmenwerk und ein Studienbrief entwickelt. Es galt, die verschiedenen agilen Methoden zu betrachten, zu hinterfragen und zu berücksichtigen, wie diese gezielt für die Studierenden erfahrbar gemacht werden können. Es konnte zudem nicht abgeschätzt werden, wie die Studierenden auf diese neue Form des Lernens reagieren würden. Mit dem Ziel, die Kompetenzorientierung zu stärken, haben wir eine neue Prüfungsform entwickelt, die durch entsprechende Gremien als Portfolioprüfung in unsere Prüfungsordnung implementiert wurde.

Ein weiterer Mehrwert, aber auch eine Herausforderung der Agilität besteht darin, nicht nur stur an Plänen festzuhalten, sondern auch spontan reagieren zu können, z.B. auf Evaluationsergebnisse und/oder Fragen während der Umsetzung. Hier bekommt die Ermöglichungsdidaktik nochmal einen anderen Stellenwert. In einer agilen Didaktik spielen offene Lernprozesse, die ein Ausprobieren und Anpassen ermöglichen sowie entsprechende Reflexionsphasen eine wichtige Rolle. So wird die Gestaltung der Lehr-/Lernprozesse kontinuierlich hinterfragt und gegebenenfalls angepasst, wie es den iterativen Prozessen eines agilen Vorgehens entspricht. Darauf muss man sich als Lehrende einlassen können, je nach Phase, auch spontan.

Dies zeigt sehr deutlich, dass wir als Lehrende permanent unser eigenes Mindset und unsere Rolle überdenken müssen. Wir könnten mit (Lern-)Widerständen und Überforderung der Studierenden konfrontiert werden, da eine bisher vertraute Lernkultur aufgebrochen wird. In diesem Kontext sollten wir als Lehrende gezielt studierendenzentriert agieren. Dazu gehört auch das Bewusstsein für eine offene Fehlerkultur. Wir sollten die Studierenden in die Planung, Strukturierung und Umsetzung neuer Ansätze und Ziele einbeziehen. Es reicht also nicht aus, agile Methoden lediglich zu implementieren und die zuvor erwähnten Aspekte nicht zu berücksichtigen.

Wie war die Reaktion der Studierenden?

Grundsätzlich wurde die praktische Umsetzung von den Studierenden in der Modulabschlussbefragung positiv bewertet, obwohl die agile Vorgehensweise den Studierenden ein intensiveres Studium abverlangte. Die Studierenden meldeten zurück, dass nicht nur ihre Motivation und Kommunikation deutlich gefördert wurde, sondern auch das Verständnis der Lerninhalte vertieft und weitere wichtige Soft Skills wie die Problemlösungskompetenz gestärkt wurden. Durch die praktische Anwendung wurden Hemmschwellen für die weitere Nutzung abgebaut. Einige gaben auch an, dass sie die Vorteile der Nutzung kollaborativer Arrangements bereits gewinnbringend auf andere Lern- und Arbeitsbereiche übertragen zu haben. Durch den agilen Prozess erlebten sie den Lernprozess als wesentlich lebendiger als in anderen Modulen, was auch mit den sozialen Interaktionen zusammenhing, die als sehr bereichernd empfunden wurden.

Die Freiheiten, die ein agiler Kontext mit sich bringen kann, wurden von den Studierenden teilweise aber auch als sehr herausfordernd beschrieben. Das gemeinsame Lernen und Erarbeiten wissenschaftlicher Themen in einem agilen Team zeigte Grenzen auf. Hier wurden kritische Stimmen laut, da sich einige Studierende anfangs von der Vielzahl an möglichen Werkzeugen und deren Anwendung überfordert fühlten, was jedoch im Team geklärt werden konnte und letztlich zu einer kontinuierlichen Lernbereitschaft führte.

Letztlich gaben die Studierenden an, neue Perspektiven auf digitale Bildung eingenommen und neue Formen der Gestaltung von Bildungsprozessen kennengelernt zu haben. Die (erstmalige) Erprobung einer neuen Lern- und Kooperationsform sowie die Wahl der Prüfungsform wirkten sich positiv auf ihre Kompetenzentwicklung aus.

Was planen Sie noch für die Zukunft im Zusammenhang mit dem Projekt?

Der Ansatz des agilen Lernens wurde von der Konzeptionsphase auch in den Regelbetrieb der Lehre im Master Bildungswissenschaft übernommen. Innerhalb dieses Grundansatzes bieten sich Räume, stets neue Methoden und Tools anzuwenden und auszuprobieren. Das Vorgehen im Projekt und insbesondere das Portfolio-Assessment dienen darüber hinaus als Modell für die Weiterentwicklung weiterer Module des Lehrgebiets Lebenslanges Lernen und der bildungswissenschaftlichen Studiengänge insgesamt.



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