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Statements on Science Policy Topics

Statements on Science Policy Topics features statements or interviews given by members of the HCI group on topics from the field of science policy. Most of the material is in German.


Women in MINT


Illustration

Interview with Gabriele Peters

on her personal carrier, human-computer interaction, women in so-called MINT carriers (Mathematics, Informatics, Natural Sciences and Technology), and advices for school girls

conducted by Manuela Feldkamp on 03 August 2012 for the magazine "life + science - Das Wissens- und Karriere-Magazin für die Oberstufe“ (issue 3, September 2012), german

edited transcript [pdf, german)]



Manuela Feldkamp Wann und wodurch haben Sie Ihre Begeisterung für Technik entdeckt?

Gabriele Peters Ich war von Anfang an nicht unbedingt technikbegeistert im engeren Sinne. Was mich vielmehr ab der Schulzeit begeistert hat, waren Mathematik, Psychologie und Kunst. Dass ich in der Informatik gelandet bin, hat sich eher so ergeben. Was mich interessiert hat, auch mit Beginn des Studiums – ich habe ja Mathematik mit dem Nebenfach Psychologie studiert – das war der Mensch und insbesondere die Funktionsweise des menschlichen Gehirns. Und dann war es eine glückliche Fügung, dass es in Bochum, wo ich studiert habe, das Institut für Neuroinformatik gab. Zu der Zeit hat man dort das visuelle System erforscht. Genauer ausgedrückt, hat man versucht, künstliche Systeme zu bauen, die sehen können. Und das war haargenau das, was mich in der Psychologie interessierte, nämlich wie das menschliche Sehen funktioniert. Am Institut für Neuroinformatik konnte ich dann mit Hilfe mathematischer Methoden und mit dem Wissen, das ich aus der Psychologie über Hirnfunktionen hatte, daran mitwirken, künstliche Systeme zu bauen, die das menschliche Sehen simulieren. So bin ich in der Informatik gelandet. Von mir aus war dies nicht so geplant.

Feldkamp Sie haben sich also nicht im Vorhinein überlegt, welchen Beruf sie später mal ergreifen möchten?

Peters Genau. Ich habe mir keine tiefgehenden Gedanken über meine langfristige Zukunft oder meine Berufswahl gemacht. Das hat sich tatsächlich so ergeben. Die Frage der Berufswahl hat sich mir einfach nicht gestellt. Bei der Wahl der Schulfächer, der Abifächer, der Kurse im Studium habe ich immer getan, was mich zum jeweiligen Zeitpunkt interessiert hat - und hatte das Glück, dass mir meine Eltern keine Vorgaben gemacht haben und mich gewähren ließen. Und was mich in Schule und Studium interessierte, waren im Wesentlichen Naturwissenschaften, Kunst und Psychologie. Ich habe oft auch Dinge getan, von denen man mir explizit abgeraten hat. Ich habe z.B. gegen die dringende Empfehlung einiger Lehrer Kunst als Abiturfach gewählt.

Feldkamp Warum haben Ihnen die Lehrer davon abgeraten?

Peters Naja, das Fach Kunst galt als leicht, und es könne den Anschein erwecken, als wolle man sich durchs Abitur mogeln. Angeblich käme Kunst im Abitur auch bei zukünftigen Arbeitgebern nicht gut an. Aber das hat mich überhaupt nicht gekümmert. Kunst interessierte mich einfach.
Ein anderes Beispiel war die Wahl des Nebenfachs Psychologie zum Hauptfach Mathematik. Diese Wahl war von der Mathematik-Prüfungsordnung nicht vorgesehen. Die Standardempfehlung war, Betriebswirtschaft als Nebenfach zu wählen - wieder mit demselben Argument, nämlich zukünftigen Arbeitgebern zu gefallen. Ich habe dann einen Brief an den Dekan der Fakultät geschrieben, in dem ich darum bat, Psychologie als Nebenfach wählen zu dürfen. Und das hat man mir dann erlaubt. Ich fand es auch toll, dass man damals noch so flexibel war. Also, ich habe einfach nicht auf diese Berufsberater gehört, die junge Menschen auf Wege schicken wollen, die den Interessen des Arbeitsmarktes entsprechen, aber nicht den Persönlichkeiten der jungen Menschen. Das habe ich deutlich nicht getan.

Feldkamp Was würden Sie dann jungen Menschen raten, wie Sie bei der Wahl des Studienfachs vorgehen sollten?

Peters Also, die Message ist ganz klar: „Tue das, was dich interessiert, wofür dein Herz schlägt! Dann wirst du in deinem Beruf auch gut und erfolgreich sein.“ Man sollte in sich hineinfühlen und herausfinden, was einen wirklich bewegt und umtreibt. Die üblichen Ratschläge, aufgrund einer Arbeitsmarktsituation dieses oder jenes Fach zu studieren, die auf einem Sicherheitsdenken beruhen, bringen meiner Meinung nach am Ende keine glücklichen Menschen hervor.

Feldkamp Und was raten Sie speziell Schülerinnen, die noch zögern, ob Sie ein MINT-Fach studieren sollen oder nicht?

Peters Ich hole mal ein wenig aus: Ich habe in meinem privaten Umfeld die Erfahrung gemacht, dass junge Frauen von ihrem Umfeld, insbesondere auch von Eltern und Familie, weniger Unterstützung bei der Berufswahl erfahren als Jungen. Dies läuft bei allen Beteiligten wahrscheinlich eher unbewusst und sogar ungewollt ab und beginnt sicher schon in einem sehr frühen Lebensalter. Da spielen Rollenvorstellungen der Elternhäuser eine große Rolle, und die Töchter werden, so meine Beobachtung, vom Umfeld weniger bestärkt, ihre Interessen, Fähigkeiten und Wünsche umzusetzen als das bei Söhnen geschieht. Die Berufswünsche von jungen Frauen werden weniger ernst genommen als die Berufswünsche von jungen Männern. Ich habe zum Beispiel erlebt, dass bei den Überlegungen der Eltern zur Berufswahl der Tochter der Gedanke eine Rolle spielt, wie sich der spätere Beruf mit einem Dasein als Mutter vereinbaren lässt. Während ich es wirklich noch niemals erlebt habe, dass die Eltern sich Gedanken darüber machen, ob die Berufswahl des Sohnes sich später mit dem Dasein als Vater vereinbaren lässt. Der elterliche Ratschlag „Sohn, überlege dir bitte, wie du in diesem Beruf klarkommst, wenn du Vater bist!“ ist mir noch nie untergekommen.
Deshalb glaube ich, dass junge Frauen häufiger als junge Männer einen Beruf wählen, der kompatibel mit dem Rollenklischee ist und nicht unbedingt einen Beruf, der ihrer wahren Persönlichkeit, ihrem Wesen und ihren Interessen entspricht. Und deshalb rate ich Schülerinnen: „Macht Euer Ding! Wenn Euch MINT-Fächer interessieren, lasst Euch das nicht ausreden! Insbesondere nicht von Euren Eltern! Lasst Euch nicht einreden, MINT-Fächer seien nur etwas für Jungen, sondern folgt Euren eigenen Interessen und Wünschen!“ Und ein allgemeinerer Ratschlag speziell an junge Frauen und unabhängig vom MINT-Kontext lautet, nicht gefallen zu wollen: “Macht Euch unabhängig von Lob!“

Feldkamp Wieso haben Sie sich für eine wissenschaftliche Karriere entschieden?

Peters Auch dem lag keine bewusste Entscheidung zugrunde. Ich habe mir nicht irgendwann gesagt: „So, und jetzt möchte ich eine wissenschaftliche Karriere machen!“ Sondern es hat sich auch wieder so ergeben. Diese Frage suggeriert immer, man könne eine Karriere planen oder gar das Leben planen. Ich glaube, das funktioniert nicht.

Feldkamp Warum haben Sie sich denn ausgerechnet für Mathematik interessiert?

Peters Das kann ich wirklich schwer sagen. Warum interessiert sich der eine für Fotografie und die andere für Mathematik? Ich denke, die persönlichen Interessen sind zu einem hohen Grad angeboren.

Feldkamp Glauben Sie dann, dass Schülerinnen sich eigentlich genauso häufig für MINT-Fächer interessieren, und dass es andere Gründe gibt, warum sie so selten diese Fächer wählen?

Peters Ja, genau. Das ist der Punkt, den ich gerade ansprach: Dass eben oft das Elternhaus den Töchtern zu einer Berufswahl rät, die eher mit den klassischen Rollen-erwartungen kompatibel ist. Das ist die Erfahrung, die ich in meinem Umfeld mache. Und dieser Unterschied in der Erziehung von Töchtern und Söhnen, dieses Rollenklischee, das - sicherlich auch oft unbewusst - von Generation zu Generation weitergegeben wird, ist ein typisch deutsches Phänomen. Wenn Sie nach Frankreich gehen, oder nach Schweden beispielsweise, da sieht die Situation erheblich anders aus. Dort gehört es etwa zur gesellschaftlichen Norm, dass Frauen, auch wenn sie Mütter von Kleinkindern sind, einer Berufstätigkeit nachgehen. Das heißt, dort lastet die Schwierigkeit, Berufsleben und Kindererziehung unter einen Hut zu bekommen, auf Männern und Frauen in etwa gleichem Maße. Das bedeutet aber, dass es weniger Gründe gibt, Töchtern wegen einer potenziellen, zukünftigen Mutterschaft andere Ratschläge für Ihre Berufswahl zu erteilen als Söhnen. In Deutschland ist das bedauerlicherweise immer noch anders.

Feldkamp Erleben Sie denn auch die Reaktionen der Töchter? Wissen Sie, wie sich die Töchter dabei fühlen? Reagieren Töchter vielleicht anders als Söhne auf Ratschläge der Eltern?

Peters Das kann ich nicht sagen. Ich kann ja nur von außen beobachten. Ich denke, was Kinder dabei fühlen, wenn sie von klein auf (auch unbewusst) vermittelt bekommen: „Das ist nichts für dich!“, ist erst einmal unabhängig vom Geschlecht. Es ist eher eine Charakter- als eine Geschlechtsfrage, wie stark sich ein Kind von Einredungen beeinflussen lässt. Der Unterschied besteht eben darin, dass auf Töchter diese Information „Das ist nichts für dich!“ viel geballter kommt als auf Söhne, und das hinterlässt dann doch Wirkung.

Feldkamp Wenn sich eine junge Frau nun für ein MINT-Studium entschieden hat, gibt es für sie dann größere Schwierigkeiten, ein solches Studium zu absolvieren, als für Männer? Werden Frauen auch Steine in den Weg gelegt?

Peters Nein, das kann ich nicht sagen.

Feldkamp Haben Sie Ihr Studium als schwer oder leicht empfunden? Gab es in Ihrer Karriere auch „Stolpersteine“?

Peters Also Stolpersteine, das wäre jetzt zu viel gesagt. Das Studium ist mir leicht gefallen. Es war ein schöner und wichtiger Lebensabschnitt. Ich habe mich mit vielen anderen Dingen außerhalb des Studiums beschäftigt. Aber ich hatte auch Phasen, in denen ich mich ordentlich reingehängt habe. Aber das würde ich jetzt nicht als Schwierigkeit oder Stolperstein bezeichnen. Bis zu einem gewissen Punkt lief alles eher, so habe ich es empfunden, automatisch. Ich habe die Dinge getan, die mir Freude bereitet haben, und hatte Erfolg dabei. Ab einem gewissen Punkt, muss ich sagen, wurde der Weg dann aber steiler, was ich vorher nicht so realisiert hatte. Ich hatte vorher keine Karriereplanung betrieben. Aber irgendwann stellt man dann fest, dass es eben nicht nur fachliche Faktoren sind, die eine Karriere befördern. Irgendwann ist es klug, doch strategisch zu denken. Da hatte ich dann aber auch Unterstützung – und man findet auch Unterstützung. Der Ratschlag an die Schülerinnen lautet immer noch: „Tue das, was dir Freude macht, dann bist du gut! Und wenn du dich nicht ganz ungeschickt anstellst, wirst du auch Unterstützer finden, die den Weg erleichtern.“

Feldkamp Apropos Unterstützung: Ist es wichtig, sich rechtzeitig ein Netzwerk aufzubauen?

Peters Es kann auf keinen Fall schaden, ein Netzwerk zu haben. Aber „aufbauen“ - das klingt mir zu gewollt. Auch der Aufbau eines Netzwerks ist etwas, das eher beiläufig geschieht, d.h. durch die Art der Arbeit, die man ausübt. Aber Sie haben schon recht, auch Gelegenheiten zu nutzen, erfordert natürlich ein Mindestmaß an eigener Aktivität. Aber man hat als Wissenschaftlerin ohnehin meist in Projekten mit Kolleginnen und Kollegen zusammen gearbeitet, Konferenzen besucht, usw. Dabei lernt man automatisch viele Leute kennen, mit denen sich im Idealfall auch Freundschaften ergeben.

Feldkamp Was finden Sie so spannend an dem Thema „Mensch-Computer-Interaktion“? Worum geht es dabei genau?

Peters Mensch-Computer-Interaktion ist ein Teilgebiet der Informatik. Die Grundidee besteht darin, dass sich der Computer an den Menschen anpassen soll, und nicht umgekehrt, wie das in der Vergangenheit häufig der Fall war. Dabei kann man zwei Teilaspekte unterscheiden. Zum einen stellt sich die Frage: „Wie kommt Information aus der Umwelt und vom Menschen in das Computersystem?“, und die andere Frage lautet: „Wie wird Information umgekehrt vom System an den Menschen gegeben?“ Also, in welcher Form wird Information repräsentiert? Wenn ich mal den ersten Teilaspekt betrachte, dann besteht eine Forderung darin, dass das System möglichst lernfähig und autonom sein soll. Das bedeutet, dass das System seine Umwelt wahrnehmen können soll. Die Frage lautet hier – und damit beschäftigen wir uns an meinem Lehrgebiet: „Wie kann man Computern beibringen, aktiv ihre Umwelt wahrzunehmen, und dabei auch eigenständig Verhaltensstrategien zu lernen?“ Hier gibt es interdisziplinäre Anknüpfungspunkte zur Wahrnehmungspsychologie und zum menschlichen Lernen. Auf der anderen Seite, bei der Darstellung von Information oder Gestaltung von Schnittstellen, gibt es Anknüpfungspunkte zur Kunst und zu Designwissenschaften. Und das finde ich interessant an dem Gebiet Mensch-Computer-Interaktion: Es gibt sehr viele andere Wissenschaftsbereiche, die man in die Arbeit mit einbeziehen kann.

Feldkamp War das von Ihnen so geplant, dass Sie mal mit so vielen Gebieten zu tun haben?

Peters Nein, das war nicht geplant. Dadurch, dass meine Interessen und Aktivitäten breit gestreut waren - also auf der einen Seite Mathematik/Informatik, aber auch Psychologie - künstlerisch war ich auch immer aktiv - hat sich meine jetzige Tätigkeit aus diesen Aktivitäten ergeben, nicht umgekehrt. Ich habe mich nicht gefragt, welche Mittel ich in der Gegenwart anwenden muss, um einen bestimmten Zweck in der Zukunft zu erreichen. Und als ich mit dem Studium begonnen habe, gab es das Gebiet Mensch-Computer-Interaktion ja noch gar nicht. Auch hier kann ich nur sagen, es hat sich so gefügt; es war nicht geplant.

Feldkamp Aber wie sind Sie denn dann dazu gekommen?

Peters Also, wie bin ich dazu gekommen? - Diese Frage suggeriert, dass man etwas geplant hat. Und das ist eben nicht der Fall! Da kann ich nur noch einmal sagen, man sollte auf sein Inneres hören und das tun, was der eigenen Persönlichkeit entspricht. Wenn man aus seinem Inneren handelt, werden sich Dinge ergeben, die sich durch rein rationale Planung nicht ergeben würden. Das ist meine feste Überzeugung. Es gibt keine Methode und kein Erfolgsrezept, das man anwenden kann, um ein bestimmtes Karriereziel zu erreichen. Alles, was man tun kann, ist, die jeweilige Aufgabe oder Tätigkeit in der Gegenwart zu gut wie möglich zu erfüllen, und darauf zu vertrauen, dass sich daraus das Passende ergeben wird. - Letztendlich findet ja das ganze Leben immer nur in der Gegenwart statt, nicht in der Zukunft.

Feldkamp Aber Sie müssen doch sicher Informatik studiert haben?

Peters Ich habe nicht Informatik studiert, nein.

Feldkamp Aber woher konnten sie das denn dann?

Peters Ich sage mal, “training on the job“. Wie gesagt, bin ich ja nach dem Mathematikstudium ans Institut für Neuroinformatik gegangen, weil mich die Funktionsweise des visuellen Systems interessierte. Dieses Thema wurde dort mit neuen informatischen Methoden bearbeitet, so dass man quasi automatisch mit diesen Methoden vertraut wurde, sich diese angeeignet und auch selbst mitentwickelt hat.

Feldkamp Was waren bisher Ihre interessantesten Forschungsprojekte?

Peters Interessanteste Projekte - das ist eine schwierige Frage, weil nämlich alle Projekte grundsätzlich interessant sind. Das ist ja das Tolle am Beruf der Professorin – die Freiheit der Forschung. Deshalb werden Sie auch nie einen Professor finden, der sagt, dass er gerade ein langweiliges Forschungsprojekt bearbeitet. Aber ich kann mal eines herausgreifen, das vielleicht ganz anschaulich ist. Es fällt in den Bereich Darstellung von Information/Schnittstellendesign und hat interdisziplinäre Anknüpfungspunkte zwischen Kunst und Informatik. Dieses Projekt haben wir am Caltech in Kalifornien durchgeführt, zu einer Zeit, als in den Digitalkameras Panoramafunktionen aufkamen. Die Idee bestand darin, aus Einzelbildern Fotopanoramen zu erzeugen, die realistischer aussehen, als diejenigen, die üblicherweise von den Kameras erzeugt werden. Bei den üblichen Panoramen sind ja zum Beispiel alle geraden Linien wie etwa Raumbegrenzungen oder Wände gekrümmt. Und das sieht ja nicht sehr realistisch aus. Da war dann unser Anliegen, realistischere Fotopanoramen zu erzeugen, so dass der Betrachter eher den Eindruck hat, er sei in diesem Raum – aber das Ganze nach wie vor durch eine Darstellung auf einer 2D-Fläche. Und da haben wir uns von der Kunst inspirieren lassen. Sie kennen vielleicht das Gemälde „Die Schule von Athen“ von Michelangelo. Auf dem Gemälde sind viele Philosophen und Größen der damaligen Zeit innerhalb einer Architektur-Umgebung abgebildet. Die Kunstwissenschaft ist lange Zeit davon ausgegangen - das fand ich sehr interessant - dass dieses Gemälde in Zentralperspektive gemalt war. Das stimmt aber nur teilweise, nämlich nur für die Gebäude. Dass die Personen alle nicht in Zentralperspektive dargestellt sind, hat man erst Ende des letzten Jahrhunderts, also ziemlich spät, entdeckt, was auch viele überraschend fanden. Der Clou dabei ist, dass das Gemälde sehr realistisch wirkt. Das Gemälde kann man auch als ein Panorama bezeichnen, und Michelangelo hat es eben nicht so gemalt, dass er eine einzige Projektion verwendet hat, sondern er hat jede Person auf eine eigene Projektionsfläche projiziert. Das heißt, es gibt ganz viele verschiedene Projektionen, was eben nicht der Zentralperspektive entspricht. Und dieses Prinzip haben wir jetzt auf die Erzeugung von Fotopanoramen übertragen. Das heißt, wir haben abhängig vom Inhalt eines Bildes verschiedene Projektionsflächen für die einzelnen Bestandteile eines Bildes wie zum Beispiel Personen verwendet. Dadurch konnten wir realistischere Panoramen generieren, die beispielsweise auch keine gekrümmten Raumbegrenzungen mehr aufweisen.

Feldkamp Wo und wann kann man im Alltag Ihre Forschungsergebnisse sehen?

Peters Wir stellen unsere Projekte regelmäßig in der Öffentlichkeit vor, zum Beispiel alljährlich auf den Girls‘ Days. Wir haben etwa auch zum Informatikjahr mehrere Demonstrationen gehabt, in Münster, in Dortmund. Auch danach hatten wir beispielsweise in der Dortmunder Innenstadt eine Demonstration für die breite Öffentlichkeit. Dort haben wir ein Projekt vorgestellt, das ich Ihnen auch gern noch erläutern kann, wenn Sie möchten.

Feldkamp Ja, bitte.

Peters Das Projekt läuft unter dem Titel „Freihanderfassung von Objekten“. In dem Projekt kann man mit einer einfachen Kamera freihändig, d.h. ohne Stativ, Aufnahmen von einem Objekt machen und diese auf den Rechner laden. Der Computer berechnet dann ein 3D-Modell von diesem Objekt, was man anschließend noch weiter bearbeiten und für diverse Zwecke verwenden kann. Diese Demo fand immer viel Anklang, besonders auch bei Kindern, die das ganz toll fanden und damit herumgespielt haben. Ebenfalls im Rahmen dieses Projektes haben wir in diesem Jahr eine Verbesserung auf den Informatiktagen in Bonn präsentiert. Dort ist dann auch einer unserer Studenten für seinen Beitrag zu diesem Projekt mit einem Preis ausgezeichnet worden. Es war ihm gelungen, die notwendige Anzahl der Ansichten, die man braucht, um so ein 3D-Modell zu erzeugen, von drei auf zwei zu reduzieren.
Aber auch im Ausland stellen wir unsere Arbeiten vor. Ein anderes, aktuelles Projekt kann man unter dem Schlagwort „3D-Projektion“ verorten. Dabei besteht das Ziel darin, eine 3D-Szene so darzustellen, dass ein Betrachter/eine Betrachterin zwar einen räumlichen Eindruck bekommt, jedoch ohne, dass er oder sie eine spezielle Hardware benötigt, also ohne 3D-Brille oder ohne Spezialbildschirm. Und da haben wir eine Möglichkeit entwickelt, bei der man lediglich einen Standard-Beamer benötigt, der zweidimensionale Ansichten einer 3D-Szene auf eine beliebige Fläche projiziert, also zum Beispiel einen Tisch oder eine Wand. Nehmen wir mal einen Tisch als Beispiel, dann wird jeweils diejenige Ansicht auf die Tischplatte projiziert, die sich einer betrachtenden Person darbieten würde, wenn die Szene, beispielsweise eine Teekanne, sich tatsächlich auf dem Tisch befinden würde. Wenn die Person sich jetzt um den Tisch herumbewegt, wird die Ansicht der projizierten Szene laufend so angepasst, dass durch die Bewegung der Person um den Tisch herum ein drei-dimensionaler Eindruck entsteht. Die Anpassung des projizierten Bildes hängt dabei von der jeweiligen Kopfposition der Person ab. Die Kopfposition wird zuvor erfasst. Daraufhin wird die Ansicht berechnet, die projiziert werden muss, damit ein 3D-Eindruck entsteht. Dieses Projekt haben wir im letzten Jahr in Colorado auf einem Workshop der CVPR, einer der wichtigsten Computer Vision-Konferenzen, vorgestellt.

Feldkamp Wofür braucht man denn 3D-Modelle?

Peters 3D-Modelle braucht man für sehr viele verschiedene Anwendungen. Sie können Produkte modellieren, zum Beispiel im Bereich Maschinenbau; die Präsentation von Innenräumen war ein Thema bei uns – da haben wir Gespräche mit einem Theaterleiter geführt, der seine Dramaturgie damit planen wollte; dann sind natürlich Computerspiele vielleicht das, was noch am ehesten vertraut ist. Dabei bewegt man sich ja in 3D-Welten, und üblicherweise werden diese 3D-Welten von den Spieleprogrammieren aufwändig generiert und modelliert. Mit unserer Freihanderfassung wird diese Arbeit erheblich erleichtert: man macht zwei Aufnahmen, und dann hat man schon das halbe Modell. Und das bedeutet eine große Arbeitserleichterung und Zeitersparnis. Die Anwendungsmöglichkeiten der Freihanderfassung sind da sehr vielfältig.

Feldkamp Und wie sieht es mit aktuellen Projekten aus? Können Sie sagen, woran Sie gerade arbeiten?

Peters Ein größeres Projekt, an dem wir schon seit längerem arbeiten, ist das Lernen von Strategien zur Erfassung von Objekten für verschiedene Anwendungen im Computersehen und in der Computergrafik. Hier liegt jetzt die Betonung auf dem Lernen von Strategien. Unser Lösungsansatz ist hier inspiriert von der Biologie. Was wissen wir darüber, wie der Mensch lernt? Stellen Sie sich beispielsweise vor, wie ein Kleinkind Objekte greift und hin- und her dreht, anschaut, und wieder weglegt, wieder ein anderes Objekt nimmt usw. Irgendwann ist es in der Lage, ein Objekt wiederzuerkennen. Dieses Prinzip haben wir nun auf Roboter angewendet. Das Modell, das wir entwickelt haben, besteht darin, dass man einen Greifroboter, der eine Reihe von Objekten vor sich liegen hat, mit einer Kamera ausstattet. Der Roboter kann selbst entscheiden oder auch zufällig auswählen, welches Objekt er greift, und wie oft und von welchen Seiten er sich das Objekt anschaut, und er kann es auch wieder wegstellen. Er kann jedes Objekt so häufig nehmen, wie er möchte, und irgendwann fühlt er sich sicher genug, zu entscheiden: „Das ist eine Tasse.“ oder „Das ist ein Ball.“ Bei der Entwicklung unserer Lern-Methoden versuchen wir, Lernverfahren, die vom menschlichen Gehirn bekannt sind, auf die Informatik zu übertragen. Konkret ist es so, dass wir hier das Lernen mit Hilfe von Bestrafung und Belohnung realisieren.

Feldkamp Wie kann man denn einen Roboter bestrafen oder belohnen?

Peters Bestrafung und Belohnung, das sind einfach nur Zahlen. Eine negative Zahl ist eine Bestrafung, und eine positive Zahl ist eine Belohnung. Wenn sich das System beispielsweise zutraut, eine Erkennung zu wagen, also zu sagen: „Das ist eine Flasche.“, und es ist richtig, dann wird es dadurch belohnt, dass ein hoher positiver Wert gegeben wird. Wenn die Erkennung falsch war, gibt es einen negativen Wert. Und je länger das System herumprobiert und sich nicht traut, umso geringer fällt die Belohnung aus. Auf diese Weise entwickelt das System eigenständig eine Theorie darüber, wie es sich verhalten sollte. Es lernt bei diesem Prozess Regeln, die beispielsweise lauten: „Wenn die Vorderansicht annähernd ein rotes Quadrat ist, dann drehe das Objekt nach links.“ oder „Wenn die Vorderansicht annähernd ein grünes Dreieck ist, dann erkenne eine Flasche.“ Solche Regeln werden dabei automatisch gelernt.

Feldkamp Welche Anweisungen bekommt denn das System am Anfang?

Peters Es bekommt nur die Anweisung: „Suche dir irgendein Objekt zufällig aus, betrachte es von beliebigen Seiten, nimm‘ ein nächstes, betrachte dieses, und so weiter!“ Die zu erlernenden Regeln werden sukzessive vom System aufgebaut, so wie man sich das bei einem Kleinkind auch vorstellt. Am Anfang ist keine Regel vor-handen, und dadurch dass das System seine Umwelt erforscht (der Fachausdruck ist „Exploration“), eignet es sich sukzessive Wissen über die Welt an. Aus Informatik-Sicht haben wir hier zwei unterschiedliche maschinelle Lernverfahren miteinander verknüpft, die weit voneinander entfernt liegen: einmal das Lernen durch Belohnung und Bestrafung und auf der anderen Seite wissensbasiertes Lernen. Was daraus resultiert, ist ein neues Verfahren, das eigenständig Verhaltenstrategien lernt.

Feldkamp Ich möchte noch einmal auf das Thema Schülerinnen in MINT-Fächern zurückkommen. Welches sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für die deutliche Unterrepräsentanz von jungen Frauen in MINT-Studienfächern?

Peters Aus meiner Sicht gibt es zwei Hauptgründe. Neben den bereits erwähnten gesellschaftlichen Gründen - also etwa einer geringeren Bestärkung von Schülerinnen, ihre eigenen Interessen umzusetzen - ist ein zweiter wichtiger Punkt, dass es nur wenige Rollenvorbilder für junge Frauen in den MINT-Bereichen gibt. In der Informatik beispielsweise waren bis vor kurzem lediglich 7,1% der Professuren von Frauen besetzt. Langsam zieht zwar auch in der Wissenschaft der Gedanke der Gleichstellung ein, aber eben nur langsam. In den Medien ist das Thema Gleichstellung bisher meist nur im Zusammenhang von Aufsichtsräten präsent, kürzlich gab es im Journalismusbereich eine Kampagne, aber der Bereich Wissenschaft ist noch nicht wirklich im öffentlichen Bewusstsein angekommen.

Feldkamp Warum gibt es denn so wenige Professorinnen in der Informatik?

Peters Da gibt es sicher ein ganzes Geflecht von Gründen. Ich glaube, ein Grund besteht, gerade auch in Deutschland, in den eklatant nicht vorhandenen Kinderbetreuungsmöglichkeiten, was ja dann wieder alte Rollenmuster verstärkt. Wenn ich zum Beispiel an die USA denke: am Caltech, wo ich gearbeitet habe, gab es einen 24-Stunden-Kindergarten für die Angestellten. Das ist ein ganz anderes Leben dort. Da wissen Sie ihr Kind im Nebengebäude gut versorgt, und wenn das Experiment noch länger dauert, oder wenn Sie gerade einen guten Lauf haben, müssen Sie Ihre Arbeit nicht unterbrechen und sich abhetzen, um das Kind aus dem Kindergarten abzuholen. Wenn die Kinderbetreuungsmöglichkeiten im deutschen Wissenschaftssystem besser wären, würden ja auch nicht nur die Frauen profitieren, sondern auch die Männer.

Feldkamp Warum sollten überhaupt mehr Frauen in MINT-Berufen arbeiten?

Peters Das erste und wichtigste Argument ist Gerechtigkeit. Gerechtigkeit ist für mich das Hauptargument. Ich glaube, es gibt mehr Frauen als Männer, die aufgrund gesellschaftlicher Konventionen und gesellschaftlicher Randbedingungen nicht ihr wahres Leben leben – mit allen Konsequenzen innerer und äußerer Konflikte, die dies - auch für das Umfeld - nach sich zieht.

Feldkamp Was meinen Sie, wenn Sie von gesellschaftlichen Konventionen und Randbedingungen sprechen?

Peters Mit Konventionen meine ich die in vielen Familien in Deutschland noch immer vorherrschenden Rollenverteilungen und Rollenvorstellungen. Mit Randbedingungen meine ich etwa die zu wenigen Rollenvorbilder für junge Frauen und die nicht ausreichend vorhandenen Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
Zum Stichwort gesellschaftlicher Konventionen kann ich Ihnen noch eine Geschichte erzählen. Mein Vater hat mich irgendwann einmal gefragt, ob ich eigentlich nie bedauert habe, kein normales Leben zu führen. Da musste ich lachen, weil ich das noch nie so gesehen hatte. Ich habe mein Leben immer als ein normales empfunden, ohne dies weiter zu hinterfragen. Die Frage meines Vaters brachte mich zum Nachdenken, und ich kam zu dem Schluss, dass er recht hatte: Das „normale“ Leben einer Frau in Deutschland sieht doch immer noch so aus, dass sie diejenige Person ist, die für die Versorgung der Kinder hauptsächlich verantwortlich ist, und dass sie ihre eigenen, insbesondere ihre beruflichen Interessen hinter denen ihres Mannes zurückstellt. In Abwandlung eines überkommenen Sprichwortes, das diese Konventionen zum Ausdruck bringt, kann ich dem nur entgegenhalten – und das ist ein Zitat der Präsidentin von Harvard, Drew Faust, aus ihrer Antrittsrede: „Was kann es Schöneres geben im Leben einer Frau als den Ruf auf eine Professur!“

Feldkamp Neben dem Gerechtigkeitsargument: Gibt es noch weitere Gründe, warum mehr Frauen MINT-Berufe ausüben sollten?

Peters Pragmatische Gründe bestehen natürlich auch darin, dass der unnötige Verzicht auf Talente a) für die Gesellschaft einen Verlust von Potenzial zur Weiterentwicklung und b) für die Wirtschaft einen Verlust von Gewinn darstellt. Und drittens gibt es auch noch Untersuchungen, die besagen, dass gemischte Teams (gemischt nicht nur im Hinblick auf das Geschlecht) bessere Ergebnisse liefern.

Feldkamp Von welchen typisch weiblichen Eigenschaften profitieren denn die gemischten Teams? Welche Eigenschaften bringen Frauen in die Teams ein, die Männer nicht haben?

Peters Das ist immer so eine Sache mit den anderen Eigenschaften. Ich fühle mich immer persönlich verkannt, wenn mir bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden, die ich angeblich als Frau zu haben habe. Dasselbe gilt auch für Männer, denen man ebenfalls nicht gerecht wird, wenn man ihnen nur aufgrund ihres Geschlechts bestimmte Eigenschaften unterstellt. Vielleicht kann man es so sehen: es gibt bestimmte Eigenschaften, die statistisch betrachtet häufiger bei Frauen anzutreffen sind als bei Männern. Und es gibt bestimmte Eigenschaften, die statistisch betrachtet häufiger bei Männern festzustellen sind als bei Frauen. Aber wenn Sie eine bestimmte Frau herausnehmen und von ihr erwarten, dass sie sich auf eine bestimmte Art und Weise verhält, weil sie eine Frau ist, können Sie enttäuscht werden. Ich glaube zum Beispiel, dass ich sehr viele Eigenschaften, die gemeinhin Frauen zugeordnet werden, nicht habe, dass ich aber einige Eigenschaften sehr wohl habe, die man gemeinhin Männern zuschreibt.

Feldkamp Aber warum sind dann gemischte Teams produktiver?

Peters Ja, ich denke, hier schlägt dann die Statistik zu, und vielleicht stimmt es, dass gewisse Eigenschaften, die in der Regel häufiger bei Frauen zu finden sind, in den Teams dann zu besseren Ergebnissen führen. Ein Vorteil gemischter Teams besteht wohl auch darin, dass mehr unterschiedliche Sichtweisen bei Problemlösungen eingebracht werden können, als das in homogenen Teams der Fall ist. Aber ich bin keine Soziologin.

Feldkamp Gehen Schülerinnen eigentlich anders mit Technik um als Schüler?

Peters Als Professorin habe ich keine Erfahrung mit Schülerinnen und Schülern. Ich kann nur sagen, dass sich die Männern und Frauen unter den Studierenden im Umgang mit Technik nicht unterscheiden. Das kann ich wirklich ganz klar sagen. Es kommen leider nur weniger Frauen.

Feldkamp Dann bedanke ich mich ganz herzlich für dieses Interview, das ich sehr erhellend fand, und das mir viel Spaß gemacht hat!

Peters Das kann ich nur erwidern. Auch mir hat das Interview viel Spaß gemacht. Ich bedanke mich ebenfalls!

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