Der Masterstudiengang
"Individualisierung und sozialer Wandel" nimmt
eines der zentralen Merkmale der Moderne - die Individualisierung
der Gesellschaftsmitglieder - zum Gegenstand. Das Thema
ist bereits seit den soziologischen Klassikern Ferdinand
Tönnies, Emile Durkheim, Georg Simmel und Max Weber
im Gespräch.
Die Diskussion hat heute breite Bereiche der Sozial-
und Kulturwissenschaften erfasst und wird wohl auch
zukünftig anhalten, weil sie das grundsätzliche
Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft
thematisiert und es in Beziehung zu konkreten Strukturbedingungen
und zum sozialen Wandel setzt. Eine noch nachhaltigere
Begründung erhält das Thema dieses Masterstudiengangs
allerdings durch die überall in der Gegenwartsgesellschaft
mit den Händen zu greifende Relevanz von Individualisierungsphänomenen.
Individualisierung hat zum einen Folgen für die
Lebenschancen und Lebensführung der je einzelnen
Gesellschaftsmitglieder, zum anderen für die Integration
und Innovationsfähigkeit der Gesellschaft als ganzer.
Diese Folgen sind in beiden Hinsichten teils positiver,
teils negativer Art, wobei Chancen und Risiken zumeist
untrennbar miteinander verbunden sind.
Individualisierung ist ein "gemischter Segen"
für den Einzelnen ebenso wie für die Gesellschaft.
Auf seiten des Einzelnen stehen mehr Selbstbestimmung
und Optionssteigerung neben Bindungsverlusten, Orientierungs-
und Sinnkrisen. Auf seiten der Gesellschaft findet sich
auf der Positivseite der Bilanz vor allem, dass nur
individualisierte Personen die hohe gesellschaftliche
Komplexität und Dynamik aushalten und mittragen
können - insbesondere auch durch kreative Beiträge
zur Bewältigung von Problemsituationen. Negativ
ist allerdings zu bilanzieren, dass Individualisierung
u.a. auch eine Anspruchsinflation an alle gesellschaftlichen
Leistungsbereiche, die durchaus mit Rückzug aus
Verantwortung gepaart sein kann, sowie eine Erosion
integrativer Gemeinschaftsbezüge mit sich bringt.
Die Reaktion auf die wechselseitige Bedingtheit von
Gesellschaft und Individuum ist unterschiedlich. Die
meisten Individuen nehmen sie bis zu dem Punkt, wo sie
zum Problem wird (Sinnkrise, Krankheit, Zukunftsangst
o. ä.), einfach hin, andere arrangieren sich oder
ziehen sich in kleine soziale Netze zurück. Die
Gesellschaft tut das bis zu dem Punkt, wo die Individuen
zum Problem werden (Politikverdrossenheit, fehlende
Zustimmung, verweigerte Kooperation o. ä.), ebenfalls
oder hofft, über soziale Sicherungen die Probleme
eindämmen zu können.
Individualisierung bedeutet auch, dass immer mehr Handlungen
einen entscheidungsförmigen Charakter annehmen.
Die Analyse von Entscheidungsverhalten und Entscheidungsprozessen
ist ein zentrales psychologisches Thema: Die Psychologie
liefert dazu eine Vielzahl theoretischer Zugänge
- Handlungstheorien, Einstellungsforschung, Stress-
und Coping-Theorien, Analyse von Gruppenprozessen und
der Umgang mit komplexen Systemen seien hier nur einige
Stichworte - , die auf alle sozialen Beziehungen - etwa
am Arbeitsplatz, in der Familie, in der Freizeit - Anwendung
finden. Begriffe wie Gesundheits- und Umweltverhalten
bezeichnen sowohl neuartige Entscheidungsanforderungen
an das Individuum als auch neue Forschungsgebiete der
Psychologie. Biographischen Veränderungs- und Entscheidungsprozessen
- insbesondere im Erwachsenenalter - trägt die
Psychologie der Lebensspanne Rechnung. Individualisierungsphänomene
sind Ergebnis gesellschaftlicher Differenzierungsprozesse
und zugleich ihrerseits Ursache von Veränderungsprozessen
- diese Verflechtung von Gesellschaftsstruktur und Individuum
findet in der Psychologie eine Entsprechung in der Analyse
der Wechselwirkung zwischen dem Menschen und seiner
sozialen wie auch räumlich-dinglichen Umwelt.
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