Current research projects
Moral und Evolution (Busche)
Wie schon Darwin selbst erkannt hat, werden durch die Evolutionstheorie zwei grundsätzliche Fragen für die Ethik aufgeworfen: Erstens: Lassen sich aus den Gesetzen der Evolution gewisse Normen oder Werte für die Ethik, d.h. die rational argumentierende Moralkritik und Moralbegründung ableiten, oder unterliegen solche Versuche vielmehr notwendigermaßen der Sein-Sollen-Vermischung (naturalistischer Fehlschluss) bzw. dem logischen Zirkel (petitio principii), da Normen, die allererst aus der Evolution abgeleitet werden müssten, bereits vorausgesetzt werden? Zweitens: Inwieweit wird das Motivationsspektrum von Moral durch evolutionäre Adaptionsmechanismen (wie z.B. sozialinstinktive, ‚altruistische‘ Verhaltenswurzeln) prädisponiert, und wie lassen sich diese näher bestimmen in Abgrenzung gegenüber soziokulturellen Prägungen einerseits und emotional-kognitiven Eigenleistungen des moralisch reflektierenden Individuums andererseits? Für eine differenzierte systematische Antwort sind zugleich die grundlegenden Positionen und Vertreter der historischen Debatten auszuwerten: exemplarische Ansätze zur Evolutionären Ethik vom Sozialdarwinismus (Tille) bis hin zu neueren, altruizistischen Varianten (Richards) sowie klassische Standpunkte in der Frage nach dem Verhältnis von moralischem Bewusstsein und biotischen Faktoren von Kropotkin und Huxley über die Vergleichende Verhaltensforschung (Konrad Lorenz) bis hin zur Soziobiologie (Wilson, Dawkins).
Antike Interpretationen der aristotelischen Geistlehre (Busche)
Aristoteles’ Theorie des Geistes (nous) ist eines der einflussreichsten und zugleich dunkelsten Lehrstücke der Philosophie. Diese Geistlehre, die nach Aristoteles auf der Grenzlinie zwischen Physik und Metaphysik liegt, ist bereits in der Antike vielfach und sehr unterschiedlich interpretiert worden. Bedeutsam sowohl für den westlichen und arabischen Aristotelismus als auch für die christlich geprägte Philosophie sind die Interpretationen und Kommentare zu De anima, die von Theophrast, Alexander von Aphrodisias, Themistios, Philoponos, Simplikios und Priskian aus Lydien verfasst wurden. Da ihre erläuternden Passagen zum Nous noch niemals in einer einzigen Edition gesammelt wurden, soll diese Lücke durch eine griechisch-deutsche Textausgabe geschlossen werden. Unter Einbeziehung der Untersuchungen von sechs philosophischen Kolleginnen und Kollegen wird die zweisprachige Edition in der Philosophischen Bibliothek des Felix-Meiner Verlags erscheinen.
Kulturphilosophie (Busche)
Das Buchprojekt „Kulturphilosophie – Begriffe, Typen, Paradigmen“ erweitert den vorliegenden Hagener Kurs 03567 „Kulturphilosophie“ systematisch um eine Antwort auf die Frage, welche Erkenntnispotentiale Kulturphilosophie im 21. Jahrhundert haben kann. Kulturphilosophie ist eine ebenso junge wie problematische Disziplin, die selbst Ernst Cassirer als „vielleicht das fragwürdigste und das am meisten umstrittene Gebiet“ der Philosophie bezeichnet hat. Die Vielgestaltigkeit ihrer theoretischen Ansätze seit 1899 beruht zum einen auf der Vieldeutigkeit des Wortes „Kultur“, zum anderen auf der Vielfalt von Perspektiven, Fragestellungen und methodischen Voraussetzungen, die an den jeweils als „Kultur“ bestimmten Gegenstand herangetragen werden. Um die Erkenntnispotentiale einer zeitgemäßen Philosophie der Kultur systematisch abzustecken, sind zunächst teils verschiedene Grundbedeutungen von „Kultur“ von einander abzugrenzen, teils die unterschiedlichen Zugangsweisen zur Kultur zu verdeutlichen, die in den „Kulturwissenschaften“, in der „Kulturkritik“ und in der „Kulturphilosophie“ einerseits, in fachspezifischen Theorien wie der „Kulturpsychologie“ und der „Kultursoziologie“ andererseits gewonnen werden. Im Anschluss an diese Vorklärungen sind die großen Paradigmen der bisherigen Kulturphilosophie auf ihre Leistungen und Grenzen hin zu prüfen. Zu ihnen gehören Herders abstraktionskritisches Panorama der individuellen Bedingungen menschlicher Selbstentwicklung, die transzendentalphilosophischen Ansätze von Rickert und Cassirer, die am Maßstab der Kulturidee bewertende Gesellschaftsdiagnose Simmels, die Vergleichende Kulturmorphologie Spenglers und die historische Anthropologie der Kultur bei Gehlen. Abschließend ist zu ermitteln, wie diese philosophischen Paradigmen, aber auch die außerphilosophischen Impulse der Kulturtheorie von Freud über Bourdieu bis hin zu aktuellen Theorien der Alterität, Hybridität, Inter- und Multikulturalität, Performativität usw. fruchtbar gemacht werden können für eine zeitgenössische Philosophie der Kultur.
Leibniz‘ Theodizee (Busche)
Über den Sinn von Theodizee und insbesondere über die Leibnizsche herrschen noch immer zahlreiche Missverständnisse. Zu ihnen zählt etwa das durch Kant verbreitete erkenntniskritische Vorurteil, dass Theodizee generell an heillos überfrachteten dogmatischen Erkenntnisansprüchen leide, aber auch das moralische Vorurteil, dass Theodizee die Übel dieser Welt verharmlose und auch die schlimmsten Katastrophen und Verbrechen der Menschheit zu rechtfertigen suche. Die Monographie „Leibniz' Theodizee - ihre Ziele und ihre Argumente“ soll zunächst klären, was Theodizee überhaupt will und was sie nicht will, soll dann die wichtigsten kritischen Einwände gegen Theodizee diskutieren und soll schließlich, ohne apologetisches Interesse, zeigen, dass die meisten Kritikpunkte sich nicht gegen den Leibnizschen Versuch einer Verteidigung des christlichen Glaubens richten, sondern gegen die Rationalität des christlichen Glaubens selbst.
Kants Wissenschaftstheorie und -geschichte der Kopernikanischen Revolution (Lemanski)
Der aktuellen Forschung zur zweiten Vorrede zu Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft zufolge ist mit der sogenannten ‚Kopernikanische Wende‘ nicht mehr primär eine Wende vom Objekt zum Subjekt oder vom Ding an sich zur Erscheinung gemeint, sondern ein methodischer Wechsel. Das Forschungsprojekt untersucht diese wissenschaftstheoretische Revolution anhand der von Kant selbst geschilderten Wissenschaftsgeschichte der Physik und Astronomie. Dabei konnten eindeutige Satzkookkurrenzen zwischen dem als kopernikanische Wende bekannten Satz Kants und Lamberts Cosmologischen Briefen nachgewiesen werden.
Publikationen: Die Königin der Revolution. Zur Rettung und Erhaltung der Kopernikanischen Wende, in: Kant-Studien 103:4 (2012), S. 448–471.
Geschichte des Kontextualismus und Kompositionalismus (Lemanski)
Der modernen Philosophiegeschichteschreibung zufolge vertritt die traditionelle Logik die Theorie des Kompositionalismus, derzufolge sententiale Spracheinheiten (Urteile, Schlüsse) aus subsententialen (Begriffe, Zeichen) zusammengesetzt werden. Die analytische Philosophiehistorie sieht ihre Ahnherren hingegen in Frege, der einen von sententialen zu subsentialen Spracheinheiten ausgehenden Kontextualismus von Kant übernommen habe. Das Forschungsprojekt macht sich zur Aufgabe, diese Entwicklungsgeschichte zu überprüfen. Dabei hat sich herausgestellt, dass Frege das Kontextprinzip nicht von Kant, sondern vom neuaristotelischen Umkreis um Otto Friedrich Gruppe und August Trendelenburg übernommen hat.
Publikationen: Die neuaristotelischen Ursprünge des Kontextprinzips und die Fortführung beim frühen Frege, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 67:4 (2013), S. 566–587.
Bottom-up und top-down (Lemanski)
‘Bottom-up‘ (‚von unten herauf‘) und ‚top-down‘ (‚von oben herab‘) sind mittlerweile gängige Methoden- und Modellbegriffe in allen modernen Natur- wie auch Geisteswissenschaften. Häufig wird dabei übersehen, dass sie zum einen eine weit in die Historie zurückreichende Begriffsgeschichte besitzen, zum anderen aber in den jeweiligen Einzelwissenschaften sehr unterschiedliche verwendet werden. ‚Bottom-up‘ und ‚top-down‘ können bspw. synonym mit Begriffen wie Induktion und Deduktion, Analyse und Synthese, Klassifikation und Spezifikation verwendet werden und supponieren jeweils topologische und hierarchische Relationen (bspw. höher/tiefer, primär/sekundär). Das Projekt versucht zum einen eine begriffs- und ideengeschichtliche Aufarbeitung des Begriffspaares und untersucht zum anderen seine gegenwärtige Semantik in den Einzelwissenschaften.
Publikationen: Summa und System. Historie und Systematik vollendeter bottom-up und top-down-Theorien. Münster: mentis, 2013.
Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? (Schubbe, Lemanski, Busche)
Die bereits im Mittelalter explizit gestellte Frage ‚Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?‘ ist spätestens seit Leibniz intensiv diskutiert worden und erlebt in der gegenwärtigen Physik und Metaphysik erneut eine Renaissance. Das Forschungsprojekt ist sowohl historisch als auch systematisch ausgerichtet und versucht daher sowohl unbekannte Texte aus der Ideengeschichte der Frage aufzuarbeiten als auch eine Systematik der aktuell diskutierten Antworttypen zu erstellen.
Publikationen: Warum ist überhaupt etwas und nicht nichts? Wandel und Variationen einer Frage. Hg. v. Daniel Schubbe, Jens Lemanski und Rico Hauswald. Hamburg: Meiner, 2013.
Studien zur Philosophie Schopenhauers (Elon, Lemanski, Schubbe)
In dem Projekt werden schwerpunktmäßig verschiedene Themen der Philosophie Schopenhauers untersucht:
- Texterschließung des handschriftlichen Nachlasses
- Einordnung Schopenhauers in die Geschichte der Evolutionstheorie
- Verhältnis Schopenhauers zur modernen Physik und Anschlussfähigkeit an dieselbe
- Anschlussfähigkeit Schopenhauers an Fragestellungen der Hermeneutik
- Erforschung der schopenhauerschen Philosophie im Kontext des 18. Jahrhunderts
- Erschließung der schopenhauerschen Logik und Argumentationstheorie unter besonderer Berücksichtigung des handschriftlichen Nachlasses
- methodologische und metaphilosophische Interpretationsprobleme der Welt als Wille und Vorstellung
Publikationen: Daniel Elon: „Schopenhauer und die Suche nach der Weltformel“, in: Schopenhauers Wissenschaftstheorie. Der Satz vom Grund. hg. v. Dieter Birnbacher, Würzburg 2015 (= Beiträge zur Philosophie Schopenhauers, 16).
Daniel Schubbe, Jens Lemanski: Konzeptionelle Probleme und Interpretationsansätze der Welt als Wille und Vorstellung, in: Schopenhauer-Handbuch. Hg. v. Daniel Schubbe, Matthias Koßler. Stuttgart: Metzler, 2014, S. 36–44.
Zur Semantik epistemischer Ausdrücke (Schumann)
Bevor man die in der Erkenntnistheorie zentralen Fragen „Was ist Wahrheit?“ und „Was ist epistemische Rechtfertigung?“ beantworten kann, muss man Klarheit darüber erzielen, was „Wahrheit“ und „epistemische Rechtfertigung“ eigentlich bedeuten. In dem Forschungsvorhaben soll die These begründet werden, dass wir mit Prädikationen von Wahrheit bzw. epistemischer Rechtfertigung keine Wahrheitswertträger beschreiben, sondern sie in epistemischer Weise empfehlen, so dass „wahr“ und „epistemisch gerechtfertigt“ primär keine deskriptive, sondern präskriptive Ausdrücke darstellen. Eine moderate nicht-deskriptivistische Theorie beider Begriffe wird entwickelt und einige Adäquatheitsbedingungen für Theorien beider Begriffe als Konsequenz abgeleitet: 1. Beide Prädikate supervenieren auf deskriptiven Prädikaten ihrer Träger. 2. Eine Vermittlungsposition zwischen erkenntnistheoretischem Fundamentalismus und Kohärentismus wird erreicht. 3. Der erkenntnistheoretische Naturalismus wird mit der Normativität unserer epistemischen Aussagen zurückgewiesen 4. Aktuelle Ansätze des erkenntnistheoretischen Kontextualismus werden korrigiert. 5. Der heutzutage in der Theoretischen Philosophie weit verbreitete Wahrheitsdeflationismus wird als inadäquat zurückgewiesen.
Erklärungen in den Geschichtswissenschaften (Schumann)
Das Habilitationsprojekt beschäftigt sich mit der Frage nach der angemessenen Erklärungsart historischer Ereignisse in den Geschichtswissenschaften. Ich möchte dafür argumentieren, dass historische Ereignisse im Wesentlichen Handlungen von individuellen oder kollektiven Akteuren sind und dass diese mittels Handlungsgründen, nicht mittels Ursachen erklärt werden (und dass Gründe etwas von Ursachen fundamental verschiedenes sind). Es soll also aufgezeigt werden, dass es einen prinzipiellen Methodenunterschied zwischen naturwissenschaftlichen Erklärungen und denen der Geschichtswissenschaft gibt. Dies möchte ich unter Rückgriff auf intentionalistische Handlungstheorien in der Tradition des späten Wittgenstein und der „Philosophie der normalen Sprache“ zeigen. Monistische Angleichungsprogramme von Natur- und Geisteswissenschaften basieren auf kausalistischen Handlungstheorien, die heutzutage weit verbreitet sind in der zeitgenössischen Analytischen Philosophie. Daher soll in einem ersten Teil meiner Arbeit ausführlich und in allgemeiner Weise gegen den handlungstheoretischen Kausalismus argumentiert werden. In einem zweiten Teil der Arbeit sollen die Ergebnisse des handlungstheoretischen ersten Teils auf die Probleme geschichtswissenschaftlicher Erklärungen angewandt werden. Willentliche Handlungen sind anhand eines Kontextes gedeutetes Verhalten. Die Erklärungen vergangener Handlungen hat zwar spezielle Probleme, die mit der Überlieferung des Handlungskontextes und von Kriterien zusammenhängt, diese stellen aber prinzipiell keine Probleme sui generis dar, so dass (mit einigen Qualifikationen) gesagt werden kann, dass die Erklärungen historischer Handlungen wie (Alltags-) Erklärungen zeitgenössischer Handlungen funktionieren, nämlich als Ausdruck von Überzeugungen und Absichten der Akteure. Bestimmte Fehlauffassungen über die Natur kollektiver Intentionalität und metaphysischer Voraussetzungen der Offenheit von Geschichte sollen ebenfalls widerlegt werden. Des Weiteren geht es um die Ausräumung skeptizistischer Zweifel, ob die Handlungsgründe historischer Akteure nicht ohnehin nicht mehr transparent gemacht werden können.