Einleitung

1. Über dieses Buch
2. Themenbereiche des Buches
Wissensbasierte Systeme im Überblick
Logikbasierte Wissensrepräsentation und Inferenz
Regelbasierte Systeme
Maschinelles Lernen
Fallbasiertes Schließen
Nichmonotones Schließen
Logisches Programmieren
Argumentation
Aktionen und Planen
Agenten
Quantitative Methoden
Grundlagen: Logik, Wahrscheinlichkeit und Graphentheorie
Anwendungen

1. Über dieses Buch

Mittlerweile sind weltweit unzählige wissensbasierte Systeme im Einsatz, und eine ebenso große Zahl von Systemen befindet sich wahrscheinlich zur Zeit in der Entwicklung -- Computersysteme steuern und kontrollieren Prozesse, übernehmen Wartungsaufgaben und Fehlerdiagnosen, Roboter befördern Hauspost und kommunizieren dabei mit ihrer Umgebung, entscheidungsunterstützende Systeme helfen bei der Analyse komplexer Zusammenhänge (z.B. in der Wirtschaft und bei Banken), medizinische Diagnosesysteme beraten den behandelnden Arzt und unterbreiten Therapievorschläge, Expertensysteme nutzt man zu Konfigurations- und Planungsaufgaben, tutorielle Systeme werden zur Schulung insbesondere in mit hohem Risiko verbundenen Bereichen (z.B. Flugsimulation und Chirurgie) eingesetzt u.v.a.m. Die Menge der Programmierumgebungen, Tools und System-Shells, die bei der Entwicklung solcher wissensbasierter Systeme wertvolle Hilfestellung leisten können, scheint ebenso unüberschaubar, und die rasante Entwicklung im allgemeinen Soft- und Hardware-Bereich macht die Orientierung auf diesem Gebiet nicht einfacher.

Trotz der enormen Fluktuation im Systembereich kann man sich aber klarmachen, dass die allgemeine Aufgabenstellung eines wissensbasierten Systems von erstaunlicher Konstanz ist: Immer geht es darum, intelligentes Denken und Handeln in einem bestimmten Bereich zu simulieren, und immer muss zu diesem Zweck Wissen dargestellt und verarbeitet werden. Die Behandlung dieses Problems steht nicht nur am Anfang des Entwicklungsprozesses eines Systems, sondern von seiner Lösung hängt auch in entscheidendem Maße die Qualität des resultierenden Systems ab. Denn es gibt hier nicht einfach die beste Methode, vielmehr gilt es, aus den vielen existierenden Ansätzen diejenige auszuwählen, die optimal zum zukünftigen Einsatzbereich des Systems passt.

Aus diesem Grunde nutzen wir die Themen Wissensrepräsentation und Inferenz als relativ(!) zeitlosen Dreh- und Angelpunkt dieses Buches. Wir verfolgen dabei einen logikbasierten Ansatz, wobei wir über die klassischen Logiken hinausgehend auch die für Anwendungen und Modellierung besonders interessanten nichtmonotonen und quantitativen Ansätze betrachten. Somit wollen wir ein grundlegendes Verständnis wichtiger Repräsentationsformen und der zugehörigen Inferenzmechanismen vermitteln und deren mögliche Einsatzbereiche als Kern eines wissensbasierten Systems durch kleine, überschaubare Beispiele illustrieren. Darüber hinaus werden wir natürlich auch Realisierungen in existierenden Systemen ansprechen. Ohne ein solches Verständnis ist eine erfolgreiche Konzipierung und Implementierung eines Systems nicht möglich -- wie soll das System dem Benutzer seine Schlussfolgerungen erklären, wenn dieser Punkt nicht einmal seinem Erschaffer hinreichend klar ist?

In diesem Sinne sind wissensbasierte Systeme gewissermaßen ``theories at work'' -- Theorien bei der Arbeit, und jenseits eines wirtschaftlichen Nutzens stellen sie ein wichtiges Bindeglied zwischen Grundlagen und Praxis der Künstlichen Intelligenz dar. Das Feedback aus Erfahrungen mit bereits eingesetzten Systemen und Prototypen liefert nicht nur wichtige Erkenntnisse für die Weiterentwicklung wissensbasierter Systeme, sondern manchmal auch Impulse für neue theoretische Ansätze und Paradigmen, die ihre Umsetzung wieder in neuen Systemen suchen.

2. Themenbereiche des Buches

Das Gebiet der wissensbasierten Systeme hat sich zu einem der bedeutendsten Teilgebiete der Künstlichen Intelligenz entwickelt. Andererseits spielen für den Bereich der wissensbasierten Systeme wiederum viele Aspekte aktueller KI-Forschung eine wichtige Rolle. Indem wir im Folgenden die Inhalte der einzelnen Kapitel des Buches kurz vorstellen, geben wir einen überblick über die Aspekte, die für die Entwicklung wissensbasierter Systeme besonders relevant sind und auf die wir im Rahmen dieses Buches näher eingehen werden.

Wissensbasierte Systeme im Überblick

Zunächst geben wir einen ersten überblick über das Gebiet der wissensbasierten Systeme. Neben ersten Beispielen gehen wir auf die Geschichte der wissensbasierten Systeme ein, stellen das für diese Geschichte so wichtige medizinische Expertensystem MYCIN vor und beschreiben den generellen Aufbau eines wissensbasierten Systems.

Logikbasierte Wissensrepräsentation und Inferenz

Wie schon erwähnt, ist das Gebiet der Wissensrepräsentation von zentraler Bedeutung für ein wissensbasiertes System. Untrennbar damit verbunden ist die Frage der Inferenzmöglichkeiten. In dem Kapitel ``Wissensrepräsentation und Inferenz'' werden wir einen überblick über die Wissensrepräsentationsmöglichkeiten und zugehörigen Inferenzmechanismen geben, die für wissensbasierte Systeme eingesetzt werden können. Nach einer allgemeinen Einführung in logische Grundlagen stellen wir mit der Aussagenlogik und der Prädikatenlogik die beiden am besten untersuchten Logiken vor; Kenntnisse in diesen klassischen Logiken sind Voraussetzung für weiterführende Wissensrepräsentations- und Inferenzmöglichkeiten, auf die wir dann in späteren Kapiteln noch eingehen werden.

Regelbasierte Systeme

Zu den ältesten und bewährtesten Formen der Wissensrepräsentation in Computersystemen gehören die sog. Wenn-dann-Regeln. Einerseits stellen sie Wissen in einer gut verständlichen Weise dar, andererseits lassen sich (deterministische) Regeln mit Hilfe der klassischen Logik adäquat verarbeiten. Die regelbasierten Systeme fundieren also auf gut verstandenen und erprobten Techniken mit Tradition. Auch heute noch werden sie in klar strukturierten Bereichen, bei denen es lediglich auf 0-1-Entscheidungen ankommt, eingesetzt. Deshalb, und wegen der fundamentalen Bedeutung, die (allgemeine) Regeln für die Wissensrepräsentation in Systemen besitzen, widmen wir ihnen ein eigenes Kapitel.

Maschinelles Lernen

Eine besondere Eigenheit intelligenten Verhaltens ist die Lernfähigkeit. Menschen lernen aus Erfahrungen, aus Beispielen, aus Versuchen, durch Unterweisung, aus Büchern usw. Schon sehr lange hat man versucht, verschiedene Formen menschlichen Lernens zu modellieren und dies für den Einsatz in wissensbasierten Systemen auszunutzen. Neben einer allgemeinen Einführung in das Gebiet stellen wir das auch kommerziell sehr erfolgreiche Gebiet des Lernens von Entscheidungsbäumen sowie das Konzeptlernen vor. Besonderes Interesse findet derzeit in vielen Bereichen das sog. Data Mining und die automatische Wissensfindung in Datenbeständen. Ein klassisches Anwendungsgebiet ist beispielsweise die Warenkorbanalyse, die regelhaftes Wissen über das Einkaufsverhalten generiert.

Fallbasiertes Schließen

Nach anfänglich großen Erfolgen der Expertensysteme und noch größeren Erwartungen, die aber nicht immer erfüllt werden konnten, ist in den letzten Jahren versucht worden, das zentrale Problem der Wissensrepräsentation und -verarbeitung mit einem neuen Ansatz zu lösen. Die zentrale Idee dabei ist, sich eine Falldatenbasis aufzubauen, in der Problemstellungen zusammen mit Lösungen als Paare abgelegt sind. Konfrontiert mit einer Problemsituation, die genau so schon einmal aufgetreten ist, muss man lediglich die Situation unter den vorliegenden Fällen wiederfinden und die dort abgespeicherte Lösung anwenden. Ist die Problemsituation aber neu, so versucht man, die Lösung eines möglichst ähnlichen Falls entsprechend anzupassen.

Nichtmonotones Schließen

Eine Eigenheit der klassischen Logik ist, dass mit der Hinzugewinnung neuen Wissens die Menge der daraus ableitbaren Schlussfolgerungen monoton wächst. Dass dies in der Realität nicht immer so ist, kann man sich am folgenden Beispiel klarmachen:

Wenn man weiß, dass Tweety ein Tier ist, schließt man daraus, dass Tweety ein Lebewesen ist. Wenn man zusätzlich erfährt, dass Tweety ein Vogel ist, schlussfolgert man außerdem, dass Tweety fliegen kann. Wenn dann noch die Information gegeben wird, dass Tweety ein Königspinguin ist, kann man weiterhin schließen, dass er sich bei niedrigen Temperaturen wohlfühlt. Aber Vorsicht: Jetzt muss man, nachdem das zusätzliche Wissen, dass Tweety ein Pinguin ist, zur Verfügung steht, den zuvor gemachten Schluss, dass Tweety fliegen kann, wieder zurücknehmen.

Ist denn dann nicht der Schluss, dass Tweety fliegen kann, von vornherein falsch gewesen?

Dieser Standpunkt lässt sich wohl kaum vertreten: In unserem Allgemeinwissen ist es ja eine durchaus akzeptierte Regel, dass Vögel (normalerweise) fliegen können. Dass es dazu auch Ausnahmen gibt, berücksichtigen wir üblicherweise erst dann, wenn wir wissen, dass eine Ausnahme vorliegt.

Derartige Schlussweisen, unter denen zuvor gemachte Schlüsse aufgrund zusätzlichen Wissens wieder zurückgenommen werden müssen, heißen nichtmonoton.

Wegen der besonderen Bedeutung dieser Form der Inferenz für die Modellierung menschlichen Schließens im Allgemeinen und für wissensbasierte Systeme im Besonderen werden wir uns in mehreren Kapiteln ausführlich mit der Methodik des nichtmonotonen Schließens beschäftigen. Dabei stellen wir zum Einen die eher operationalen Ansätze der Truth Maintenance-Systeme vor und gehen zum Anderen schwerpunktmäßig auf Default-Logiken ein. Ferner zeigen wir, dass auch das logische Programmieren einen Rahmen zur Verfügung stellt, der sehr gut für die Behandlung nichtmonotoner Problemstellungen geeignet ist.

Logisches Programmieren

Das Themengebiet des logischen Programmierens bietet eine deklarative, logische Umgebung für die regelbasierte Wissensrepräsentation und Inferenz und nimmt dabei eine zentrale Mittlerposition zwischen klassisch-logischen und nichtmonotonen Formalismen ein. Ein logisches Programm besteht aus einer Menge von (prädikatenlogischen) Regeln und Fakten, die in ihrer einfachsten Form nur Information positiver Art repräsentieren können und eine eindeutige logische Bedeutung haben. Erweiterungen der Syntax logischer Programme ermöglichen jedoch auch die Berücksichtigung negativer und unvollständiger Information. Die Wissensverarbeitung erfolgt in einer Kombination klassisch-logischer Methoden mit Ideen aus nichtmonotonen Logiken.

Argumentation

Historisch gesehen ist Argumentation eine Teildisziplin der Philosophie, die sich mit der Analyse von Diskursen und mit Rhetorik beschäftigt. Die Bedeutung von Argumentation für Wissensrepräsentation und -verarbeitung und für die Modellierung menschlichen Schließens ist darin begründet, dass Argumentation eine der fundamentalsten Formen des Commonsense Reasoning ist.

Es gibt daher eine Reihe von Gründen, sich bei der Untersuchung von Methoden wissensbasierter Systeme mit Argumentation zu beschäftigen. So sind Typen von Alltagsinferenzen für die Modellierung realer Szenarien und für die Mensch-Maschine-Interaktion ebenso wichtig wie Alltagswissen. Weiterhin ermöglicht Argumentation nichtmonotone Inferenzen, und insbesondere für Multiagentensysteme stellt Argumentation eine natürliche Basis für die Gestaltung von Kommunikationen und Verhandlungen dar. Eine argumentative Architektur eines wissensbasierten Systems erlaubt besonders überzeugende Erklärungen und kann damit eine gute Akzeptanz sichern.

Aktionen und Planen

Wie das Schlussfolgern und das Lernen ist das zielgerichtete Planen etwas, in dem sich intelligentes Verhalten in besonderer Weise manifestiert. Während es aber beim Schließen darum geht festzustellen, ob ein bestimmter Sachverhalt vorliegt oder nicht, ist das Ziel des Planens ein anderes. Gegeben sei ein vorliegender Zustand und die Beschreibung eines erwünschten Zielzustands. Die Planungsaktivität besteht dann darin, eine Folge von Aktionen zu erstellen, deren Ausführung den vorliegende Zustand in einen Zustand überführt, in der die Zielbeschreibung zutrifft.

Der Situationskalkül liefert traditionell die logischen Grundlagen des Planens und wird auch heute noch vielfach verwendet. Ferner stellen wir das klassische STRIPS-Planungssystem vor und zeigen, wie es einen Lösungsansatz für das fundamentale Rahmenproblem liefert. Eine modernere und elegantere Methode zur Erstellung von Plänen bieten die Antwortmengen des logischen Programmierens.

Agenten

Das Paradigma des Agenten als ein integriertes, in seine Umgebung eingebettetes und mit ihr kommunizierendes System hat in den letzten Jahren entscheidend dazu beigetragen, unterschiedliche Forschungsrichtungen der KI zusammenzuführen und zu fokussieren.

Aus dem Blickwinkel unseres Buches heraus konzentrieren uns im Wesentlichen auf die Wissenskomponente eines Agenten, in der Methoden und Prozesse zur Repräsentation und intelligenten Verarbeitung von Informationen umgesetzt werden. Diese Komponente spielt eine zentrale Rolle für das überlegte Handeln eines Agenten, für seine Robustheit, Flexibilität und Autonomie, da er auf der Basis des aktuellen Wissens und möglicher Schlussfolgerungen seine Entscheidungen trifft.

Einsatz- und Leistungsfähigkeit eines Agenten hängen jedoch natürlich ebenso von der Qualität seiner anderen Komponenten und von seiner Gesamtarchitektur ab. Wir stellen daher den (maschinellen) Agenten als Gesamtkonzept vor, in dem die in diesem Buch behandelten Methoden prinzipiell zur Anwendung kommen können. So sind z.B. die in dem Kapitel Aktionen und Planen entwickelten Ansätze geradezu prädestiniert für den Einsatz in der Roboter- und Agentenwelt. Aber auch die verschiedenen Varianten des logischen und plausiblen Schlussfolgerns, die wir in diesem Buch ausführlich besprechen, stellen Basismethoden oder mögliche Ansätze für die Gestaltung und Implementation der Wissenskomponente eines Agenten dar.

Quantitative Methoden

Bereits in dem Expertensystem MYCIN , das oft als Urvater aller wissensbasierten Systeme angegeben wird, spielte die Darstellung und Verarbeitung unsicheren Wissens eine zentrale Rolle. So gelten viele Schlussregeln im Bereich der Medizin nur bis zu einem gewissen Grad: Es gibt zwar charakteristische Schmerzsymptome für eine Blinddarmentzündung, aber nicht in allen Fällen ist tatsächlich eine Blinddarmentzündung die Ursache. In MYCIN und in vielen anderen Systemen wird versucht, derartige Unsicherheiten oder Vagheiten in dem verwendeten Wissen mit sog. Sicherheitsfaktoren oder Wahrscheinlichkeitswerten, die Wissenselementen und Regeln zugeordnet werden, in den Griff zu bekommen. Dabei sind natürlich entsprechende Inferenzmechanismen notwendig, die diese numerischen Werte verarbeiten. In zwei Kapiteln gehen wir mit Markov-Graphen und Bayesschen Netzen auf Probabilistische Netzwerke und auf alternative Ansätze wie Dempster-Shafer Theorie, Fuzzy-Logik und Possibilistik ein.

Grundlagen: Logik, Wahrscheinlichkeit und Graphentheorie

Logik ist für das Verständnis dieses Buches von zentraler Bedeutung; klassisch-logische Systeme werden deshalb bereits im Rahmen von Wissensrepräsentation und Inferenz ausführlich behandelt. Für das Verständnis einiger Kapitel des Buches benötigt man außerdem noch Kenntnisse in den Bereichen Wahrscheinlichkeit und Information und Graphentheorie. Die Grundlagen dafür werden in zwei Anhängen bereitgestellt.

Anwendungen wissensbasierter Systeme findet man heute in vielen Bereichen. Als Hauptanwendungsgebiete lassen sich Aufgabenstellungen in der Diagnostik sowie in der Planung und Konstruktion ausmachen. Durch das gesamte Buch hindurch werden entsprechende Hinweise und Beispiele aus Bereichen wie Medizin- und Bioinformatik oder Operations Research die Handhabung und Praxisrelevanz der behandelten Methoden illustrieren. Außerdem widmen wir ganze Unterabschnitte der Vorstellung komplexerer Anwendungsszenarien wie beispielsweise der Warenkorbanalyse, der medizinischen Diagnose und der Proteinklassifikation.


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Letzte Änderung am 24.06.2019
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