Straffällige richtig einschätzen
An der FernUniversität forschen mehrere psychologische Lehrgebiete rund ums Thema Strafvollzug. Prof. Andreas Mokros und sein Team arbeiten sogar direkt mit Gefängnissen zusammen.
Menschen, die schlechtes getan haben, können sich zum Guten ändern – auf diesem Gedanken fußen große Teile des deutschen Stravollzugs. Ziel ist es, Straffällige während ihrer Haft zu resozialisieren und ihnen gegebenfalls einen gesellschaftlichen Neustart zu ermöglichen. Aber wann ist ein Gewalttäter wirklich geläutert? Wie lässt sich möglichst sicher einschätzen, dass er seine Verbrechen nicht einfach wiederholt, sobald er auf freiem Fuß ist? Um Fragen wie diese zu beantworten, bedarf es unter anderem einer sorgfältigen psychologischen Beurteilung. Eine große Verantwortung für die diagnostizierenden Expertinnen und Experten. Zudem müssen sie am Ball bleiben – Diagnose-Verfahren entwickeln sich mit dem Stand der Forschung stetig weiter. „Man muss die Tauglichkeit einzelner Verfahren fortlaufend prüfen und sie nach Möglichkeit immer weiter standardisieren“, erklärt Prof. Dr. Andreas Mokros. Für das Knowhow rund um die Beurteilung von Straffälligen zeichnet sich der Psychologe teils selbst verantwortlich: An der FernUniversität in Hagen leitet er das Lehrgebiet Persönlichkeits-, Rechtspsychologie und Diagnostik; eine von mehreren Professuren, die rund um die Themen Strafvollzug und Begutachtung forschen – und ihre Kenntnisse wiederum berufspraktisch vermitteln. So betreut Prof. Mokros‘ Lehrgebiet zum Beispiel gemeinsam mit der Sozialpsychologie (Prof. Dr. Stefan Stürmer), Gesundheitspsychologie (Prof. Dr. Christel Salewski) und Medienpsychologie (Prof. Dr. Aileen Oeberst) den Weiterbildungsstudiengang Psychologie für Rechtsberufe an der FernUniversität.
Studien an und mit Häftlingen
„Wir sind am Straffvollzug als Lehrgebiet vielleicht am nächsten dran“, schätzt Mokros. Sein Team forscht in direkter Weise zur Psyche von Verbrecherinnen und Verbrechern. Im wissenschaftlichen Alltag bedeutet das mitunter auch: raus aus dem Büro, rein ins Gefängnis. „Für die Fragestellungen, die wir beackern, ist es wichtig, Feldforschung zu betreiben. Das erfordert in verschiedenen Zusammenhängen eben auch Datenerhebungen in Justizvollzugsanstalten“, erklärt der Diagnostik-Experte. Dafür ziehen er und seine Mitarbeitenden mit ganz verschiedenen Einrichtungen an einem Strang. Über eine Kooperation freut sich Mokros mit Blick auf die Zukunft allerdings besonders: „Ich bin zuversichtlich, dass wir vor allem mit der JVA Hagen intensiv zusammenarbeiten können.“
Besondere Bedingungen in Hagen
Die Justizvollzugsanstalt Hagen stellt einen einzigartigen Knotenpunkt in Nordrhein-Westfalen dar. Seit 50 Jahren regelt das NRW-Einweisungsverfahren, dass männliche Gefangene zunächst in der Hagener JVA landen, bevor sie ihre eigentliche Haftstrafe antreten. Erst nachdem sie hier mit Blick auf Lebensverhältnisse und Persönlichkeit beurteilt wurden, erfolgt die Aufteilung auf andere Gefängnisse des Landes. „Die JVA Hagen ist prädestiniert für wissenschaftliche Erhebungen, weil hier die zentrale Verteilung für ganz NRW erfolgt. Alle, die zu mehr als drei Jahren Haft verurteilt worden sind, männlich und der deutschen Sprache mächtig, durchlaufen hier das Einweisungsprogramm“, so Mokros. Vor allem die hohe Diversität weckt sein wissenschaftliches Interesse: „Es sind nicht nur Häftlinge mit besonders langen Haftstrafen oder nur Gewaltstraftäter, sondern Menschen mit ganz unterschiedlichen Biografien und Delikten.“ Mokros‘ Forschung könnte vom Zugang hinter die Hagener Gefängnismauern sehr profitieren. Mittelbar könnten seine neuen Erkenntnisse den Fachleuten in der JVA helfen, die Häftlinge noch besser einzuschätzen. Umgekehrt erweist sich der inhaltliche Austausch mit den JVA-Fachleuten als sehr hilfreich für Mokros‘ Team.
Hohe ethische Standards
Konkrete Hinweise zu einzelnen Gefangenen darf Mokros allerdings nicht aus den Studiendaten weitergeben. Vielmehr gilt: Die Teilnahme ist stets freiwillig, Daten werden anonymisiert, persönliche Infos immer vertraulich behandelt. Eine universitäre Ethikkommission und der Kriminologische Dienst der Justiz NRW überwachen den Prozess. „Die Standards sind unter Berücksichtigung der besonderen Lage sogar noch höher als gewöhnlich.“ So wird etwa darauf geachtet, dass die Entlohnung für die Gefangenen weder zu niedrig noch zu hoch angesetzt ist – damit keine falschen Anreize oder Rivalitäten entstehen.
Kombinierte Verfahren
Wie sehen die Tests aus? „Wir haben nicht nur klassische Fragebögen. In vielen Fällen sind es Interviewverfahren oder auch experimentelle Versuchsanordnungen, sodass von den Gefangenen zum Beispiel bestimmte Aufgaben am Bildschirm gelöst werden sollen.“ Der Psychologe wirbt dabei vor allem für „multimodale Vorgehensweisen“, bei denen verschiedene Verfahren kombiniert werden, um verzerrende Effekte zu mindern – etwa, dass Befragte sich mit Falschaussagen in ein günstiges Licht rücken.
Was kann Strafvollzug leisten?
Einblicke in den tatsächlichen Arbeitsalltag im „Hagener Stadtknast“ und spannendes Insider-Wissen aus dem Strafvollzug gab es zuletzt für die Gäste einer öffentlichen Podiumsdiskussion auf dem Hagener Campus. Die JVA Hagen veranstaltete sie gemeinsam mit der FernUniversität anlässlich des 50-jährigen Bestehens des speziellen NRW-Einweisungsverfahrens. Auf dem Podium diskutierten Anstaltsleiter Dr. Jörg-Uwe Schäfer, Justizvollzugsbeamtin Helena Kasper, Prof. Dr. Stefan Stürmer, Prof. Dr. Andreas Mokros und Reinhard Goldbach (Leiter des Fachbereichs Jugend und Soziales der Stadt Hagen). Moderiert wurde die Veranstaltung von Ralf Schaepe (Radio Hagen). Von der Ausrichtung des deutschen Strafvollzugs zeigte sich Mokros auch hier überzeugt: „Viele Dinge, die im Vollzug passieren, vermögen das Risiko späterer Straftaten zu reduzieren. Insofern ist ‚Knast‘ eine sinnvolle Sache.“