Müll: Vermeiden geht vor
Das Forschungsprojekt „Circular Cities NRW“ nimmt die Abfallpolitik in Nordrhein-Westfalen ins Visier. Das Ziel: Strategien für eine innovative Kreislaufwirtschaft zu entwickeln.
Vermeiden vor recyceln, recyceln vor verbrennen. Das Ergebnis wäre eine Welt (fast) ohne Müll – ein perfekter Kreislauf, wenn man in Kreisläufen denkt. Das ist keine Utopie unermüdlicher Weltverbesserer:innen. Es ist das Ziel einer innovativen Kreislaufwirtschaft. Darum geht es auch in der wissenschaftlichen Forschung an der FernUniversität in Hagen. Unter der Leitung von Prof. Dr. Annette Elisabeth Töller, Lehrgebiet Politikfeldanalyse und Umweltpolitik, ist das Forschungsprojekt „Circular Cities NRW“ im Forschungsschwerpunkt Energie, Umwelt & Nachhaltigkeit (E/U/N) gestartet. In Zusammenarbeit mit dem Wuppertal Institut erforscht ein siebenköpfiges Team die Ausprägung und Bestimmungsfaktoren von Abfallvermeidungsstrategien der kreisfreien Städte des Landes Nordrhein-Westfalen.
„Wir brauchen zunächst eine solide Wissensgrundlage, wie die bisherigen Maßnahmen zur Abfallvermeidung aussehen, und dann müssen wir klären, welche Faktoren darauf Einfluss nehmen. Abfallvermeidung ist der Dreh- und Angelpunkt einer innovativen Kreislaufwirtschaft – aber es ist eine schwierige Aufgabe“, sagt Annette Elisabeth Töller. Am Ende wollen die Forschenden Handlungsempfehlungen für Kommunen und die Landesregierung ableiten.
Abfallvermeidung ist Klimaschutz
Das Klimaschutzgesetz von 2021 sieht Klimaneutralität bis 2045 vor. Wenn aber Abfall nicht vermieden und nicht verwertet werden kann, wird er in Müllverbrennungsanlagen verbrannt. Diese Abfallverbrennung trägt zu Treibhausgasemissionen bei: 2018 fielen 20 Millionen Tonnen CO2 -Äquivalente an, davon allein 9,5 Millionen durch Verbrennung von Hausmüll und Siedlungsabfällen. Insofern ist Abfallvermeidung ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz.
„Auf dem Papier steht Abfallvermeidung bereits seit 1994 an der Spitze der Abfallhierarchie“, sagt Politikwissenschaftlerin Töller. „Allerdings hapert es bei der Umsetzung. Die deutsche Abfallpolitik ist nach wie vor sehr technikorientiert. Wir sind sehr gut im Sortieren und Recyceln: Aber Abfallvermeidung macht es erforderlich, dass wir an Produkten, Prozessen und Gewohnheiten ansetzen.“ Dafür fehlt es an geeigneten politischen Instrumenten, aber auch an wirtschaftlichen Anreizen. Denn Abfall ist ein relevantes Wirtschaftsgut.
„Aktuell ist die Situation aber günstig“, schiebt Töller ein, „es gibt in der europäischen und der Bundespolitik im Moment starke politische Impulse für Vermeidung und Ansätze, Abfallmengen zu reduzieren.“ Umgesetzt werden müssen solche neuen Ansätze der Europa- und Bundespolitik, etwa bei der Stärkung von Mehrwegsystemen oder einer verstärkten Abfallberatung, auf der kommunalen Ebene. Daher setzt das Forschungsprojekt lokal an und nimmt die 22 kreisfreien Städte in Nordrhein-Westfalen ins Visier.
Erfahrung mit „Zero Waste“
In einem ersten Schritt wird für jede der 22 Städte erhoben, was es an Abfallvermeidungsaktivitäten gibt. Ist Abfallvermeidung ein erklärtes Ziel? Gibt es konkrete Reduktionsziele? Geht die Verwaltung mit gutem Beispiel voran und hat sich Reduktionsmaßnamen auferlegt: Beschaffung, Digitalisierung, Kantinen? Gibt es Maßnahmen für bestimme Abfallgruppen, etwa Lebensmittelabfälle, Verpackungen, Textil, Sperrmüll?
Zum Hintergrund
NRW strebt eine Vorreiterrolle beim Übergang zu einer wettbewerbsfähigen und klimaneutralen Kreislaufwirtschaft an. Dazu trägt der Europäische Fonds für Regionale Entwicklung Nordrhein-Westfalen (EFRE) bei, über den das Projekt Circular Cities finanziert wird. Das Land NRW ist ebenfalls beteiligt.
In einem nächsten Schritt wird untersucht, welche Faktoren die mehr oder weniger anspruchsvolle Abfallvermeidungspolitik erklären können. „Finanzielle Handlungsspielräume der Kommunen haben ebenso einen Einfluss wie die Parteiendominanz im Stadtrat. Vielleicht spielt aber auch eine Rolle, wer in der Kommune die Abfallpolitik maßgeblich prägt – das Umweltamt oder kommunale Entsorgungsunternehmen, an denen teilweise auch privatwirtschaftliche Unternehmen Anteile halten.”
In der Literatur wird zudem angenommen, dass Müllverbrennungsanlagen einen „Müllsog“ erzeugen, also gerade keine Motivation zur Abfallvermeidung geben. Aber lässt sich das nachweisen? Genau dies analysiert das Projektteam. „Die Methodik ist relativ neu, ein qualitativer komparativer Ansatz. Dadurch können wir verschiedene Faktoren auch in Kombination untersuchen“, erläutert Alix Weigel, Mitarbeiterin in dem Projekt. „Im Ergebnis haben wir wahrscheinlich mehrere Lösungspfade.“
Leitfaden für Kommunen
Am Ende steht ein Leitfaden für Kommunen mit Handlungsempfehlungen und Handreichungen, wo man ansetzen kann, um das Kreislaufwirtschaftsgesetz effizient(er) umzusetzen. Das Wuppertal Institut plant, ein spezielles Tool für Kommunen zu entwerfen, das diesen bei der Vermeidung und Aufbereitung von Abfällen hilft. „Vieles im Umweltrecht scheitert an den Kommunen, auch in Flächenländern wie NRW“, weiß Töller, die auch als Mitglied des Sachverständigenrates für Umweltfragen die Bundesregierung berät. Für sie hat das Projekt Circular Cities einen hohen Stellenwert: „Es ist wissenschaftlich interessant und hat gleichzeitig große praktische Relevanz.“
Zudem fügt sich das Forschungsvorhaben gut in den Forschungsschwerpunkt E/U/N der FernUni und die von Töller geleitete Arbeitsgruppe Institutionen und Umwelt ein: Deren Ausgangsüberlegung ist, dass umweltpolitisches Handeln maßgeblich von institutionellen Rahmenbedingungen abhängt. Wer entscheidet worüber und nach welchem Verfahren werden Entscheidungen getroffen? Vor allem an partizipative Verfahren wird häufig die Erwartung geknüpft, dass sich die Umweltqualität verbessert.
„Die tatsächlichen Effekte können von den Erwartungen deutlich abweichen“, schränkt Töller ein. „Wie sich Institutionen auf umweltpolitische Prozesse und die Qualität auswirken, ist eine zentrale Frage unserer Forschung.“