„An der FernUni laufen alle Stränge zusammen“

Als Juniorprofessorin für digitale Kultur spannt Jennifer Eickelmann in ihrer Forschung einen Bogen von Hassrede im Netz bis zum Museumserlebnis via TikTok.


Foto: FernUniversität
Jun.-Prof. Dr. Jennifer Eickelmann

Dass ihr Dissertationsthema über Hassrede und Verletzbarkeit im Internet heute, fünf Jahre nach der Promotion, dermaßen öffentliche Aufmerksamkeit erregen würde, damit hat sie kaum gerechnet. Noch viel weniger naheliegend war für sie, dass ihre breiten Forschungsinteressen vom Umgang mit Hate Speech bis hin zur Museumsforschung im Social-Media-Zeitalter passgenau in einer Professur aufgehen würden. Dr. Jennifer Eickelmann ist neue Juniorprofessorin für „Digitale Transformation in Kultur und Gesellschaft“ an der FernUniversität in Hagen. Angesiedelt ist die Professur am hochschulweiten Forschungsschwerpunkt digitale_kultur und dort interdisziplinär ausgerichtet. Sie widmet sich aus kultur-, sozial- und medienwissenschaftlicher Perspektive den Wechselwirkungen von Medialität, Sozialität und Kultur, wobei Fragen nach Gender und Differenz einen roten Faden darstellen.

„Es sind viele Anknüpfungspunkte möglich und ich freue mich schon total darauf, sie mit Leben zu füllen, neue Projekte anzustoßen und über die Disziplinen hinweg zu arbeiten, denn das habe ich immer schon gerne gemacht.“

Jun.-Prof. Jennifer Eickelmann

Veranschaulichen lässt sich dieser Dreiklang an der aktuellen Debatte um die Twitter-Übernahme durch den Tech-Milliardär Elon Musk. „Hierbei geht es zunächst einmal um die Frage, wie Musk sich als Retter der Redefreiheit vermarktet, ungeachtet der Problematik, dass eine vollständig entfesselte Redefreiheit immer auch Diskriminierungen und digitale Gewalt befördert.“ Die Forscherin hebt weitere Facetten hervor: „Inwiefern werden in unserer Kultur digitale Plattformen und Öffentlichkeiten politisiert? Wo hört Meinungsfreiheit auf und wo fängt Hassrede an? In welcher Hinsicht können digitale Zeichen überhaupt Verletzungen hervorrufen?“ Jennifer Eickelmann hat den Anspruch, immer beide Seiten einer Medaille zu beleuchten. Sie sucht nicht nach normativen Eindeutigkeiten, ihr geht es vielmehr um die Diskurse und Kämpfe hierzu, wie sie geführt werden und welche Machtpositionen damit verhandelt werden. Immer wieder sensibilisiert die Forscherin für Transformationsprozesse: „Die Diskussionen zeigen, dass wir die Grenzen des Sagbaren im Internet neu verhandeln müssen.“

„Wer oder was ist hier eigentlich das Exponat?“

Um die Macht digitaler Zeichen geht es auch in ihrem zweiten Interessensgebiet – der Museumsforschung. Spannend ist für sie vor allem die Frage, wie der traditionelle Museumsbesuch in digitale Räume überführt wird. „Eines ist klar: Die physischen Mauern des Museums waren noch nie so durchlässig wie heute.“ Der TikTok-Auftritt der Uffizien in Florenz ist beispielhaft: „Wenn eine TikTok-Influencerin das Gemälde ‚Die Geburt der Venus‘ mit ihrem Körper repräsentiert, stellt sich nicht nur die Frage, wer hier eigentlich das Exponat ist, sondern auch, mithilfe welcher Normen und Stereotype Museen und Ausstellungen Sichtbarkeit im Netz erlangen“, gibt Eickelmann zu bedenken. „Unsere traditionelle Gegenüberstellung von Besucherschaft auf der einen Seite und Exponat auf der anderen Seite funktioniert in einem erlebnisorientierten Museumsbetrieb im digitalen Zeitalter nicht mehr. Hinzu kommt, dass Algorithmen mitkuratieren.“ Eine Herausforderung sieht sie in der Transformation historischer Begrifflichkeiten in einer digitalen Welt.

Acrylfarben auf der Leinwand

In ihrer Freizeit beschäftigt sich die 37-Jährige Dortmunderin gerne mit Materialien und Acrylfarben und widmet sich der Kreativität ganz ohne theoretischen Unterbau. „Einfach mal machen“, beschreibt sie ihre intuitive Herangehensweise. Wenn sie Acrylfarben auf eine Leinwand aufbringt, ist es der Zufall, der sie begeistert. „In dem Moment kann ich richtig abschalten und denke an nichts anderes.“ Im Gegensatz zum Wissenschaftsbetrieb, dessen Prozesse oftmals langwierig und mitunter sehr abstrakt sein können, gefällt es ihr, auch handwerklich tätig zu sein.

Abgesehen von dem bald farbenfrohen Büro findet man Jennifer Eickelmann am ehesten, wo es guten Kaffee gibt, „oder überhaupt Kaffee“, lacht sie. Besonders freut sie sich auf das Zusammenkommen im Café, das im Herbst die FernUni bereichern wird. Das ständige Gewusel auf dem Campus mit tausenden Studierenden, wie sie ihn in den vergangenen elf Jahren an der Nachbar-Uni in Dortmund erlebt hat, wird ihr am Anfang sicher noch manchmal fehlen, aber sie freut sich auf neue Formate für den Austausch.

FernUni bietet einmaliges Profil

An der dortigen Technischen Universität hatte sie von 2011 bis zu ihrem Ruf an die FernUni am Lehrstuhl für Soziologie unterschiedliche Positionen inne. Als Gleichstellungsbeauftragte engagierte sie sich zudem viele Jahre in der Gleichstellungsarbeit innerhalb der Fakultät und darüber hinaus. In verschiedenen Bereichen gleichzeitig aktiv zu sein, das ist für sie selbstverständlich. Ihr Studium an der Ruhr-Universität Bochum war mit den Fächerkombinationen Erziehungswissenschaft, Gender Studies, Sozialpsychologie und -anthropologie transdisziplinär ausgerichtet. An der RUB promovierte sie auch – im Fach Medienwissenschaft. In Hagen war es dann die Verzahnung, die sie dazu brachte, dem Ruf zu folgen. „An der FernUni laufen alle Stränge zusammen.“ Auch wenn sie nicht von Anfang an wusste, wo sie ihre verschiedenen Forschungsinteressen mal hinführen würden, kann Jennifer Eickelmann heute sagen: „Im Nachhinein macht alles einen Sinn.“

Als einmalig beschreibt sie das Profil der Juniorprofessur im Forschungsschwerpunkt digitale_kultur, die ihr weitere neue Perspektiven eröffnet. „Es sind viele Anknüpfungspunkte möglich und ich freue mich schon total darauf, sie mit Leben zu füllen, neue Projekte anzustoßen und über die Disziplinen hinweg zu arbeiten, denn das habe ich immer schon gerne gemacht.“

Das könnte Sie noch interessieren

Sarah Müller | 10.06.2022