Bildung legt Karrieren fest
Prof. Dr. Andreas Martin steht auf zwei Beinen in der Wissenschaft: an der FernUniversität in Hagen und am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE) in Bonn.
Der Bildungswissenschaftler leitet die Abteilung System und Politik am DIE und das neue Lehrgebiet „Bildungswissenschaft unter besonderer Berücksichtigung des Systems der Weiterbildung und seiner Adressat*innen” an der FernUniversität. Es ist die zweite Kooperationsprofessur zwischen der FernUniversität und dem DIE. Beide Institutionen haben sich dem Konzept des lebensbegleitenden Lernens verschrieben, zwischen beiden gibt es insbesondere in der Forschung viele Bezugspunkte.
Forschung zu wissenschaftlicher Weiterbildung intensivieren
Andreas Martin freut sich sehr auf die enge Zusammenarbeit zwischen der FernUniversität und dem Leibniz-Zentrum DIE. „Es gibt viele inhaltliche Überschneidungen. Für mich persönlich ist die wissenschaftliche Weiterbildung, wie sie an der FernUni angeboten wird, ein wertvoller erweiternder Aspekt meiner Forschung.“ Bisher liegt der Bereich der institutionellen wissenschaftlichen Weiterbildung relativ brach. Deshalb findet er zunächst wichtig, systemisch Daten zu sammeln.
Dafür wiederum arbeitet er mit der Deutschen Gesellschaft für Wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudium zusammen. „Empirisch gesehen ist die Grundgesamtheit in der wissenschaftlichen Weiterbildung noch recht undefiniert“, sagt Martin, der darüber hinaus auch Fragen nach der Wirksamkeit von Bildungsprozessen nachspürt. „Wo lernen Einzelne besser, in staatlich-organisierten Bildungsprozessen oder über nicht-formelle Bildungsprozesse – wie sie im Arbeits- und Berufsleben stattfinden?“
Teilhabe an Arbeit und Gesellschaft ermöglichen
Martin hat dabei vor allem die gesellschaftlichen Herausforderungen im Blick. Bereits 2001 hat etwa die EU das Konzept des lebenslangen Lernens als Memorandum verabschiedet. Seitdem hat die Digitalisierung als Beschleuniger gewirkt. „Schon seit langem hat der gesellschaftliche Wandel die natürliche Generationenfolge überholt. Es genügt längst nicht mehr, Lehrpläne in Schulen umzustellen. Menschen müssen sich in ihrer Biografie kontinuierlich weiterbilden. Sonst verlieren sie die Kompetenz zur Arbeits- und Gesellschaftsteilhabe. Der demografische Wandel lässt uns keine Alternative.“ Zudem gelte nach wie vor: „Bildung determiniert die Karriere. Nicht zuletzt, wenn ursprüngliche Ausbildungsberufe akademisiert werden.“
Der Empirischen Sozialforschung verschrieben
Andreas Martin hat schon immer Fragen gestellt: Er hat in Chemnitz Soziologie an der Technischen Universität studiert. „Ich habe bewusst eine mittelgroße Uni mit einem überschaubaren Campus gewählt“, erzählt Martin, der aus der Uckermark stammt. Genau so bewusst entscheid er sich für die Schwerpunkte Theorie moderner Gesellschaften und empirische Sozialforschung. „Ich wollte von Anfang an Wissenschaftler sein.“
Er blieb der Wissenschaft und Empirie treu, arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Cottbus-Senftenberg und wechselte von dort 2012 zum DIE nach Bonn: „Mich interessierten die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Personals in der Weiterbildung, da dieses als besonderes Beispiel für prekäre Lebens- und Erwerbssituationen gelten kann. Mich interessierte, welche Folgen das für die Kompetenzen und die professionelle Tätigkeitsausübung hat. Mit diesem Thema habe ich meine Tätigkeit im DIE begonnen und es begleitet mich bis heute“. Parallel promovierte er an der Jacobs Universität Bremen in Soziologie zu den bildungspolitischen Steuerungspotentialen im Mehrebenensystem der Weiterbildung.
Bei Andreas Martin dreht sich die Forschung um die empirischen Bildungsforschung zu den Themenfeldern Weiterbildungsangebot und Teilnahme im regionalen und internationalen Vergleich sowie dem Personal in der Weiterbildung. Gerade ist der Deutsche Weiterbildungsatlas erschienen, an dem er Mitautor ist. Der Weiterbildungsatlas erschließt das Weiterbildungsangebot und die -beteiligung auf der Ebene der Bundesländer sowie der Kreise und kreisfreien Städte. Dabei besteht der besondere Anspruch, die betrachteten Kreise und kreisfreien Städte trotz der sehr unterschiedlichen Bevölkerungs-, Wirtschafts- und Siedlungsstrukturen miteinander vergleichbar zu machen.
Impulse für politische Entscheidungen
„Die Ergebnisse sind nicht unproblematisch“, sagt Martin – insbesondere für die Kommunen, die schlecht abschneiden. Allerdings stecken in den Daten auch Ansätze, aus denen sich Empfehlungen ableiten lassen. „Das ist bildungspolitisches Steuerungspotenzial.“ Gemeinsam mit den Mitautoren laden Kommunen Martin ein und erarbeiten Lösungsstrategien. Zwischen den Kommunen herrschen unterschiedliche Voraussetzungen: Im Süden Deutschlands mit vielen finanzstarken Regionen gibt es mehr Angebote und eine höhere Beteiligung an Weiterbildung als in wirtschaftlich schwächeren Regionen.
Über die Leibniz-Gesellschaft fließen Ergebnisse des Weiterbildungsatlas in die Politik auf Landes- und Bundesebene ein. „Der Wunsch, Probleme zu beheben, besteht auf allen Ebenen.“ Unabhängig von (sozio-)ökonomischen Rahmenbedingungen in Kommunen, Regionen und Ländern identifiziert Andreas Martin generelle Handlungsmöglichkeiten: „Es hilft immer, wenn sich Weiterbildungsanbieter vernetzen oder eine Stelle das Angebot bündelt. Auch eine zielgruppenadäquate Ansprache sowie Information, Beratung und Transparenz sind zielführend.“