Filme zum Fest: Da steckt mehr drin als gedacht

Weihnachtsfilme gelten vielen als festliches Ritual. Wie facettenreich sie oft sind, verdeutlicht ein Projekt unter Beteiligung der FernUni-Forschungsgruppe „Gender Politics“.


Frau sitzt lachend auf Sofa mit TV-Bedienung Foto: LordHenriVoto/E+/GettyImages
Spaß am Schreck: Zum weiten Feld der Weihnachtsfilme zählen nicht nur Komödien, sondern zum Beispiel auch Horrorfilme.

Weihnachtsfilme: Sie gehören für viele zur besinnlichen Jahreszeit dazu wie Tannenbaum und Plätzchen. Alljährlich versammeln sich Jung und Alt vor den Bildschirmen, um sich zum Beispiel Drei Haselnüsse für Aschenbrödel, Der kleine Lord oder Stirb Langsam anzuschauen. Im Ruf, besonders vielschichtig und komplex zu sein, stehen die Streifen dabei trotz ihrer großen Beliebtheit nicht. Meist gelten sie als leichte Unterhaltungskost, manchmal auch als ideologisch verklärt. Wieviel das Genre jedoch zu bieten hat, zeigten jetzt ein Workshop, ein Seminar und eine Vortragsreihe mit dem Titel „Weihnachtsfilme lesen“. Hierfür arbeiteten die Forschungsgruppe „Gender Politics“ der FernUniversität in Hagen und das Centrum für Postcolonial und Gender Studies (CePoG) der Universität Trier zusammen.

„Es geht gerade nicht darum, immer nur zu sagen: ‚Ach, das sind ja alles nur kitschige Stereotype!‘“, betont Dr. Irmtraud Hnilica aus der Forschungsgruppe „Gender Politics. „Im Gegenteil: Unsere Zielsetzung war es, zu zeigen, wie komplex diese Weihnachtsfilme eigentlich sind.“ Die Analyse rund um die kulturwissenschaftlichen Begriffe „Genre, Gender und Race“ holt viele ab. „Das Seminar ist sehr gut angekommen“, berichtet Jun.-Prof. Dr. Irina Gradinari, die die Forschungsgruppe leitet. „Über 50 Fernstudierende haben teilgenommen.“ Auch zu Online-Vorträgen und Workshop schalteten sich jeweils über 100 Personen zu.

Finaler Teil der Vortragreihe

Am Dienstag, 14. Dezember, findet der letzte Teil der Vortragsreihe „Weihnachtsfilme lesen“ statt. Prof. Dr. Andrea Geier von der Universität Trier untersucht darin den Klassiker „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ von 1973. Ihr Online-Vortrag „Märchenhafte Ordnungen in Drei Haselnüsse für Aschenbrödel (race, class, gender)“ startet um 18 Uhr. Interessierte sind herzlich willkommen. Anmeldungen bis spätestens einen Tag vorher an: cepog@uni-trier.de

Spontane Idee mit großer Wirkung


So groß der Erfolg, so spontan war die Ursprungsidee: „Ich habe mich mit meiner Kollegin Professorin Andrea Geier von der Uni Tier über Drei Haselnüsse für Aschenbrödel unterhalten“, verrät Irmtraud Hnilica. „Darüber sind wir noch auf andere Weihnachtsfilme gekommen, die aus wissenschaftlicher Sicht interessant sind. Wir haben dann ganz locker bei Twitter herumgefragt, wer noch Lust hätte, sich mit dem Thema zu beschäftigten.“ Die Resonanz aus der Scientific Community war überwältigend. „Schnell wurde klar: Wir bekommen genug tolle Beiträge für eine Tagung und eine Vortragsreihe zusammen.“ Hnilica hat allerdings in diesem Semester eine Vertretungsprofessur an der Ludwig-Maximilians-Universität München inne. Deshalb freut es sie, dass sie Jun.-Prof. Gradinari für das Vorhaben gewinnen konnte (Literatur- und medienwissenschaftliche Genderforschung). Die Wissenschaftlerin gestaltete mit Andrea Geier das Online-Seminar, an dem größtenteils Studierende aus Hagen und auch einige aus Trier teilnahmen. „Die Erfahrung war super – unsere Studierenden sind einfach cool“, freut sich Gradinari über das große Engagement.

Kultig und klug

Das Spektrum der analysierten Filme ist groß und reicht von den 1950er-Jahren bis heute. Besonders anschlussfähig war das Thema wohl auch, weil die meisten Produktionen sehr bekannt sind. Hnilica selbst untersuchte beim Workshop zum Beispiel Original und Neuauflage von Das Wunder von Manhattan (1947, 1994). In beiden Filmen dreht sich der Plot darum, dass Männer in ihrer sozialen Rolle anerkannt werden wollen: Einmal als Santa Claus, ein anderes Mal als engagierter Vater einer Patchworkfamilie. „Durch die Parallelisierung der Vater- mit der Weihnachtsmannfigur erzählt uns der Film, dass unsere Identität Rollenspiel ist. Ob wir jemanden als Partner, Vater oder eben Santa Claus akzeptieren, hängt davon ab, wie gut diese Rolle verkörpert wird – und ob die anderen das Rollenspiel mitspielen“, erklärt Hnilica. Die filmische Message: Rollenmuster sind nicht angeboren, sondern konstruiert. „Das biologische Phantasma wird damit durchschaubar.“ Ähnlich verhält es sich mit der weiblichen Hauptfigur aus Drei Haselnüsse für Aschenbrödel, die selbstbewusst in Jagdkleidung aufritt und dem Prinzen ihr Geschick mit der Armbrust beweist.

Frau sitzt nachdenklich am Fenster Foto: GizemBDR/E+/GettyImages
Nicht nur heile Welt: Oft greifen Weihnachtsfilme gesellschaftliche Probleme oder Sehnsüchte auf, die sich in der vermeintlich „besinnlichen Zeit“ kristallisieren.

Traditionen abseits des Mainstreams

So versöhnlich geben sich Weihnachtsfilme aber nicht immer. Neben Familienkomödien gibt es zum Beispiel auch Horrorweihnachtsfilme. Das zeigte Irina Gradinari in ihrem Workshop-Beitrag auf, in dem es um Slasher-Filme ging: Blutige Streifen, in denen das Fest in Chaos und Gewalt versinkt. Exemplarisch dafür steht etwa der Stoff von Black Christmas, der ursprünglich 1974 produziert und mehrfach neuaufgelegt wurde – zuletzt 2019. Collegestudentinnen werden hier von einem Psycho-Killer in ihrem Wohnheim hingerichtet. „Diese Filme waren früher sehr brutal, aber dafür abstrakt, die Gewalt stand eigentlich für etwas anderes. Daher wurden die Filme von der Wissenschaft psychoanalytisch gelesen“, ordnet Gradinari ein. Wo früher etwa verdrängte Gefühle wie Einsamkeit oder familiäre Entwurzelung zentral waren, verhandeln die Filme heute auch Fragen sozialstruktureller Ungleichheit. „Heute sind die Slasher-Filme zwar weniger gewalttätig, dafür aber mit Blick auf den Aspekt ‚race‘ politischer geworden. Der Darstellungsmodus hat sich also geändert.“

Thema birgt noch viel Potenzial

Das weihnachtliche Sujet begleitet das Forschungsteam weiterhin. Ein Sammelband, der Weihnachtsfilme unter den Gesichtspunkten Genre, Gender und Race unter die Lupe nimmt, ist bereits geplant. Auch eine Neuauflage des erfolgreichen Seminar-Angebots für FernUni-Studierende schließen die Wissenschaftlerinnen für 2022 nicht aus. „Wir sind überrascht davon, wie viel kulturwissenschaftliches Erkenntnispotenzial hier noch liegt“, fasst Irmtraud Hnilica zusammen. „Das Thema hat uns gepackt!“

 

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Benedikt Reuse | 10.12.2021