Soziologie für alle
Franka Schäfer versöhnt Schreibtisch- mit Feldforschung, arbeitet theoretisch aber lebensnah und eng am Alltag der Menschen. Jetzt hat sie sich an der FernUniversität habilitiert.
Verschiedene soziologische Denkrichtungen miteinander in Einklang bringen: Dieses Ziel verfolgte Privatdozentin Dr. Franka Schäfer mit ihrem Habilitationsvorhaben, das sie jetzt an der FernUniversität in Hagen abgeschlossen hat. „Es ging darum, Diskurs- und Praxistheorien, die in der Soziologie nebeneinanderherlaufen miteinander zu verknüpfen.“ Sie schlägt ein neues Bindeglied vor: „Wir sollten weder vom Diskurs noch von einzelnen Praktiken aus denken, sondern von Ereignissen.“ Sie stehen an erster Stelle; die beiden Theorien fungieren anschließend als Werkzeugkoffer, aus denen sich die Forschenden methodisch bedienen können – sei es mit Blick auf Diskurse, Körper oder Dinge als Dimensionen sozialer Praktiken. Ihren offenen, neuen Ansatz erprobte Schäfer unter anderem am Beispiel verschiedener Ereignisse der modernen Protestkultur, wie etwa widerständigen Praktiken im Zuge des Chicago Festival of Life von 1968.
Für ihre langjährige Forschungsarbeit verlieh ihr Prof. Dr. Jürgen G. Nagel, Dekan der Fakultät für Kultur und Sozialwissenschaften (KSW), nun die Venia Legendi für Soziologie. 2012 hatte die Wissenschaftlerin ein Habilitationsstipendium in Hagen erhalten. Bis 2019 arbeitete sie zudem im Lehrgebiet Soziologie I, Allgemeine Soziologie und Soziologische Theorie (Prof. Dr. Frank Hillebrandt), inzwischen ist sie am Seminar für Sozialwissenschaften an der Universität Siegen tätig. „Der FernUni bleibe ich aber kollegial verbunden“, so Schäfer.
Wissenschaft öffentlich machen
Das inhaltliche Interesse für Protest und Wandel verbindet sie weiterhin mit ihrem alten Lehrgebiet und es passt zu Franka Schäfers Selbstverständnis: Sie möchte „öffentliche Soziologie“ betreiben, statt sich in der akademischen Komfortzone einzumauern, Erkenntnisse aktiv in die Gesellschaft tragen. So begleitete sie 2018 zum Beispiel als Teil eines Forschungsteams um Prof. Hillebrandt die erfolgreiche Ausstellung „Komm nach Hagen, werde Popstar!“. Das innovative Ausstellungskonzept spiegelte gleichsam den multimethodischen Ansatz der Soziologin wider: Die gesellschaftliche Relevanz der Neuen Deutschen Welle für Hagen wird anhand von historischen und biografischen Fakten, Zeitzeugnissen in Bild, Text und Ton aufgebarbeitet – aber auch mithilfe von Gegenständen: ausgeblichenen Shirts, vergilbten Plattencovern, verschrammten Gitarren und abgewetzten Kneipentresen.
Alltägliches als Datenschatz
Aus Sicht der Forscherin sind solche „Artefakte“ wichtige Quellen. Gerade ganz alltägliche Dinge bergen Infos über ihre Nutzenden und die Gesellschaft, in der sie leb(t)en: „Ich mache mit meinen Studierenden oft Artefakt-Analysen, in denen sie zum Beispiel ihre Geldbeutel untersuchen sollen“, sagt Schäfer. Stelle man praxissoziologische Fragen, verrate selbst ein kleines Portmonee viel über soziale Ordnung: „Wie viel Geld ist überhaupt darin? Welche Form, Farbe und Materialien hat es? Was sind noch für Dinge darin – etwa eine Krankenversicherungskarte oder Erinnerungsstücke? Wie sah der Herstellungsprozess aus? Gibt es Gebrauchsspuren? Was machen Menschen noch mit ihrem Portmonee, außer damit zu bezahlen? Welche Körper, Dinge und Diskurse bringt genau dieser Geldbeutel wann und wie zusammen?“
Austausch statt Neukauf
Materielle und stoffliche Aspekte interessieren Franka Schäfer noch in anderer Hinsicht. Mit ihrer lebensnahen Forschung setzt sich zum Beispiel für mehr Nachhaltigkeit ein und dockte bewusst auch in ihrem Habilitationsvortrag an politische und gesellschaftliche Prozesse an: „An das Thema kann man praxistheoretisch rangehen, indem man schaut, wie sich die Transformation in eine Post-Wachstumsgesellschaft vollzieht – und welche Widerstände und Hürden es dabei gibt.“ In einem aktuellen Projekt untersucht sie etwa, inwiefern digitale Tools Menschen dazu animieren, Gebrauchsgegenstände untereinander zu tauschen anstatt neu zu kaufen. „Wir arbeiten auch mit der Zivilgesellschaft daran, ein Ressourcenzentrum in Siegen aufzubauen, um andere Versorgungspraktiken und Formen des Wirtschaftens zu finden: zum Beispiel durch Reparieren, Tauschen und Teilen.“
Bildungspolitisches Engagement
Bezogen auf ihr Forschungsfeld ist der Soziologin wichtig, vor der eigenen Haustür zu kehren. Auch Bildungsprozesse sollten gerechter, nachhaltiger und partizipativer werden: „Die Wissenschaft muss mit ihren Erkenntnissen nicht nur anstoßen, dass sich die Gesellschaft transformiert, sondern sich auch selbst transformieren.“ Als Beispiel nennt sie ökonomische Zwänge im deutschen, akademischen Mittelbau, die einerseits der Forschungsfreiheit, andererseits einer breitenwirksamen Öffnung des Wissenschaftsbetriebs im Weg ständen. Befristungen, Drittmittelabhängigkeit und Publikationswettbewerb erschwerten vielen Forschenden ohne Professur den Blick zur Seite. „Hier müsste der Druck raus, sodass ich leichter sagen kann: Selbst, wenn ich dafür jetzt keine wissenschaftlichen Credits kriege, mache ich mal ein paar Vorträge an der Volkshochschule oder Workshops mit Nichtregierungsorganisationen.“
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