Man sieht sich immer mehrmals

Wie beeinflusst die Erfahrung mit einem Menschen nachfolgende Kontakte? Das legt eine neue psychologische Studie dar. Hauptautorin ist FernUni-Forscherin Sarina Schäfer.


Nachbarn streiten über den Zaun hinweg Foto: shironosov/iStock/Getty Images
Beim Kontakt mit anderen kommt es darauf an, welche Erfahrungen bisher mit ihnen gemacht wurden.

Der neue Nachbar lächelt und grüßt freundlich. Aber Moment! Trägt der nicht das gleiche Bandshirt wie der Typ, der sich gestern an der Kasse vorgedrängelt hat? Ob das vielleicht alle solche Rowdys sind? Selten fußt die Haltung gegenüber anderen sozialen Gruppen nur auf der gesonderten Erfahrung mit einer Person. Vielmehr handelt es sich um ein kompliziertes Geflecht aus Erfahrungen und deren dynamischen Effekten. Ihr Zusammenspiel analysiert jetzt eine neue Studie. Hauptautorin ist Dr. Sarina Schäfer von der FernUniversität in Hagen. Insgesamt bestand das Forschungsteam aus zehn Wissenschaftler:innen, darunter auch Prof. Dr. Oliver Christ, Leiter des Lehrgebiets Psychologische Methodenlehre und Evaluation, in dem Sarina Schäfer tätig ist. Die Studie ist in der renommierten Fachzeitschrift Journal of Personality and Social Psychology erschienen. Maßstäbe setzt vor allem ihre neuartige Herangehensweise.

„Der Startpunkt unserer Überlegungen war, dass die Wirkung positiver und negativer Intergruppenkontakte nicht unabhängig voneinander ist“, erklärt Schäfer. „Wir nehmen an: Wenn ich in der Vergangenheit zum Beispiel negativen Kontakt zu einer Person hatte, beeinflusst das den Kontakt, den ich anschließend zu anderen Personen ihrer Gruppe habe.“ Dieser Effekt wurde aus Sicht des Forschungsteams bisher zu wenig berücksichtigt. Zu tun hat das auch mit der üblichen Methode in der Psychologie, um Kontaktverhalten zu untersuchen: „Eine typische Frage an Studienteilnehmende zum Thema wäre etwa: ‚Wie häufig hattest du im Durchschnitt positiven Kontakt mit Gruppe xy?‘“

Wer misstraut, verliert Geld

Nur auf die Erinnerung der Befragten zu bauen, greift jedoch zu kurz, so Schäfer. „Um die tatsächliche Komplexität im Alltag besser repräsentieren zu können, haben wir das Setting eines ‚behavioral game‘ gewählt.“ Das Team führte zwei getrennte Versuche durch. Zum einen mit 116 Teilnehmenden im niederländischen Utrecht, zum anderen mit 89 FernUni-Studierenden in Präsenzseminaren. In ihrem Versuchsaufbau lehnten sich die Forschenden dabei an die spieltheoretische Situation des Gefangenendilemmas an. Zwei Insassen entgehen hier nur dann einer harten Bestrafung, wenn sie, statt sich gegenseitig anzuschwärzen, auf die Kooperationsbereitschaft des jeweils anderen setzen.

Foto: Hardy Welsch
Sarina Schäfer

„In unserem Spiel bekamen beide Personen jeweils zehn Taler“, erklärt Schäfer. Das Spielgeld wurde jedoch nach Versuchsende gegen einen echten Betrag eingetauscht. Alle Beträge, die verschickt wurden, verdoppelte die Spielleitung. In bis zu 23 Spielrunden und wechselnder Gruppenkonstellation schoben sich die Teilnehmenden nun gegenseitig bestimmte Summen ihres Geldvorrats zu. Die Forschenden ließen dabei bewusst verschiedene soziale Gruppen miteinander spielen: Ältere und jüngere, niederländische und internationale Studierende. Die Versuchspersonen wussten darüber Bescheid. Am meisten bare Münze holten die Spielenden für sich selbst heraus, wenn sie nicht zusammenarbeiteten und ihr Geld für sich behielten. Ihre Gruppen hingegen profitierten am meisten, wenn sich durch Kooperation über die Runden hinweg ein Vertrauensverhältnis aufbaute.

Soziales Zugehörigkeitsgefühl wichtig

Die Simulation erzeugte durchaus authentische Gefühle; bisweilen konnten die Testpersonen ihre Frustration nicht mehr verbergen. „Es wurde ganz schön emotional“, erinnert sich Schäfer. „Teils saßen die Leute an ihren Computern und fluchten. Manche haben im Nachhinein geschimpft: ‚Das kann doch nicht sein! Wer hat hier nichts geschickt?‘“ Das soziale Zugehörigkeitsgefühl spielte eine wichtige Rolle: „Wir haben wie erwartet einen Ingroup-Bias festgestellt: Personen haben der eigenen Gruppe eher Geld geschickt als der Fremdgruppe.“

Über 4000 messbare Interaktionen

Die innovative Methode der Arbeit führte zu einer besonderen Datentiefe. In den zwei Versuchen fanden insgesamt über 4000 messbare Interaktionen statt – allesamt als Kontakterfahrungen auswertbar: „Wir haben in jeder Runde die Erwartung gemessen: Was schickt dir dein Gegenüber? Zusammen mit dem tatsächlichen Verhalten der Personen haben wir somit ein sehr komplexes Datenmuster erhalten.“ Dabei zeigte sich: Schlechte Erfahrungen mit einer Fremdgruppe führen dazu, dass spätere Erfahrungen mit ihr weniger einflussreich sind. Demnach können negative Vorerfahrungen auch spätere positive Erfahrungen überblenden. Anders bei der Eigengruppe: Hier hatten die Vorerfahrungen keinen Einfluss auf die Effekte späterer Erfahrungen. „Die Vorerfahrungen scheinen also relevanter für Fremdgruppen- als für Eigengruppen-Interaktionen zu sein“, fasst Schäfer zusammen.

Ist der Ruf erst ruiniert

Ursachen hierfür vermutet die Psychologin etwa im höheren Grundvertrauen gegenüber der Eigengruppe. Zudem gibt es einen Effekt, der die Fremdgruppe homogener erscheinen lässt. Schlechte Erfahrung mit einem Mitglied reißt somit leichter den Gesamteindruck herunter. „In einem angewandten Kontext ist zum Beispiel auch die Rolle der Medien sehr interessant“, schlägt Schäfer eine Brücke zum Alltag. Eine Person, deren Gruppe in den Nachrichten oft schlecht wegkommt, hat bei einer Kontakterfahrung per se einen schlechteren Stand beim Gegenüber. Weniger negative Schlagzeilen über Individuen aus fremden Gruppen könnten so umgekehrt zu mehr gesellschaftlichem Zusammenhalt und Vertrauen beitragen.

Die Studie

Schäfer, S. J., Simsek, M., Jaspers, E., Kros, M., Hewstone, M., Schmid, K., Fell, B. F., Dorrough, A. R., Glöckner, A., & Christ, O. (2021). Dynamic contact effects: Individuals’ positive and negative contact history influences intergroup contact effects in a behavioral game. Journal of Personality and Social Psychology. Advance online publication. https://doi.org/10.1037/pspi0000374

Den wissenschaftlichen Rahmen bildete das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt „Positive-negative asymmetry of intergroup contact: A dynamic approach”. Weitere Infos

 
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