Warum werden Warnungen missachtet?
Menschen verstehen Warnungen oft nicht, beziehen sie nicht auf sich oder schätzen Risiken falsch ein. Das ist ein Thema des Lehrgebiets Medienpsychologie der FernUniversität.
„Was uns erstrebenswert erscheint, halten wir für wahrscheinlicher als das, was wir nicht wollen“, sagt Prof. Dr. Aileen Oeberst, Medienpsychologin an der FernUniversität in Hagen. Daher werden Gefahrenhinweise hinsichtlich Krankheiten, Katastrophen oder Unfällen oft ignoriert, vom Warnschild bis hin zur App und zur Sirene. So bleiben auch wichtige Gefahrenhinweise in normalen Informationen unbeachtet – vielleicht auch, weil man sie nicht so leicht versteht und erkennt.
Ob man einer offensichtlichen Warnung folgt oder nicht, ist also häufig eine Frage der Abwägung. Sie zu missachten kann einen kurzfristigen, unmittelbaren Gewinn versprechen, etwa ein Ziel schneller zu erreichen, wenn man die Sperrung eines Weges ignoriert. Demgegenüber steht das Risiko, sich zu gefährden oder erwischt zu werden und eine Strafe zu erhalten. Prof. Aileen Oeberst: „Wenn der Nutzen die Kosten überwiegt, ignorieren wir gerne das Risiko.“
Das gilt zum Beispiel auch in der Kriminalität. Hier kommt Aileen Oeberst auf die Rechtspsychologie, einen ihrer Schwerpunkte, zu sprechen: „Die in einem Gesetz angedrohte Strafhöhe ist ja auch eine Warnung; schreckt aber beispielsweise auch nicht alle davon ab, einen Raub zu begehen.“ Häufig sind die Täterinnen und Täter davon überzeugt, nicht erwischt zu werden.
Hochwasser wurde vielfach angekündigt
Bei dem unter anderem in Wetterberichten vielfach angekündigten Hochwasser Mitte Juli 2021 bezogen viele Menschen die Warnungen nicht auf sich, nahmen sie nicht ernst oder verstanden die Tragweite nicht: Bis zu 200 Liter Wasser pro Quadratmeter – was heißt das eigentlich? Zudem waren die Warnungen nicht ortsgenau genug. Grundsätzlich gilt dies auch für Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, die für die Weitergabe von Warnmeldungen und für das Auslösen von Alarmen verantwortlich sind.
Auch vor Pandemien wird schon lange gewarnt. Fachleute erwarteten schon seit Jahrzehnten weitere Zoonosen (wie es auch die Spanische Grippe war), bei denen Erreger von Tieren auf Menschen überspringen. Die Pest sucht sich mindestens seit der Steinzeit ihre Opfer. Der „Schwarze Tod“, der im 14. Jahrhundert Europa verheerte, hat sich bis heute tief ins kollektive Bewusstsein eingegraben. Doch wer bezog die Warnungen auf sich selbst?
Vertrauen in Warnungen schwindet durch Fehler
Um die Relevanz einer Warnung für sich selbst abschätzen zu können, muss man möglichst genau wissen, was wo wann passieren soll. „Wettervorhersagen sind außerordentlich komplex, daher kommt es häufig zu Fehlmeldungen“, erläutert Marcel Meuer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am FernUni-Lehrgebiet Medienpsychologie, den Cry-Wolf-Effekt: „Das Vertrauen in das Vorhersagesystem schwindet dadurch.“ Aileen Oeberst dazu: „Weil ja meistens nichts passiert, meint man beispielsweise auch bei einem schweren Unwetter, dass man im Haus bleiben kann.“
„Oder man beruhigt sich selbst, indem man die Warnungen teilweise befolgt“, erläutert Marcel Meuer bekannte Mechanismen. „Man schaut im Keller ‚mal nach dem Rechten‘ oder stapelt Sandsäcke um die Haustür herum auf.“
Verzerrter Blick zurück
Ist dann doch etwas passiert, verändert sich beim „Blick zurück“ die Erinnerung daran, wie man die Ereignisse vor ihrem Eintritt eingeschätzt hatte. Interessanterweise tritt der „Rückschaufehler“ weniger bei Geschädigten auf als vielmehr bei nicht selbst Betroffenen, die eigentlich viel objektiver urteilen können müssten. Doch diese sagen dann gerne: „Das hättet ihr doch wissen müssen! Damit machen sie die Welt für sich selbst verständlich und geordnet“, so Oeberst.
Meuer ergänzt: Um zu untermauern, warum ein Ergebnis „vorhersehbar“ war, erinnert man sich vor allem an diejenigen eigenen vorherigen Argumente, die nun zu dem Ergebnis passen. Im Rückblick erscheint dann alles sonnenklar gewesen zu sein. In anderen Bereichen, zum Beispiel der Politik, ist es ähnlich: Kurz nach Bekanntgabe eines Wahlergebnisses haben viele „bereits vorher gewusst, warum es so kommen“ würde.
Hinsichtlich der Extremregenfälle war die Einordnung der Warnungen jedoch noch viel schwieriger: Würde es überhaupt Hochwasser geben? Und wo? „Eine Flut hat viele Ursachen“, so Meuer. Daher sind Prognosen vor allem bei komplexen Phänomenen schwierig und mit Unsicherheit behaftet, was die Einordnung von Warnungen problematisch macht. Oeberst: „Rückblickend machen wir es uns aber einfach – und schauen nur noch selektiv auf das, was zum eingetretenen Ereignis passt.“ Dabei entstehen also „Rückschaufehler“.
Aus der Erfahrung für die Zukunft lernen
Auch wenn dieser unbewusste Mechanismus zu falschen Schlüssen führen kann, so hat er doch einen wichtigen Effekt: „Er hilft, aus der Erfahrung für die Zukunft zu lernen“, erläutert Meuer.
Ob man noch etwas aus seinem Fehlverhalten für später lernen kann, ist beim Rauchen ungewiss. Auf jeder Zigarettenpackung gibt es aufklärende Informationen und schockierende Fotos. Doch lassen sich viele nicht abschrecken, allen Statistiken zum Trotz. „Das wird mich schon nicht treffen“ oder „Ich bin noch jung, wer weiß, was in 50 Jahren passiert…“ etwa sind keine ungewöhnlichen Einstellungen. „Meine Oma hat immer stark geraucht und ist 98 Jahre alt geworden“, erläutert Oeberst eine der Strategien, um „kognitive Dissonanz“ zu reduzieren (bei der es um den Widerspruch zwischen eigenen Einstellungen und eigenem Verhalten oder zwischen zwei verschiedenen Einstellungen geht). Auch das sind Mechanismen, mit denen sich Rauchende die Gefahren schönreden. „Ich rauche, dafür ernähre ich mich gut und treibe Sport“ ist eine andere.
Kein generelles Warnrezept
Wie nun sollten Warnungen gestaltet werden, damit sie wahr- und ernstgenommen werden? Dafür gibt es kein generelles Rezept, zu unterschiedlich sind die Situationen, vor denen gewarnt werden muss.
Für Meuer sollte genau geprüft werden, ob die Schwelle für schwerwiegende Alarme vielleicht etwas angehoben wird, um falsche Alarme und damit den Cry-Wolf-Effekt zu vermeiden. Aber natürlich besteht dann die Gefahr, dass ein entscheidender Alarm nicht oder zu spät ausgelöst wird. Auf der anderen Seite hat Oeberst Verständnis für Kommunen, lieber zu viel zu warnen: Warnen sie nicht oder unzureichend vor Gefahren wie Steinschlag an einem Abhang, können sie in Regress genommen werden.
Für wichtig hält sie es, „so nah wie möglich“ an die Zielgruppen einer Warnung heranzukommen, auch an kleinere und individuelle: „Mit dem Hinweis, dass man durch Krebs die Zeugungsfähigkeit verliert, wird man wohl kaum einen 60-Jährigen erreichen – vielleicht aber einen jungen Mann.“ Auch durch die Priorisierung bei den Corona-Impfungen wurden nach ihren Worten bestimmten Personen- bzw. Risikogruppen die Gefahren besonders deutlich gemacht, die ihnen drohen.
Hinsichtlich Wetterwarnungen ist es für sie wichtig, die Präzision hinsichtlich der gefährdeten Bereiche zu verbessern. Auch eine möglichst direkte Ansprache, zusätzlich zu einer App (die nur ein Teil der Personen nutzen), könnte ihrer Aussage nach hilfreich sein, wie dies etwa gerade im Hinblick auf das Cell-Broadcasting per SMS diskutiert wird.
Gutes Beispiel statt erhobenem Zeigefinger
Sinnvoll sind auch niedrige Barrieren für das Befolgen von Warnungen, etwa durch Hinweise auf Umleitung bei Wegsperrungen. Zusätzliche Sicherungen können die „Erwartung eines unmittelbaren Gewinns“ vermindern, wenn man überlegt, den gesperrten Weg zu benutzen. Bei Hochwasserwarnungen sollten die Menschen zum Beispiel auch erfahren, wohin sie flüchten sollen.
Ein weiterer Nutzen könnte sich laut Oeberst aus guten Beispielen ergeben: „Menschen orientieren sich gerne an dem, was andere tun“, erklärt sie „informationalen Einfluss“. In eine ähnliche Richtung geht der „normative Einfluss“, ein (späterer) sozialer Druck: „Was denken andere, wenn ich mich so verhalte?“
Weniger zielführend sind dagegen Verbote: „Jemanden dazu zu bringen, etwas nicht zu machen, ist schwierig und aufwändig. Besser ist, Alternativen aufzuzeigen: Mach‘ das!“