Wie Erwachsene lernen
Prof. Hannes Schröter leitet seit 1. April das Lehrgebiet Kognition und Lernen Erwachsener an der Fakultät für Psychologie der FernUniversität.

Gleichzeitig leitet er die Abteilung Lehren, Lernen, Beraten am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen (DIE) in Bonn. Damit füllen die FernUniversität und das DIE eine Kooperationsvereinbarung mit Leben.
Aufgrund der zunehmenden Bedeutung des lebenslangen Lernens gibt es viele Bezugspunkte zwischen der FernUniversität und dem DIE. Hannes Schröter nennt sie „natürliche Andockpunkte“. Im Bereich der Forschung sieht der 47-Jährige eine hohe Anschlussfähigkeit an den fakultätsübergreifenden Forschungsschwerpunkt Digitalisierung, Diversität und Lebenslanges Lernen (D²L²) sowie innerhalb der Fakultät an den Forschungsschwerpunkt Psychologie digitalisierter Bildung.
Sprache ist der Schlüssel
Einen Schwerpunkt seiner Forschung am DIE bildet die sprachliche Bildung Erwachsener, insbesondere in den Bereichen Alphabetisierung und Deutsch als Zweitsprache. „Sprache ist der Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe und zum Erfolg in Bildung und Beruf. Angesichts der ansteigenden Heterogenität der Bevölkerung ist die Förderung sprachlicher Kompetenzen von besonderer Relevanz“, sagt Schröter.
„Gleichzeitig bietet die Digitalisierung, nicht nur im sprachlichen Grundbildungsbereich, neue Möglichkeiten zur effektiven Unterstützung von Lernenden und Lehrenden.“ Denn gerade im Bereich der Erwachsenen- und Weiterbildung weisen auch die Lehrkräfte heterogene Qualifizierungsprofile auf. „Gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern entwickeln wir innovative, wirksame und praxisgerechte digitale Medien zur Unterstützung von Lehr-/Lernprozessen“, skizziert Schröter, der seit 2016 am DIE arbeitet. „Dabei denken wir die praktischen Anforderungen von Beginn mit.“
Forschungsfragen interdisziplinär beantworten

An der Zusammenarbeit im Rahmen der Kooperationsprofessur, beispielsweise im Forschungsschwerpunkt D²L², reizt Schröter die interdisziplinäre Komponente. „Das hat in den vergangenen Jahren auch meine Arbeit am DIE geprägt. Die Forschungsfragen sind so komplex geworden, da braucht es die Expertise aus verschiedenen Disziplinen, um Antworten zu finden.“ Die Kunst sei, eine gemeinsame Sprache für die verschiedenen kooperierenden Fächer zu finden: Psychologie, Linguistik, Erziehungs- und Computerwissenschaften.
Es kommt ihm zugute, selbst ein wissenschaftlicher Grenzgänger zu sein. In seinem Psychologie-Studium an der TU Braunschweig wählte Schröter mit Allgemeiner und Kognitionspsychologie einen naturwissenschaftlich geprägten Schwerpunkt. Nach dem Abschluss des Studiums lernte er bei einem vom DAAD geförderten Forschungsaufenthalt in Neuseeland seinen späteren Doktorvater kennen, dem Schröter an die Universität Tübingen folgte. Dort promovierte und habilitierte er sich und wechselte nach einer Vertretung der Professur für Kognition und Wahrnehmung 2016 ans DIE.
„Bis dahin war ich es gewohnt, vorwiegend experimentelle Laborstudien durchzuführen, um sehr präzise kleine Effekte bei Prozessen der Wahrnehmung, Aufmerksamkeit oder Handlungsvorbereitung messen zu können“, beschreibt Schröter. Nun hatten sich Dimension und Bezug verändert. „Es ist ein langer Weg von der wissenschaftlichen Erkenntnis bis zur Umsetzung und Anwendung in der Bildungspraxis. Gleichzeitig eröffnet die Tätigkeit an einem Leibniz-Institut besondere Möglichkeiten für grundlagenbasierte und anwendungsrelevante Forschung.“
Entwicklung einer kompetenzadaptiven Suchmaschine
So entwickelt Schröter seit einigen Jahren in einem vom Bildungsministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt mit Kolleginnen und Kollegen der Erwachsenenbildung, der Computerlinguistik und der Fachdidaktik Deutsch die kompetenzadaptive, nutzerorientierte Suchmaschine für Sprachlerntexte (KANSAS). „KANSAS unterstützt Lehrkräfte aus den Bereichen Alphabetisierung und Deutsch als Zweitsprache bei der Auswahl geeigneter Unterrichtstexte im Internet und in elektronischen Korpora. Lerntexte sollen sowohl in Bezug auf die inhaltlichen Interessen als auch hinsichtlich des aktuellen Sprachstands der Lernenden angemessen sein“, erläutert Schröter. „Der Inhalt muss alltagsrelevant sein, damit die Lernenden einen Zugang finden und die notwendige Lesemotivation haben. Gleichzeitig muss das Sprachniveau der Texte den aktuellen Kompetenzen der Lernenden entsprechen.“ KANSAS kombiniert dazu eine klassische Inhaltssuche mit computerlinguistischen Analysen.
Dieser Forschungs- und Entwicklungsansatz lässt sich auf höhere sprachliche Kompetenzniveaus und andere Bildungsbereiche übertragen. So sollen im gemeinsamen Projektvorhaben Innovationscluster E-Assessment – Diversität, Didaktik, Technologien (NOVA:ea), an dem neben der FernUniversität und dem DIE die RWTH Aachen und die TH Köln beteiligt sind, unter anderem die sprachlichen Anforderungen von Prüfungsfragen analysiert und bei der diversitätsgerechten Gestaltung von Aufgabenformaten in E-Assessments berücksichtigt werden.
Ich interessiere mich für grundlegende Prozesse der menschlichen Informationsverarbeitung.
Prof. Hannes Schröter
Es geht um Adaptivität und Binnendifferenzierung. Sprachliche Hürden sollen so weit wie möglich abgebaut werden. „Internationale Vergleichsstudien zeigen, dass Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland in allen Bildungsbereichen und Altersbereichen stark benachteiligt sind“, so Schröter. „Wir wollen die Lehr-/Lernaktivität verbessern und dabei helfen, sprachliche Kompetenzen in der Bildungssprache Deutsch zu fördern.“
Technologie kann die Gestaltung von individuell-adaptiven Lehr-/Lernprozessen unterstützen. Eins ist für Schröter dabei zentral: das Primat des Pädagogischen. „Es kommt darauf an, dass wir digitale Medien theoretisch fundiert einsetzen, die Bedürfnisse von Lernenden und Lehrenden bei der Entwicklung berücksichtigen und die Wirkung in Interventions- und Implementationsstudien kritisch evaluieren.“
Weitere Forschungsschwerpunkte des Psychologen bilden kognitive Prozesse beim Lesen und die professionellen Kompetenzen von Sprachlehrkräften. „Darüber hinaus interessiere ich mich natürlich weiterhin für grundlegende Prozesse der menschlichen Informationsverarbeitung“, sagt Schröter, dessen weiteres Steckenpferd die Entwicklung und der Einsatz von Befragungstechniken bei sensiblen Themen ist.
Praxisbezug in der Lehre
Die Kooperationsprofessur erweitert auch das Angebot in der Lehre: So werden Abschlussarbeiten oder Praktika angeboten, die in laufende Forschungsstudien und Drittmittelprojekte am DIE eingebunden sind. „Hierdurch erhalten Studierende die Gelegenheit, anwendungsrelevante psychologische Fragestellungen in verschiedenen Bildungsbereichen zu untersuchen“, so Schröter. „Dafür stehen uns unterschiedliche Studienteilnehmende, von Lernenden über Lehrkräfte bis hin zum Leitungspersonal zu Verfügung sowie die Bandbreite quantitativer und qualitativer Forschungsmethoden.“
Über die wissenschaftliche Verbindung ergibt sich für Hannes Schröter, zwischen beiden Standorten zu pendeln: Bonn – Hagen. „Das ist gut zu bewältigen“, sagt der Psychologe mit Lebensmittelpunkt in Bonn. „Ich möchte feste Termine auf dem FernUni-Campus wahrnehmen: um mich sowohl mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen als auch für Studierende persönlich ansprechbar zu sein.“