Krank zur Arbeit: Auch im Profi-Fußball ein Problem
Krank zur Arbeit gehen hat nicht nur medizinische Folgen, sagt Hendrik Sonnabend von der FernUniversität. Er hat das Phänomen anhand von Daten aus dem Profi-Fußball untersucht.
Ein bisschen Kopfschmerzen, ein leichter Schnupfen, kaum geschlafen – an manchen Tagen möchte man am liebsten im Bett bleiben. Schon macht sich das schlechte Gewissen breit. War heute nicht der Termin mit der wichtigen Kundin? Zwei Kolleginnen sind schon im Urlaub, und was wird der Chef jetzt denken? Auch wenn es aus medizinischer Sicht vernünftiger wäre, sich zu schonen, krank zur Arbeit ist jeder schon mal gegangen. Präsentismus nennen Forschende das Phänomen, das selbst im Profi-Fußball verbreitet ist.
Dr. Hendrik Sonnabend von der FernUniversität in Hagen hat Präsentismus in Top-Ligen zusammen mit einem österreichischen Kollegen untersucht. Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftspolitik (Prof. Dr. Joachim Grosser) und sein Kollege Mario Lackner von der Universität Linz wollten wissen, wann Präsentismus auftritt und welche ökonomischen Folgen er haben kann. Dazu analysierten sie 180.000 Daten über Verletzungen und Fehlzeiten der ersten deutschen, spanischen und italienischen Liga im Männerfußball.
Workload als Treiber
Die Analyse ergab, dass der Effekt häufiger Spieler betrifft, die für ihr Team besonders wichtig sind. Fußball-Nationalspieler Thomas Müller ist ein gutes Beispiel. „Als Leistungsträger läuft er trotz Knieverletzung beim EM-Spiel gegen Ungarn auf, um sein Team zu unterstützen“, sagt Sonnabend und macht einen weiteren Treiber für Präsentismus aus: ein hohes Arbeitsaufkommen. „Es gibt in so ziemlich jedem Job Phasen, da ist so viel los, dass man nicht krank werden kann oder das Gefühl hat, es sich nicht leisten zu können. In einer Steuerberatung ist das kurz vor Jahresabschluss, im Fußball ist das – von internationalen Turnieren einmal abgesehen – besonders die zweite Hälfte einer Saison.“
Um diesen Zusammenhang messen zu können, haben die Forscher die Verletzungen und Ausfallzeiten der Spieler in den Hin- und Rückrunden der Jahre 2010 bis 2019 miteinander verglichen. Die Hinrunden sind mit einer überschaubaren Anzahl von Liga-Spielen vorhersehbar. Dagegen ist die Arbeitsbelastung in der zweiten, der heißen Phase einer Saison sehr viel höher. „Die Vereine können in den Pokalspielen, in internationalen Wettbewerben, weiterkommen. Sie absolvieren zusätzliche Spiele, es geht einfach um mehr“, erklärt Sonnabend. Für beide Phasen haben die Forscher Verletzungstypen identifiziert und gemessen, wie lange die Sportler jeweils ausgefallen sind. Die Ergebnisse sind eindeutig: „In der heißen Phase kehren Spieler der Teams mit den Extra-Spielen etwa nach einem Muskelfaserriss viel früher als erwartet aus ihrer Verletzungspause zurück. Wir sprechen hier von einem Unterschied zwischen sieben bis elf Prozentpunkten gegenüber der ruhigen Phase. Das ist schon sehr auffällig.“
Unterschätzte Folgen
Sonnabend will mit seiner Studie auch auf die Folgen von Präsentismus aufmerksam machen. Aus medizinischer Sicht sind es langfristige Erkrankungen, aus wirtschaftlicher Perspektive resultieren daraus höhere Kosten. „Unsere Untersuchung konnte zeigen, dass Fußballer, die zu früh zurückgekehrt sind, im Durchschnitt 27 Tage früher erneut ausfallen.“ Und das lässt sich auch auf andere Branchen übertragen.
Seine Forschungsergebnisse stellte Hendrik Sonnabend zuletzt beim „Reading Online Sport Economics Seminar“ (ROSES) vor. Hier geht es zum Vortrag
Der FernUni-Forscher geht davon aus, dass gerade die wirtschaftlichen Folgen unterschätzt werden. „Es kann durchaus sein, dass gute Performance in Unternehmen und Institutionen in bestimmten Phasen im Jahr wichtig ist, aber es kann eben auch sein, dass jemandem mit einer verschleppten Grippe zur Arbeit geht und mit einer Herzmuskelentzündung anschließend richtig lange ausfällt. Das müssen sich Arbeitgeber einfach bewusstmachen.“ Hätte sich Thomas Müller also mehr Zeit nehmen sollen, seine Verletzung auszukurieren? „Höchstwahrscheinlich hätte er das sogar getan“, sagt Hendrik Sonnabend, „wenn nicht gerade Fußball-Europameisterschaft wäre.“
Die Studie wurden bei „Economica“, dem renommierten Journal der London School of Economics (LSE) veröffentlicht.