Uneindeutigkeit – präzise inszeniert
Antke Engel hat im Zuge einer FernUni-Gastprofessur besondere Lehrvideos zur Queer Theorie produziert. Sie regen auf künstlerische Weise zum Nachdenken über Macht und Begehren an.
Menschen unterscheiden sich, haben ihre eigenen Identitäten und Persönlichkeiten, die sich schlecht in vorgefertigte Formen pressen lassen. Mediale Darstellungen sollten deshalb einen Bogen um Stereotype, Diskriminierung und starre Hierarchien machen. Aus Sicht von Dr. Antke Antek Engel, Gastprofessor*in an der FernUniversität in Hagen, gilt das auch für akademische Lehrvideos. Im gastgebenden Lehrgebiet „Bildung und Differenz“ (Professorin Dr. Katharina Walgenbach) probiert sie daher ein ganz neues Format aus: In Kollaboration mit den Filmemacher*innen Tali Tiller und Magda Wystub sind drei Lehrfilme entstanden, die auf künstlerische Weise in die Queer Theorie einführen – inklusive surrealem Dekor, experimentellem Sound und phantasievollen Kostümen. Die wissenschaftliche Botschaft verkörpern die Darstellenden dabei im Wortsinn, indem sie weder eindeutig als Menschen oder Tiere noch als Maschinen zu erkennen sind.
Antke Engel leitet das deutschlandweit einzige Institut für Queer Theory in Berlin. Intellektuelle Reibungsfläche zu schaffen, ist seit vielen Jahren ein Ziel de* Wissenschaftler*in. So auch mit den an der FernUniversität produzierten Videos: „Sie sollen Lust auf Komplexität, Konfusion und Konflikt machen!“ Die Mehrdeutigkeit bricht dabei auch bewusst mit althergebrachten wissenschaftlichen Denkmustern. „Wir haben in unserem kulturellen Kontext gelernt, in Entweder-Oder-Logiken, in Abgrenzungen zu denken“, erklärt Antke Engel. Das zu hinterfragen sei eine wichtige Aufgabe der Queer Theorie. Sie liefere damit eine spezielle Form des Differenzdenkens – und letztlich auch der Herrschaftskritik. Denn am Ende sei menschliches Begehren auch immer mit Machtfragen verwoben.
Einführung in die Disziplin
Hier setzen die Videos inhaltlich an: Unter den Titeln „Körper“, „Figurationen“ und „Welten“ geben sie Einblicke in wichtige Themen der Queer Theorie wie Geschlechtersozialisation, Sprache und Repräsentation oder Ungleichheitsverhältnisse. Trotz des freien künstlerischen Ansatzes sind die Videos gespickt mit wissenschaftlichen Zitaten, Begriffen und Konzepten, die für alle relevant sind, die tiefer in die Queer Studies eintauchen möchten. Der Bogen spannt sich dabei vom „doing sex_gender“ über die Kritik an Hetero- und Homonormativität bis hin zu Technowissenschaften.
Eine übergreifende Klammer besteht für Engel darin, Uneindeutigkeiten und Veränderlichkeit zu akzeptieren. Sie tilgen zu wollen, führt in die Irre. Das gilt für die große Politik genauso wie für grammatische Details der Sprache: „Es wird immer eine Spannung geben zwischen einem Ideal der Gleichheit und der Anerkennung von Besonderheit.“ Allerdings könnten aus Konflikten, wenn sie erstmal offengelegt sind, auch neue Verbindungen entstehen.
Wissenschaft trifft Kunst
Die Videos entstanden unter gemeinsamer Regie de* Gastprofessor*in und des Kollektivs Filmfetch, bestehend aus Tali Tiller und Magda Wystub. Engel holte die Berliner Filmemacher*innen mit ins Boot, um einen frischen Blickwinkel auf das Thema zu eröffnen: „Filmfetch war genau das Team, das ich brauchte, um meine sehr theoretische philosophische Herangehensweise in visuelle Formate zu übersetzen.“ Rund ein Jahr dauerte die Arbeit am visuellen Konzept und Script der Lehrvideos, bevor es schließlich in den Dreh mit dem Zentrum für Medien IT der FernUniversität ging.
Währenddessen gelang es Engel, weitere Kreative für das Projekt zu gewinnen. So unterlegte das Sound-Duo HYENAZ (Kathryn Fischer und Adrienne Teicher) die Filme mit ihrer Audiokunst. Saboura Naqshband, Pasquale Virginie Rotter und Neo Hülcker sowie Jayrôme C. Robinet performten in Kostümen, in die Kallia Kefala ihre kreative Expertise steckte. Gabi Garland gestaltete das Bühnenbild.
Filme öffentlich zugänglich
Der Schulterschluss von Wissenschaft und Kunst liegt für Engel auf der Hand: „Es gibt kein was ohne das wie. Was wir ausdrücken hat immer eine Darstellungsform – und das ist letztlich eine ästhetische Frage.“ Die Kunst kann Machtverhältnisse entscheidend beeinflussen, davon ist Engel überzeugt und möchte dieses Potenzial auch für die Lehre nutzen.
„In ihrer künstlerisch-experimentellen Form erproben die Videos neue Wege für das Genre der Lehrvideos,“ begrüßt auch Professorin Katharina Walgenbach die Produktion der Filme in ihrem Lehrgebiet. Finanziert wurden die Videos aus Mitteln des Professorinnenprogramms II des Bundes und der Länder, des Lehrgebiets sowie des Gleichstellungskonzepts der FernUniversität. Als „Open Educational Resources“ sind sie auch öffentlich zugänglich.