Der Buchstabe als Botschafter
In seiner Antrittsvorlesung an der FernUni sprach Prof. Peter Risthaus über Prinzipien, die ihn als Philologen prägen. Es ging auch darum, die Verpackung als Inhalt zu denken.
Kein Inhalt ohne Form, keine Form ohne Inhalt. Wenn die Philologie einen Gegenstand untersucht, muss sie diesen Zusammenhang im Auge behalten, davon ist Prof. Dr. Peter Risthaus überzeugt. Als Beispiel nennt er die Typografie: „Wenn wir einen Text in Fraktur lesen, zählt nicht nur das, was der Buchstabe eigentlich sagt. Auch das Schriftbild selbst ist schon eine Botschaft.“ Um dieses Prinzip ging es auch in der Antrittsvorlesung, die der Wissenschaftler jetzt an der FernUniversität in Hagen hielt. Unter anderem bezog er sich darin auf eine Geschichte von Walter Benjamin. Sie erzählt davon, wie der spätere Philosoph als Kind mit zusammengerollten Strümpfen spielte: Er griff in einen der Strumpfbälle und zog seinen „Inhalt“ – also den Strumpf selbst – heraus. Benjamin hat daraus die frühe Einsicht abgeleitet, dass „Form und Inhalt, Hülle und Verhülltes dasselbe sind“. Ein Grundsatz, der nicht nur zu Prof. Risthaus‘ Selbstverständnis als Philologe, sondern auch als Medienwissenschaftler passt: „Ich folge dabei dem Diktum des großen kanadischen Medientheoretikers Marshall McLuhan: ‚The Medium is the Message.‘“
Einstand unter Bekannten
„Formsache“ war die Antrittsvorlesung von Prof. Risthaus auch in anderer Hinsicht: Sein Gesicht ist an der FernUniversität schon seit längerem bekannt. Breits im Wintersemester 2018/19 übernahm er eine Vertretungsprofessur für das Lehrgebiet „Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Medienkulturen“. 2019 habilitierte er sich an der Ruhr-Universität Bochum und wurde daraufhin zum Professor des Hagener Lehrgebiets „Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Mediengeschichte“ ernannt. Außerdem ist er seit 2020 Prodekan der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften (KSW).
Rechtzeitig alarmiert
Das Interesse des Professors fächert sich breit – und ist gleichzeitig von der Leidenschaft fürs historische Detail geprägt. „Die Geschichtswissenschaft schaut sich oft großformatige Ereignisse an, zum Beispiel den ersten Weltkrieg. Kleinere Entwicklungen gehen ihr deshalb häufig durch die Lappen. Hier springt auch die Mediengeschichte ein.“ So nimmt Risthaus etwa die Historie von Frühwarnsystemen unter die Lupe – ein Gegenstand, der nur auf den ersten Blick exotisch wirkt: „Die Urszene der Literatur ist immer die Katastrophe.“ Durch alle Gattungen ziehen sich Bilder von Erdbeben, Feuern, Fluten, Seuchen, Stürmen oder Vulkanausbrüchen. „Erzählen diente auch immer dazu, kommende Generationen zu warnen“, erklärt Risthaus. Diese Beobachtung nimmt er als Ausgangspunkt einer medial-technischen Betrachtung verschiedenster Alarmgeber – von den ersten Brandmeldern und Sirenen bis zu modernen Tsunami-Seismographen. „Die Corona-App ist quasi das Ende dieser Geschichte, die mich interessiert“, so der Medienwissenschaftler.
Mediale Päckchen
Ein ähnlicher Schulterschluss zwischen Literaturwissenschaft und Mediengeschichte gelingt Risthaus mit seiner Forschung zum sogenannten „Packing“. Hierunter versteht er die technische Verdichtung und Verkleinerung von Information – zum Beispiel die Speicherung mehrerer verfilmter Buchseiten auf einem Mikrofiche, der nur mit einem Mikroform-Scanner lesbar ist. Nachdem er sich mit der fotografischen Seite des Packings befasst hat, will er sich nun digitaler Komprimierung von Daten zuwenden. Dabei beachtet er immer auch die Wechselbeziehung zur Literatur, die einerseits stark von Entwicklungen profitierte und sie andererseits vorwegnahm. Wie etwa die frühe Science-Fiction von Paul Scheerbart (1863-1915), der sich bereits eine Technik ausmalte, die eine ganze Bibliothek auf eine Fingerspitze skaliert.
Metrik mal anders
Noch ein Vorhaben von Risthaus verbindet klassische Literaturwissenschaft mit Technik: So schmiedet sein Lehrgebiet derzeit an einer Metrik-Anwendung, mit der sich Nutzende selbst beibringen sollen, Versrhythmen zu bestimmen. Was zunächst als Lernprogramm für Fernstudierende starten soll, könnte irgendwann vielleicht sogar zu einer technisch ausgereiften App heranwachsen. „Am Ende sollen nicht nur Studierende, sondern auch Schülerinnen und Schüler davon profitieren“, erklärt Risthaus das langfristige Projektziel.
Richtige Zeit, richtiger Ort
Immer an Innovation interessiert, bereut Risthaus seinen Schritt an die FernUniversität nicht. „Mir gefällt die Idee hinter der FernUniversität. Ihr Erfolg und die hohen Studierendenzahlen sprechen für sich“, betont der Wissenschaftler. „Aus meiner Sicht ist die Arbeitssituation optimal: Die FernUni macht es ihren Forschenden und Lehrenden sehr einfach, Projekte anzupacken. Die Wege in der Verwaltung sind kurz, die Willkommenskultur gut.“ Vor allem der Hagener Pioniergeist spricht ihn an: „Auch ich wende inzwischen Energie für Dinge auf, an die ich vor ein paar Jahren noch gar nicht gedacht hätte.“ Tatsächlich geht derzeit ein Ruck durch die ganze Fakultät KSW, zahlreiche neue Angebote entstehen. Motivation sei eben auch eine Frage der Inspiration, so Risthaus: „An der FernUniversität passiert einfach viel. Und wo viel passiert, da ist es interessant.“
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