Schmetterlinge für die Forschung
Wie multitasking- und lernfähig sind Menschen beim Falten von Papier-Figuren? Um das herauszufinden, lud ein Forschungsteam um FernUni-Psychologin Fang Zhao zum Origami ein.
Origami ist die Kunst des Papierfaltens. Die ursprünglich in Asien tradierte Methode hat sich inzwischen auf der ganzen Welt ausgebreitet. Dem Ideenreichtum sind beim modernen Origami keine Grenzen gesetzt – sowohl was die Auswahl an Figuren, als auch deren Komplexität angeht. Für Dr. Fang Zhao, Psychologin an der FernUniversität in Hagen, ist das Origami vor allem aus einem Grund interessant: Wer sich im Papierfalten übt, geht dabei in einer festen Reihenfolge und immer Schritt für Schritt vor. Solche „sequenziellen“ Lernprozesse fallen ins Fachgebiet der Wissenschaftlerin. Gemeinsam mit einem Autorenteam, zu dem auch vier Fernstudierende zählen, hat sie jetzt eine Studie zum Origami-Falten veröffentlicht. Sie zeigt, wie sich Menschen beim Basteln der Figuren verhalten, wenn ihnen zugleich eine zweite Aufgabe gestellt wird – und sie somit Multitasking betreiben müssen. „Wir haben Menschen ohne Vorwissen getestet, um zu schauen, welche kognitiven oder motorischen Ressourcen beim Falten im Arbeitsgedächtnis gebraucht werden“, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin im Lehrgebiet Allgemeine Psychologie: Lernen, Motivation, Emotion (Prof. Dr. Robert Gaschler).
Außerdem ermittelte das Team den Lernerfolg der Teilnehmenden. Die Probandinnen und Probanden waren ausgesuchte Origami-Neulinge. Ein Test mit eingespielten Profis, deren Arbeitsgedächtnis bereits automatisiert vorgeht, wäre weniger aussagekräftig gewesen, erklärt Fang Zhao. Großartig findet sie, dass die Studie dank der studentischen Beteiligung einen weiten Radius hatte: „Meine Studierenden wohnen alle in unterschiedlichen Regionen Deutschlands. Deshalb haben sie Daten aus dem ganzen Land erhoben – in Hamburg, München und Dannenberg. Das war wirklich toll!“ Für die vier Studierenden war die Partizipation an der Studie Teil der Abschlussleistung im Psychologie-Bachelor.
Über tausend Figuren
Trotzdem blieb die Anzahl von Testpersonen mit 53 Teilnehmenden vergleichsweise gering – zu tun hat das mit dem Aufwand beim Falten der kleinen Modelle: Die Probandinnen und Probanden verbrachten im Schnitt zwei Stunden damit, immer neue Frösche, Schmetterlinge, Pinguine, Kisten und Stühle aus Papier zu fertigen. Jede der fünf Figuren mussten sie viermal hintereinander herstellen. Unterm Strich gingen aus dem Experiment 1060 kleine Papiermodelle hervor. Die Auswahl der Muster war dabei nicht beliebig, sagt Zhao: „Ich habe mit meinen Studierenden diskutiert, welche Figuren wir von den Testpersonen falten lassen sollen.“ Die Bastelaufgaben durften nicht zu komplex, aber auch nicht zu einfach ausfallen.
Ablenkung aus dem Computer
Beim zweistündigen Faltmarathon brauchten die Teilnehmenden starke Nerven: Vier der fünf Durchläufe wurden um Zweitaufgaben ergänzt – rhythmisches Tastendrücken in gleichmäßigen und ungleichmäßigen Intervallen, ein Merkspiel mit Buchstaben und eines zum räumlichen Denken. Während jeder Runde erhoben die Forschenden, wie schnell die Versuchspersonen beim Falten vorankamen und wie häufig ihnen Fehler bei ihren Aufgaben unterliefen. „Am Ende haben wir die Daten aggregiert“, so Zhao.
Timing und räumliches Denken gefragt
Eine Erkenntnis liegt in der grundsätzlichen Lernfähigkeit der Probandinnen und Probanden: „Wir haben gesehen, dass die Leute beim Falten immer schneller und schneller wurden“, so die Psychologin. „Sie hätten wahrscheinlich auch noch schneller werden können.“ Zhao schmunzelt: „Zwei weitere Stunden wollten wir sie aber nicht üben lassen.“ In puncto Multitasking sorgten zwei bestimmte Aufgabentypen für Schwierigkeiten: die zum räumlichen und die zum zeitlichen Gedächtnis – ein Hinweis darauf, dass die dort angezapften Ressourcen dieselben sind, die Menschen auch zum Falten benötigen.
„Beim Origami braucht man offenbar räumliches Denken und Timing“, bilanziert Zhao. „Die Faltbewegungen müssen zum richtigen Zeitpunkt erfolgen.“ Die Timing-Aufgabe mit ungleichmäßigen Intervallen bremste die Teilnehmenden allerdings viel weniger aus als die Aufgabe mit gleichmäßigen Intervallen. Demnach spricht der konstante Rhythmus stärker den Wahrnehmungsmechanismus an, der auch zum Origami gebraucht wird. Als unproblematisch erwies sich indessen, zu falten und bei der Buchstaben-Aufgabe gleichzeitig aufs verbale Gedächtnis zuzugreifen.
Ein Wäschekorb voller Tiere
Eine Fortsetzung der kunstvollen Bastelei gab es trotzdem – allerdings mit neuen Testpersonen und Studierenden. „Wir haben bereits eine zweite Studie mit noch schwierigeren Aufgaben durchgeführt“, berichtet die Forscherin. Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Anschlussstudie sind noch nicht veröffentlicht, trotzdem gibt es zahlreiche, sichtbare Resultate: „In der zweiten Studie haben wir farbiges Papier verwendet“, lacht Fang Zhao. „Eine Studentin hatte am Ende einen ganzen Waschkorb voll mit bunten Boxen, Stühlen, Pinguinen, Schmetterlingen und Fröschen.“
Zur Studie
An der Studie beteiligten sich Dr. Fang Zhao, Prof. Dr. Robert Gaschler, die FernUni-Studierenden Anneli Kneschke, Dr. Simon Radler, Melanie Gausmann, Christina Duttine sowie die Psychologin Prof. Dr. Hilde Haider (Universität zu Köln). Das Team hat ihre Ergebnisse auf der Open-Access-Plattform PLOS ONE veröffentlich. Zur Online-Publikation
Zhao, F., Gaschler, R., Kneschke, A., Radler, S., Gausmann, M., Duttine, C., & Haider, H. (2020). Origami folding: Taxing resources necessary for the acquisition of sequential skills. PLoS ONE 15(10): e0240226. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0240226