Wie die Corona-Krise die Gleichstellungsarbeit verändert

Kirsten Pinkvoss ist erneut zur zentralen Gleichstellungsbeauftragten der FernUniversität gewählt worden. Fünf Fragen an die Juristin zum Beginn ihrer zweiten Amtszeit.


Portrait einer Frau Foto: Simone Möller
Kirsten Pinkvoss bleibt zentrale Gleichstellungsbeauftragte der FernUniversität.

Kirsten Pinkvoss ist erneut zur zentralen Gleichstellungsbeauftragten der FernUniversität gewählt worden. Mit den Fakultäten, der Verwaltung, den zentralen Einrichtungen sowie den Studierenden fördert sie gemeinsam die Chancengleichheit und setzt Geschlechtergerechtigkeit an der FernUniversität um. Fünf Fragen an die Juristin zum Beginn ihrer zweiten Amtszeit.

FernUniversität: Ihre zweite Amtszeit fällt mitten in die Corona-Pandemie hinein. Inwiefern hat die Krise die Gleichstellungsarbeit verändert?

Pinkvoss: In der Pandemie verschärft sich die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern: Frauen reduzieren häufiger ihre Arbeitszeit, ihr Anteil an der Sorgearbeit nimmt noch weiter zu. Es kommt zu einem Roll Back in den Geschlechterrollen. Die Frage der Vereinbarkeit von Betreuungsarbeit und Home-Office ist derzeit an allen Hochschulen ein Problem. Unweigerlich stellt die aktuelle Situation eine besonders hohe Belastung für Eltern und Menschen mit Pflegeverantwortung dar. Ich plädiere dafür, bestehende Regelungen mit der größtmöglichen Kulanz für Eltern und Personen mit Pflegeverantwortung auszulegen. Aber auch Benachteiligungen in anderen Bereiche werden sichtbar. Beispiele sind im Bereich Gesundheit etwa die Steigerung der physischen und mentalen Belastung und „Burnout“ im Homeoffice. Im Bereich Digitalisierung verfügen Frauen tendenziell über schlechtere Ausstattung und Zugänge. Insofern hat die Krise die Arbeit in der Gleichstellungsstelle sowohl inhaltlich als auch von der Dichte intensiviert. Aber die Arbeit ist wichtiger denn je, wir versuchen die Anliegen sowohl innerhalb der Hochschule, insbesondere in der Corona-Task-Force zu platzieren, als auch über die Landeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten der Hochschulen und Universitätsklinika.

Was ist nun für die kommenden vier Jahre die größte Herausforderung und was war bislang Ihr größter Erfolg?

Das Gleichstellungsteam hat in den vergangenen Jahren versucht, Gleichstellung an der FernUni sichtbar zu machen und alle Beteiligten dafür zu sensibilisieren. Ferner wollen wir Vertrauen gewinnen und zuverlässige Partnerin in Prozessen sein. Dort sind wir auf einem guten Weg. Zwei Herausforderungen sehe ich für die Zukunft: Gleichstellung mehr in den Prozessen zur Digitalisierung zu verankern und den Gedanken der Intersektionalität an der Hochschule in die Alltagsarbeit zu integrieren.

Die Frauenquote ist nach wie vor ein aktuelles und heiß diskutiertes Thema. Was halten Sie von einer Frauenquote im Wissenschaftsbetrieb?

Die Gleichstellung von Frauen und Männern im Wissenschaftsbetrieb ist zwar vorangekommen, aber bei weitem nicht ausreichend: Je höher die Hierarchiestufe, desto geringer der Frauenanteil. Gerade bei den Professorinnen haben wir eine große Lücke. Auf allen Hierarchiestufen müsste die „kritische Masse" von 30 bis 40 Prozent Frauenanteil erreicht werden, damit Frauen „ganz selbstverständlich agieren" können und nicht für einige als „Alibifrau“ gelten. Wir haben so viele Maßnahmen probiert, die zwar den Anteil erhöht haben, aber letztendlich noch nicht erfolgreich waren. Allgemein spreche ich mich für eine Quote aus, die gemeinschaftlich verabredet ist und zudem die spezifischen Bedingungen an der jeweiligen Hochschule berücksichtigt. Sie müsste durch Maßnahmen flankiert werden, die auf einen Mentalitätswandel zielen. Hier haben wir noch einiges zu tun.

FrauenbeiratFoto: FernUniversität

Die neue Gleichstellungsbeauftragte bleibt die alte: Kirsten Pinkvoss (vorne rechts) ist vom Frauenbeirat für weitere vier Jahre zur zentralen Gleichstellungsbeauftragten der FernUniversität in Hagen gewählt worden. Ihre Stellvertreterinnen sind Prof. Barbara Völzmann-Stickelbrock (Professorinnen, Rechtswissenschaftliche Fakultät), Anna Haase (akademische Mitarbeiterinnen, Fakultät für Psychologie), Maria-Luisa Barbarino (Mitarbeiterinnen aus Technik und Verwaltung, Gleichstellungsstelle) und Petra Lambrich (Studentinnen). Der Frauenbeirat ist das Wahlgremium für die Gleichstellungsbeauftragte und ihre Stellvertreterinnen und besteht ausschließlich aus Frauen. Vorsitzende ist Iris Karp, ihre Stellvertreterin Dorothee Schulze.

Denken und handeln schlägt sich auch in der Sprache nieder. Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht die gendergerechte Kommunikation?

Sprache ist unser wichtigstes Mittel, um uns auszudrücken und mitzuteilen. In ihr spiegelt sich unsere Wahrnehmung der Welt wider – gleichzeitig beeinflusst sie die Art und Weise, wie wir denken und die Welt wahrnehmen. Diskriminierungsfreiheit ist ein Grundwert unserer demokratischen Gesellschaft. Die Forderung nach einer geschlechtergerechten Sprache folgt aus der Forderung nach einer wertschätzenden und respektvollen Gesellschaft. Die Verwendung geschlechtersensibler Sprache kann geschlechterstereotypen Bildern sowie Diskriminierungen und Benachteiligungen entgegenwirken. Sie kann dabei helfen, Geschlechternormen und Rollendenken zu überwinden. Aus diesen Gründen ist eine geschlechtersensible Sprache für mich sehr wichtig. Universitäten sollten Vorbild sein.

Wann ist der Tag erreicht, an dem die Gleichstellungsbeauftragte der Universität ihr Büro ruhigen Gewissens räumen kann?

Wenn wir es geschafft haben, sämtliche strukturelle Benachteiligungen im Wissenschaftsbetrieb für Frauen zu beseitigen. Meine nächste Amtszeit reicht dafür leider nicht!

Carolin Annemüller | 17.07.2020