„Das letzte Bier ist meistens schlecht“

Christian Toll erklärt in seiner Habilitationsschrift, was an dem Sprichwort aus finanzwirtschaftlicher Sicht dran ist. Der Ökonom hat seine Lehrbefugnis für das Fach BWL erhalten.


Foto: FernUniversität
Christian Toll (Mitte) mit seinem Betreuer Prof. Thomas Hering (li.) und dem Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft Prof. Stephan Meyering. Das Foto ist vor den Corona-Kontaktbeschränkungen entstanden.

Auf seine Venia Legendi konnte Dr. Christian Toll noch richtig anstoßen. Seine Lehrbefugnis im Fach Betriebswirtschaftslehre hat er von der FernUniversität in Hagen vor der Corona-Krise erhalten. Zum Glück, denn danach hätte er das Glas wohl eine ganze Weile vor einer Webcam heben und Freundeskreis, Kollegium, Familie virtuell zuprosten müssen. Ob sich der Konsum vor dem Bildschirm von dem in geselliger Runde unterscheidet?

Wann eine Sättigung bei zunehmender konsumierter Menge erreicht ist, darüber hat der Wirtschaftswissenschaftler schon öfter nachgedacht. „Wenn das letzte Bier über die Theke wandert, bereitet das am nächsten Morgen nicht nur Kopfschmerzen, es ist aufgrund dessen auch seinen Preis nicht mehr wert“, schildert der Ökonom. „Der persönliche Nutzen nimmt im Vergleich zum ersten Bier deutlich ab.“

Das Bier-Beispiel findet nicht nur Erwähnung in den Gossenschen Gesetzen, dem Einmaleins der Ökonomie, es verdeutlicht auch, worauf es Christian Toll in seiner Forschung ankommt: Sie soll möglichst realitätsnah sein. „Wir haben nichts davon, wenn Modelle zwar simpel sind, dafür aber nicht die Unvollkommenheiten berücksichtigen, die die Welt an sich, oder etwa der Kapitalmarkt für uns bereithält.“

Der persönliche Nutzen nimmt im Vergleich zum ersten Bier deutlich ab.

Christian Toll

Auf die Zinsen kommt es an

Die Beiträge in seiner Habilitationsschrift „Finanzwirtschaft und Unternehmensbewertung“ verbindet allesamt ein großer Nutzwert – für mittelständische Unternehmen und Privathaushalte. Toll nimmt etwa die Mietpreisentwicklung von Immobilien in den Blick oder die Fallstricke bei der Wachstumsfinanzierung digitaler Jung-Unternehmen. „Gerade frisch gegründete Betriebe haben häufig das Problem, dass ihnen die nötigen Sicherheiten fehlen, deshalb bekommen sie keinen klassischen Bankenkredit, wenn sie wachsen wollen.“

Die Lösung für dieses Problem könne die Beteiligung von Investoren sein, deren Risiko über vorab definierte Meilensteine gering gehalten werde. In diesem Zusammenhang hat Toll Modelle entwickelt, mit denen Kreditnehmende ausrechnen können, bis zu welcher Höhe ein Finanzierungszinssatz für sie noch wirtschaftlich vorteilhaft ist. Seine Ergebnisse könnten vor allem relevant für Start-ups oder FinTechs sein, die zwar besonders risikobehaftet sind, aber auch in kurzer Zeit sehr erfolgreich arbeiten.

Ergebnisse für die Energiewirtschaft

In einem weiteren Beitrag widmet sich der Forscher, der auch Mitglied im Forschungsschwerpunkt Energie, Umwelt und Nachhaltigkeit ist, der Energiewirtschaft. Christian Toll hat einen Prüfkatalog für kleine und mittlere Energieversorger entwickelt. „Anhand verschiedener Kriterien, die im Artikel aufgezeigt werden, können städtische Energieversorger zum Beispiel entscheiden, ob es für sie sinnvoll ist, von einem Gaskessel auf ein Biomasseheizkraftwerk umzurüsten.“ Das zukunftsweisende Resultat seiner Forschung fand bereits Anklang bei den bekanntesten Energieversorgern der Region.

Auch sein aktuellstes Forschungsvorhaben kommt aus dem Bereich der Energiewirtschaft. Es ist für besonders zukunftsorientierte und nachhaltige Haushalte interessant. Derzeit beschäftigt sich Toll mit der Frage, wie effizient Batteriespeichersysteme in Privathaushalten sind, die erzeugte Energie aus einer Solaranlage auffangen möchten. „Leider muss man sagen, dass eine Investition in Batteriespeicher in einem typischen Dreipersonenhaushalt in den allermeisten Fällen derzeit ökonomisch nicht vorteilhaft ist.“ Als möglichen Grund sieht Toll die hohen Kosten und die vergleichsweise geringe Haltbarkeit der Batteriespeicher. „Hier müsste sich im Sinne der Nachhaltigkeit noch einiges tun“, sagt der vielseitige Wirtschaftswissenschaftler.

Außeruniversitär ist Christian Toll freiberuflich als Berater für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften tätig. Der FernUniversität bleibt er nach seiner Habilitation und dem Erwerb der Lehrbefugnis als Privatdozent an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft erhalten. Sein nächstes Ziel ist ein eigener Lehrstuhl: „Darüber würde ich mich wirklich sehr freuen, egal wohin es geht.“ Spätestens dann hätte er den nächsten Grund, um anzustoßen – vielleicht virtuell, vielleicht aber auch wieder Glas an Glas.

Zur Person

Seit 2005 ist Christian Toll Wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Dr. Thomas Hering am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Investitionstheorie und Unternehmensbewertung. 2010 wurde er mit der Dissertation „Investitionstheoretische Unternehmensbewertung bei Vorliegen verhandelbarer Zahlungsmodalitäten“ promoviert. Seit 2018 ist er Akademischer Oberrat am Lehrstuhl.

Sarah Müller | 10.06.2020